Der Verfassungsschutz schätzt die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ ein, nimmt es dann zurück – während gleichzeitig der Bericht geleaked wird. Können wir uns auf die Behörde im Kampf gegen Faschismus verlassen? Und was würde ein AfD-Verbot helfen? – Ein Kommentar von Alex Lehmann.
„AfD offiziell als gesichert rechtsextremistisch eingestuft“ – diese Nachricht schlug am vergangenen Wochenende große Wellen. Während die einen schon feierten und erneut Demonstrationen für ein AfD-Verbot angekündigt wurden, witterten die anderen einen Angriff auf ihre demokratischen Freiheiten und zogen vor Gericht.
Und nun ist es auch schon wieder vorbei: Gestern, am 8. Mai, gab das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine „Stillhaltezusage“ ab, nachdem die AfD gegen die Einstufung als gesichert rechtsextremistisch geklagt hatte. Heißt also: solange das Gericht nicht über den Eilantrag der AfD, der auf ein Verbot der Einstufung bis zum Gerichtsurteil abzielt, entschieden hat, gilt sie erst mal nicht. Das hat das BfV schon einmal so gemacht 2021 als die AfD als Verdachtsfall eingestuft wurde. Sie verlor jedoch und das BfV stufte sie offiziell als Verdachtsfall ein. Das scheint auch jetzt wieder in dem Sinne reguläre juristsiche Taktik und ein ähnliches vorgehen des VS zu sein..
Die AfD ist also weiterhin ein rechtsextremer „Verdachtsfall”, das BfV nimmt aber vorerst in vorauseilendem Gehorsam die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ zurück. Bis das Gericht ein Urteil über den Eilantrag schließlich fällt, kann es Monate bis zur endgültigen Entscheidung dauern, und dass diese anschließend durch alle weiteren Instanzen bestätigt wird, gut und gerne noch einmal ein paar Jahre mehr.
Unabhängig davon ist die politische Debatte bereits im vollen Gange durch das Leak des Gutachtens an Bild-Zeitung und Spiegel. Fein säuberlich sind hier hunderte Beweise für die faschistische Gesinnung der Partei aufgeführt. Interessant: laut dem Spiegel war es eine der letzten Amtshandlungen von der ehemaligen Innenministerin Faeser (SPD), den Bericht zu veröffentlichen – und zwar vor interner Sichtung und Prüfung. Vermutlich wollte sie vermeiden, dass diese unter dem neuen rechten CSU-Innenminster Dobrindt in der Schublade bleibt. Dass nun der Bericht auch noch geleaked wird, ist in dem Sinne logisch – auch wenn uns verschlossen bleiben dürfte, wer das aus welchen Gründen getan hat.
Mit dem Verfassungsschutz gegen rechts?
Klar muss dennoch sein: im Verfassungsschutz findet man keine Verbündete im Kampf gegen rechts. Ganz im Gegenteil: der Staat und die faschistische Bewegung verstehen sich eigentlich ganz gut. Ganz besonders trifft das auf den Verfassungsschutz zu, der schon kurz nach seiner Gründung von ehemaligen Gestapo-, SS- und SD-Angehörigen durchsetzt war. Die Alliierten ließen das in den 50er Jahren stillschweigend zu. Immerhin hatte man ja Kommunist:innen zu bekämpfen und konnte die Hilfe der Nazis dabei gut gebrauchen.
Der Verfassungsschutz wurde zwischen 1955 und 1972 vom Ex-SA-Mann Hubert Schrübbers aufgebaut und geleitet. Im 3. Reich war er jahrelang als Oberstaatsanwalt tätig und stellte beim Aufbau des neuen Inlandsgeheimdienstes der Bundesrepublik gezielt ehemalige SA-Männer ein. Ähnliche Geschichten haben auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) und das Bundeskriminalamt.
Eine Tradition, die sich durch alle Geheimdienste, Polizeibehörden und die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes zieht – bis heute. Und um das zu beweisen, reicht es schon, sich die jüngere Vergangenheit anzusehen: 2024 erst machte der ehemalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heiko Maaßen, große Schlagzeilen, denn seine alte Behörde stufte ihn als „rechtsextrem“ ein.
Dazu kommen natürlich die endlosen Verstrickungen mit faschistischen Terrornetzwerken und die rechten Verschwörungen im Staatsapparat – Stichwort Kreuz-Netzwerk und Neigungsgruppe G. Und nicht zu vergessen die Terrorgruppe NSU, die der Verfassungsschutz über Jahre hinweg mit aufgebaut, finanziell unterstützt und gedeckt hat.
Veröffentlichte NSU-Akten: Der Verfassungsschutz hat nicht „versagt“, er hat seine Arbeit gemacht
AfD verbieten?
Inwiefern zudem die Eintufung als „gesichert rechtsextremistisch“ der AfD schadet ist schwer vorherzusagen. Denn wer die AfD bereits wählt und vielleicht sogar unterstützt, hat sicherlich schon davon mitbekommen, dass sie mal mehr, mal weniger offen faschistisch ist. Viele wählen die AfD nicht trotz, sondern weil sie faschistische Positionen vertritt. Wer lässt sich da schon vom „Verfassungsschutz“ abschrecken?
Ähnlich ist es mit dem so oft geforderten Verbot. Klar, erst einmal würde ein Parteiverbot der faschistischen Bewegung das Leben schwerer machen. Aber der Faschismus lässt sich doch nicht einfach verbieten! Seine Verstrickungen mit dem Staat, seine Terrornetzwerke, seine hunderte Kanäle zur Verbreitung der widerlichen faschistischen Ideologie bleiben bestehen.
Die AfD-Funktionäre könnten unter anderem Namen weitermachen, ihre Wählerbasis könnte sich weiterhin radikalisieren und die faschistische Bewegung weiter an Schwung aufnehmen. Gerade in den nächsten Jahren, in denen immer größere Teile der Bevölkerung die Folgen der Krise und der Aufrüstung am eigenen Leib zu spüren bekommen werden, könnte ein AfD-Verbot genau das Gegenteil von dem bewirken, was sich jene, die es fordern, eigentlich wünschen. Auch wenn die Zukunft nicht so einfach voraussagbar ist, bleibt vor allem klar, dass ein Verbot den bereits fortgeschrittenen Faschismus nicht aufhalten wird.
AfD-Verbot: Warum wir uns auf den Staat nicht verlassen können
Den Schwur von Buchenwald ernst nehmen, heißt: nicht auf diesen Staat vertrauen!
Halten wir also fest: Weder der Verfassungsschutz noch andere staatliche Behörden haben ein tatsächliches Interesse, gegen faschistische Parteien vorzugehen. Ein AfD-Verbot dürfte die weitere Stärkung des Faschismus eher nicht aufhalten, sondern woanders hin verschieben, ist doch selbst ein wichtiger Teil des Staat bereits mit der faschistischen Bewegung verwachsen. Nebenbei werden zentrale Forderungen der AfD wie „Remigration“ ohnehin schon längst von Christ- und Sozialdemokraten in die Realität umgesetzt und konsequente Antifaschist:innen werden von der Justiz verfolgt.
Daraus lässt sich nur ein Schluss ziehen: „Die endgültige Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“, wie es sich die ehemaligen Gefangenen des KZ-Buchenwalds zur Aufgabe gemacht haben, lässt sich nicht zusammen mit diesem Staat machen.