„Eine Frau kann einen Mann zum Mörder machen“ – mit diesem Satz beschrieb Nicoles Mörder einst sein Weltbild. Nach dem Mord mit 26 Messerstichen steht er nun vor Gericht. Dort geht es jedoch weniger um seine Tat, sondern um die Frage, ob ihre Eifersucht ihn verständlicherweise „zur Weißglut brachte“. – Ein Kommentar von Tara Kaiser.
Am 17. Oktober 2024 fallen in Köln-Buchheim zwei Menschen aus einer Wohnung im dritten Obergeschoss. Während der 53-jährige Mann mit einer Stichverletzung und mehreren Knochenbrüchen ins Krankenhaus gebracht wird, wo Ärzte es schaffen, sein Leben zu retten, verstirbt die 36-jährige Nicole auf dem Fußweg vor ihrer Wohnung. Neben den Verletzungen durch den Sturz ist ihr Körper von 26 Messerstichen gezeichnet.
Sieben Tage nach der Tat, am 24. Oktober, wird Nicoles Ex-Freund wegen ihres Mordes verhaftet. Während in den Medien von einer Beziehungstat gesprochen wird, handelt es sich beim Mord an Nicole eindeutig um einen Femizid – also einen Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Denn aus den Zeugenaussagen geht deutlich hervor, dass in der Beziehung zwischen Täter und Opfer ein typisch patriarchales Machtverhältnis herrschte, weil er offenbar nicht akzeptieren konnte, diese Macht aufzugeben.
Schilderung eines eindeutigen Tathergangs bei Prozessbeginn
Der Prozess zu diesem Femizid begann am 24. April 2025, und nach den ersten zwei Verhandlungstagen zeichnet sich ein klareres Bild von der Tat und der Beziehung zwischen Nicole und ihrem Mörder ab:
Der erste geladene Zeuge ist von der Spurensicherung und beschreibt anhand sehr blutiger Bilder einen mutmaßlichen Tathergang.
Täter und Opfer scheinen sich in der Küche gestritten zu haben, wobei Nicole sich auf der Fensterseite des Raumes befand und ihr Fluchtweg aus der Wohnung somit durch ihren Ex-Partner blockiert war. Während der Auseinandersetzung ergriff der Täter ein Fleischermesser und griff Nicole damit an. Aufgrund ihrer Position im Raum blieb das Fenster ihr einziger Ausweg.
Ob Nicole von ihrem Mörder gestoßen wurde oder selbst sprang, weil sie keinen anderen Rettungsweg mehr sah, ist weiterhin unklar und wird vom Pflichtverteidiger des Angeklagten mehrfach hinterfragt. Gesprungen oder gestoßen – das Ergebnis bleibt dasselbe, denn wie der zweite Zeuge von der Rechtsmedizin beschreibt, waren die Stichverletzungen so schwer, dass sie ohne sofortige Behandlung auch ohne den Sturz zu Nicoles Tod geführt hätten. Ihm zufolge war es „eine sterbende Frau, die gefallen ist“.
Die Abwehrverletzungen an den Händen und Armen der Toten erzählen jedoch von einem erbitterten Kampf, den Nicole in den letzten Minuten ihres Lebens geführt haben musste. Besonders eine Wunde im Rückenmark fällt auf, da sie laut dem Rechtsmediziner zugefügt wurde, während Nicole nach vorne gebeugt war – also wahrscheinlich in dem Moment, als sie sich aus dem Fenster lehnte. Hier stellt sich erneut die Frage: Spielt es überhaupt eine Rolle, ob sie gestoßen wurde oder mit letzter Kraft versuchte, aus dem Fenster zu fliehen?
Täter: „Eine Frau kann einen Mann zum Mörder machen“
Eine andere Frage stellt sich das Gericht aber dennoch – und auch Nicoles hinterbliebene Familie stellt sie mehrfach an dem Angeklagten: Warum hat er sie umgebracht? Laut den Aussagen ihrer Verwandten, Freund:innen und Bekannten war Nicole ein friedlicher, ruhiger, fröhlicher und positiver Mensch – auch wenn sie manchmal ein wenig naiv sein konnte.
Während der Angeklagte eine „schweigende Verteidigung“ verfolgt und sein Anwalt lediglich einen Lebenslauf verliest, reichen die Aussagen der Trauernden aus, um ein Bild des Mannes zu zeichnen. So erinnert sich Nicoles Cousin daran, den Angeklagten einmal sagen gehört zu haben: „Eine Frau kann einen Mann zum Mörder machen.“
Der Angeklagte wird als sehr eifersüchtiger und kontrollierender Partner beschrieben. Nicole durfte ohne ihn kaum noch das Haus verlassen, er versuchte, ihren Kontakt zur Familie zu beschränken, und ihre beste Freundin war ein komplettes Tabuthema.
Belästigung, Übergriffe und patriarchale Gewalt in der Beziehung
Laut Zeugenaussagen lernten sich die beiden im Dezember 2023 über das Internet kennen. Nach ein paar Besuchen in Wuppertal, wo der Täter zu diesem Zeitpunkt noch lebte, begannen sie eine Beziehung. Ganz glücklich schien Nicole aber nicht zu sein, denn sie machte mehrfach Schluss. Daraufhin kam ihr Ex-Partner ihr nach Köln hinterher, verfolgte sie, wartete vor ihrer Tür und drohte ihr mehrfach, sich das Leben zu nehmen.
Die Belästigungen gingen so weit, dass Nicole den Partner ihrer ältesten Tochter bat, ein zusätzliches Sicherheitsschloss an ihrer Wohnungstür anzubringen, sie stellte sogar eine Anzeige wegen Stalkings. Die Einschüchterungstaktik des Mannes funktionierte jedoch: er schaffte es immer wieder, Nicole dazu zu bringen, ihn wieder in ihr Leben zu lassen.
Das ging sogar so weit, dass er kurz vor ihrem Tod bei ihr einzog und seine Wohnung in Wuppertal kündigte. Nicole erzählte Bekannten, dass sie das eigentlich gar nicht wollte – ihr neuer Mitbewohner jedoch kein „Nein” verstand. Nicht nur in der Beziehung oder der Wohnung habe das gegolten, sondern laut Zeugenaussagen auch in anderen Lebensbereichen.
So diskutierte er andauernd mit Nicole und redete so lange auf sie ein, dass sie sich bei ihren Verwandten beschwerte, sie bekäme kaum noch Schlaf. Und auch beim Sex verstand er kein Nein und zwang sie zur „Kooperation”. Nicole war also nur noch aus Angst mit ihm zusammen und wusste sich nicht mehr zu helfen.
Doch trotz ihrer Angst schaffte sie es erneut, einen Schlussstrich zu ziehen, und beendete am 15. Oktober ihre Beziehung mit dem Täter. Sie bat ihn, aus ihrer Wohnung auszuziehen. Sie hatte genug davon, in ständiger Angst zu leben und sich eingesperrt zu fühlen. Ihr Umfeld glaubte jedoch nicht daran, dass diese Trennung lange halten würde.
Dennoch bot ihre Tante ihr an, erst einmal bei ihr zu übernachten, um ihrem Ex-Freund aus dem Weg zu gehen, bis dieser die Wohnung verlassen haben würde. Nicole lehnte das Angebot jedoch ab, da sie zu ihrer Katze zurückwollte – und niemand erwartete, dass er ihr wirklich etwas antun würde. Also ging Nicole zurück in ihre Wohnung – nur um dort dem Ausmaß der Besitzansprüche ihres Ex-Partners zu erliegen.
Kein individuelles Schicksal
Nicole hinterlässt eine große trauernde Familie, eine beste Freundin, die sie auch vor Gericht noch immer standhaft verteidigt, und vier Kinder. Zwei ihrer Söhne leben bei Pflegefamilien, zu denen sie keinen Kontakt hatte, aber mit ihrer ältesten, bereits erwachsenen Tochter pflegte sie eine sehr gute Beziehung. Ihre 14-jährige Tochter sollte sogar gerade aus dem Pflegeheim zu ihr zurückgeführt werden.
Nicole wurde mitten aus dem Leben gerissen – nur weil ein Mann die Kontrolle über sie behalten wollte.
Doch Nicoles Fall ist leider kein Einzelfall: Im Jahr 2023 wurde fast jeden Tag eine Frau Opfer eines Femizids. Patriarchale Beziehungsverhältnisse werden oft geduldet und normalisiert – denn nicht nur Nicoles Umfeld dachte: „Der wird schon nichts machen.“
Fast jeden Tag ein Femizid – Warum der Staat das Problem nicht lösen wird
Täter-Opfer-Umkehr im Gericht
Wie sehr Eifersucht und aggressive Ausbrüche normalisiert werden, zeigt sich auch in den Fragen im Gerichtssaal: „Konnte Nicole einen mal so richtig zur Weißglut bringen?“ oder „Konnte Nicole einen mal so richtig auf die Palme bringen?“ – eine der beiden Fragen wurde jeder bekannten Person von Nicole am ersten Prozesstag von der Richterin gestellt. Am zweiten Prozesstag sah es nicht besser aus. Darauf antworteten alle Bekannten gleichermaßen, dass Nicole eine äußerst friedliche Person gewesen sei.
Es stellt sich jedoch die Frage: Selbst wenn Nicole die nervigste Person der Welt gewesen wäre – was spielt das für eine Rolle? Würde das ihren Tod rechtfertigen? Ganz gleich, wie sehr ein Streit eskaliert – Gewalt darf niemals eine entschuldbare Reaktion sein. Genauso wichtig war dem Pflichtverteidiger und der Richterin die Frage, ob die Eifersucht des Täters denn gerechtfertigt gewesen sei.
Immer wieder wurde nach einem anderen Ex-Freund gefragt, mit dem sie kurz vor ihrem Tod offenbar wieder Kontakt hatte und sich auch treffen wollte. Als würde irgendein Maß an „Fremdgehen” 26 Messerstiche entschuldigen.
Nicole wurde brutal ermordet, nachdem sie versucht hatte, sich aus einer Beziehung zu befreien. Dieses Maß an Besitzanspruch über eine Frau ist das Problem – es sind nicht ihre Verhaltensweisen oder ihre Bettnachbarn. Doch genau das scheint nicht die Meinung des Kölner Gerichts zu sein. Eine Frau ist tot – und dennoch wird gefragt, ob die Eifersucht gerechtfertigt war.