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Kanzler Merz fordert mehr „Work“ und weniger „Life“

Die neue Bundesregierung macht Stimmung für eine Erhöhung der durchschnittlichen Arbeitszeit. Auch Wirtschaftsinstitute und selbst Gewerkschaften stimmen in die Forderungen ein. Das Konzept der Work-Life-Balance scheint dem Kapital nicht mehr in den Kram zu passen. – Ein Kommentar von Paul Gerber.

Erneut haben in den letzten Tagen Politiker der jungen Bundesregierung Vorstöße gegen den Status Quo der gesetzlichen Arbeitszeitregelungen in Deutschland gewagt. Der Tenor vor allem in Statements von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und dem Generalsekretär seiner Partei, Carsten Linnemann, ist dabei recht leicht zusammengefasst: Die Menschen in Deutschland arbeiten zu wenig.

Merz in gewohnt arbeiter:innenfeindlicher Manier

Wie es für den historisch unbeliebten Kanzler Merz typisch ist, lässt er, was seine wichtigsten politischen Ziele angeht, nicht locker, sondern glänzt mit markigen Worten. Vor dem CDU-Wirtschaftstag, also einer Versammlung von Wirtschaftsvertreter:innen in einem Berliner Hotel, äußerte Merz schon am 12. Mai: „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten. […] Mit 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.”

Wenig überraschend traf die Ansage nicht nur auf Zustimmung. Merz’ Generalsekretär Linnemann entwickelte offenbar folgerichtig Sorgen, dass sich die eine oder der andere, der/die sich mit Mitte 50 in die Arbeitsunfähigkeit geschuftet hat, verhöhnt vorkommen könnte. Also nahm er wenige Tage später im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland die Work-Life-Balance öffentlich in Schutz, stellte jedoch gleichzeitig in den Raum, dass es manchen Menschen in Deutschland aus seiner Sicht eher nur noch um eine „Life-Life-Balance“ gehe. Unterm Strich also die gleiche Botschaft mit leichter verdaulicher Wortwahl.

Die Deutschen: ein „faules Volk“?

Ergänzt wurden die Vorstöße aus der Kanzlerpartei noch mit einer Pressemitteilung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Das Wirtschaftsforschungsinstitut wird von den Kapitalistenverbänden BDA und BDI finanziert. Am 18. Mai vermeldete es, Deutschland sei bei der durchschnittlichen Arbeitszeit der Menschen in Deutschland pro Jahr im internationalen Vergleich zurückgefallen. Die Meldung prangert an, dass Polen, Griechen und Neuseeländer allesamt mehr arbeiten würden.

Die Meldung wurde vielfach in der Presse aufgegriffen und fälschlicherweise als „Studie“ bezeichnet. Vor allem aber wird sie in einen Zusammenhang gestellt mit den Vorwürfen deutscher Politiker:innen an das gemeine Volk, zu faul zu sein.

Dass eine der Ursachen für die angeführten Differenzen zwischen den Ländern eine deutlich höhere Teilzeitquote in Deutschland – vor allem bei Frauen und Müttern –  und nicht etwa ihre „Faulheit“ ist, wurde meist nur in Nebensätzen erwähnt. Ebenso, dass unklar ist, ob und wie unbezahlte Überstunden, Schwarzarbeit o.ä. in die Daten der OECD eingeflossen sind. Die Arbeiter:innen in Deutschland hatten im Jahr 2024 circa 552 Millionen bezahlte Überstunden und 638 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet.

Der Kapital freut sich

Unschwer zu erkennen ist, dass hier Stimmung für eine Erhöhung der durchschnittlichen täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit gemacht werden soll. Derartige Träume hegen die Vertreter:innen des Kapitals schon seit Jahren. Und mit der neuen Regierung haben sie hierfür offenbar einen Erfüllungsgehilfen gefunden.

Denn die Union-SPD-Koalition hat sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 40 Stunden und den 8-Stundentag als Norm aufzuweichen. Zu Gunsten der Kapitalist:innen versteht sich. Hier soll eine Annäherung an die Regelungen der EU geschehen, die 48-Stunden-Arbeitswochen (maximal) vorsehen.

Da passt es der Regierung und den Kapitalisten sicherlich gut in den Kram, dass die größten deutschen Gewerkschaften IG Metall und ver.di bereits auf den Regierungskurs einschwenken und unlängst ihre (nie umgesetzte) Forderung nach einer 4-Tage-Woche fallengelassen haben. Höchste Zeit also, organisiert und klassenkämpferisch für die eigenen Rechte zu kämpfen, wenn es sonst niemand für uns tut.

Paul Gerber
Paul Gerber
Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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