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Fünf Jahre nach Mord an George Floyd: Es wird eine Revolution brauchen, um Rassismus zu überwinden

Im Mai 2020 ermordete ein weißer Polizist den Afroamerikaner George Floyd. Der bildgewaltige Fall wurde schnell zum Ausgangspunkt einer der bislang größten Protestbewegungen in der Geschichte der USA. Die Frage bleibt, wie man der rassistischen Polizeigewalt ein- für allemal ein Ende setzt. – Ein Kommentar von Basti Jung.

Nachdem ein 46-jähriger Mann im US-amerikanischen Minneapolis in einem Lebensmittelladen Zigaretten gekauft hatte und in seinem Auto losfahren wollte, klopfen Mitarbeiter:innen des Ladens an sein Fenster und wollen die Schachtel zurückhaben – er habe mit gefälschtem Geld bezahlt, sie riefen die Polizei.

Was nach einer nicht besonders bedrohlichen Situation klingt, wird im Laufe von wenigen Minuten zum Anlass einer der bislang größten Protestbewegungen in der Geschichte der USA. Und spätestens ein paar Tage nach diesem 25. Mai 2020 wird vielen klar: Ob ein Polizeieinsatz tödlich endet oder nicht, ist immer noch eine Frage der Hautfarbe.

1 Jahr nach dem Mord an George Floyd – 4 Lehren aus der Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt

9 Minuten und 29 Sekunden bis zum Tod

Denn an diesem Abend entscheidet sich der weiße Polizist Derek Chauvin, für insgesamt 9 Minuten und 29 Sekunden sein Knie auf brutalste Art und Weise in den Hals von George Floyd zu bohren – desjenigen Afro-Amerikaners, der zuvor die Zigaretten kaufte. Während dieser minutenlangen Zeit ruft Floyd nach seiner Mutter und stöhnt, dass er gleich sterben würde. Passant:innen filmen das Ganze: Auf den Aufnahmen ist derjenige Satz 16-mal zu hören, der später Millionen Menschen weltweit auf die Straße treiben wird: „I can’t breathe“.

Binnen weniger Stunden machen die schockierenden Videos die Runde – noch mitten am Anfang der Corona-Pandemie, als das soziale Miteinander vieler Menschen ohnehin fast ausschließlich in den sozialen Medien stattfindet. Zu dem Zeitpunkt ist auch bereits klar: George Floyds Tod war kein Einzelfall. Nur mit dem Unterschied, dass viele der rassistischen Morde vorher weder gefilmt, noch derartig verbreitet wurden.

Black Lives Matter – eine Protestbewegung der Superlative

So flammte binnen weniger Stunden die Black Lives Matter-Bewegung (kurz: BLM) erneut auf, die daraufhin etliche Teile der Vereinigten Staaten in Brand setzte. Trotz pandemie-bedingter Demo-Verbote nahmen sich bis Ende Juni 2020 etwa 20 Millionen US-Bürger:innen selbstbewusst die Straßen und kämpften konsequent gegen tödliche Polizeigewalt und den seit Jahrzehnten anhaltenden Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft. Auch in Deutschland durchbrachen die BLM-Proteste das bis dahin faktisch bestehende Demonstrationsverbot während der Pandemie.

Mit Erfolg: Der vom Staat beamtete Mörder Derek Chauvin wurde im Juni 2021 zu über 20 Jahren Haft verurteilt und sitzt seitdem seine Strafe ab. Doch die Demonstrierenden ließen ihrer berechtigten Wut auch anderswo freien Lauf: Protestierende zündeten die lokale Polizeistation in Minneapolis an und begannen in vielen weiteren großen US-Städten aufstandsähnliche Auseinandersetzungen.

Mörder von George Floyd schuldig gesprochen

Während sich in den westlichen Medien Journalist:innen darüber den Kopf zerbrachen, ob das Ausrauben von Einkaufsläden kapitalistischer Großunternehmen jetzt eine legitime Form des Protests sei, antwortete Präsident Trump auf die gefürchteten Riots (dt.: Ausschreitungen, Krawalle) mit dem Entsenden von 100.000 Personen aus verschiedenen Einheiten des US-Militärs.
Diese Reaktion stellt bis heute die größte militärische Operation der USA dar, die nicht im direkten Zusammenhang mit klassischen Kriegen steht.

Und wenn der hochgerüstete Militärstaat zubeißt, hat das seine Folgen: Noch im Juni 2020 wurden mindestens 14.000 Menschen verhaftet, 19 Personen starben im Zuge der Proteste, und es entstand binnen von zwei Wochen mit etwa ein bis zwei Milliarden Dollar der bisher größte, durch Protest verursachte Sachschaden in der US-Historie. Die Ausschreitungen hatten unterdessen die Form eines bundesweiten Aufstands unter breiter Beteiligung der Arbeiter:innenklasse angenommen.

Malcolm X kannte den Ausweg: Revolution!

Fünf Jahre nach dem Mord an George Floyd ist klar: Weder der Rassismus, noch die Polizei als durch und durch gewaltsame und konterrevolutionäre Institution der Herrschenden sind passé. Vielmehr ist die BLM-Bewegung heute weitestgehend in genau dasjenige System integriert, das einst bekämpft wurde.
Es bleibt die Frage, wie man wieder aus diesem menschengemachten Horrorspiel rauskommt? Schließlich gibt es rassistische Polizeimorde noch immer.

Malcolm X – ein Schwarzer Revolutionär und eine prägende Person der US-Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, der in diesem Monat seinen 100. Geburtstag feiern würde – hatte dafür klare Antworten, in denen er immer wieder ausführte, wie sehr Rassismus und Kapitalismus miteinander verwoben sind:
„You can’t have capitalism without racism“, betonte er und erklärte so, dass der Kapitalismus und die bürgerliche Demokratie als Herrschaftsform zur Aufrechterhaltung des Status Quo immer eine Art der Spaltung benötigen. Der weiße Angestellte hasst den Latino von nebenan, und dieser wiederum verachtet seine Schwarze Kollegin. In diesem vereinfachten Beispiel treten alle nach unten, statt den gemeinsamen Feind über sich zu sehen: in der Chefetage, im Kapitol, in Polizei oder Justiz.

Vor allem in den 1960er Jahren entwickelte X sein afro-amerikanisches nationalistisches Verständnis von Befreiung weiter, brach mit religiöser Sektiererei und betonte die notwendige Solidarität von allen Unterdrückten. Doch weil Malcolm X 1965 von politischen Feinden ermordet wurde, konnte er nicht mehr weiter an der Schaffung einer revolutionären Organisation arbeiten, die genau diese Einheit in die Tat umsetzt.
Diese revolutionäre Organisiertheit fehlte und fehlt letztlich auch bei Black Lives Matter und vielen anderen Bewegungen der letzten Jahre.

Denn ganz gleich, ob es die Klimabewegung ist, die Proteste gegen den Genozid in Palästina oder die Aufstände wegen rassistischer Polizeigewalt: spontane Bewegungen, die sich gegen konkrete Ausdrücke des barbarischen Systems zur Wehr setzen, werden immer und immer wieder abtauchen, solange es kein revolutionäres Rückgrat gibt – weil sie integriert und systemkonform gemacht, weil sie zerschlagen werden oder auch, weil schlicht und ergreifend die Energie raus ist.

Stattdessen braucht es überall eine Perspektive, die einen Ausweg bietet – welche die Probleme an der Wurzel packt, statt nur ein paar wenige Verantwortliche zu suchen.
Dass der Sozialismus mitsamt der Selbstermächtigung aller Ausgebeuteten und Unterdrückten der Welt der bislang verlässlichste Wurzelentferner ist, bleibt 100 Jahre nach Malcolm X‘ Geburt und 5 Jahre nach George Floyds Tod eine weiterhin gültige Aussage. Dass die Zeit drängt, stellt unter anderem US-Rapper Tyler, „The Creator” in seinem Song „Foreword“ fest: „How many riots can it be until them Black lives matter?“ – die Antwort muss lauten: es braucht eine Revolution.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 98 vom Mai 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

Basti Jung
Basti Jung
Politisch und sportlich aktiv in Sachsen. Schreibt am liebsten über Antifa und Kultur im Kapitalismus. Seit 2023 Teil der Online-Redaktion, seit 2024 vor der Kamera für Perspektive. "Es gibt kein anderes Mittel, den Schwankenden zu helfen, als daß man aufhört, selbst zu schwanken."

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