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KI am Arbeitsplatz – Was heißt das für Beschäftigte?

Die Nutzung von Sprachmodellen verdrängt zunehmend die klassische Google-Suche und hält auch immer mehr Einzug in Betrieben. Seit Februar müssen Unternehmen dafür sorgen, dass sich Beschäftigte bei Künstlicher Intelligenz weiterbilden, wenn sie beruflich diese Systeme nutzen. Eine Studie geht derweil davon aus, dass sich die Arbeitswelt durch KI stärker polarisieren wird. – Ein Kommentar von Thomas Stark.

Fotos von sich selbst in Cartoons umwandeln lassen; Medizinischen Rat einholen ohne zum Arzt zu gehen; Die lästige E-Mail automatisiert schreiben lassen: Immer mehr Menschen nutzen ChatGPT, DeepSeek und andere Sprachmodelle in ihrem Alltag – ob auf sinnvolle oder fragwürdige Art, zur Erleichterung ihrer Tätigkeiten oder zum Spielen. Microsoft, Google und Meta sind inzwischen mit eigenen KI-Tools nachgezogen.

DeepSeek, ChatGPT, Qwen, Gemini – Was passiert auf dem KI-Markt?

Mitte 2024 gaben 9 Prozent der Befragten in einer Statista-Umfrage an, dass sie ChatGPT mehrmals täglich nutzen. Weitere 18 Prozent taten dies immerhin mehrmals wöchentlich, während sich knapp 30 Prozent der Technik noch verweigerten. Im Beruf ist die Totalverweigerung für viele seit Februar nicht mehr möglich. Nach der neuen europäischen KI-Verordnung müssen Unternehmen jetzt dafür sorgen, dass Beschäftigte, die KI-Systeme nutzen, „über ein ausreichendes Maß an KI-Kompetenz verfügen“. Heißt im Gegenzug auch: Unternehmen können von ihren Beschäftigten verlangen, sich entsprechend zu schulen.

Viele Arbeiter:innen gerade in den klassischen Bürojobs stellen sich im Moment die Frage, ob KI-Tools ihre Jobs verdrängen könnten. Wer bei DHL anruft, weil er sein Paket vermisst, wird schon heute als erstes mit dem Voicebot „Jana“ verbunden, bevor ein echter Mensch am Telefon antwortet. Callcenter-Jobs gehören dementsprechend zu den Jobs, die heute durch Sprachmodelle als am meisten gefährdet gelten. Dies gilt ebenso für stark standardisierte Bürotätigkeiten wie etwa Lohnbuchhaltung oder Versicherungsabrechnung.

Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey aus dem vergangenen Jahr schätzt, dass bis 2030 rund 30 Prozent der aktuellen Arbeitsstunden durch Technologie und speziell generative KI automatisiert werden könnten. Entsprechend rechnen die Autor:innen im gleichen Zeitraum mit bis zu 3 Millionen Berufswechseln in Deutschland. Davon seien zu 54 Prozent administrative Bürotätigkeiten betroffen. 17 Prozent der Jobs, die vor der Automatisierung stünden, seien Tätigkeiten im Bereich Kundenservice und Vertrieb und 16 Prozent Tätigkeiten in der Produktion: Die technologische Entwicklung betrifft schließlich nicht nur Sprachmodelle, die automatisiert Texte, Bilder und Grafiken erstelle, sondern auch die klassische Werkshalle.

Neues Gesetz zur „Terrorismusbekämpfung“: KI, Datensammelwut und noch mehr Überwachung

Besonders für Beschäftigte in Niedriglohnberufen wie Bürohilfstätigkeiten erwarten die Unternehmensberater:innen die Notwendigkeit, neue Fähigkeiten zu erwerben. Die Nachfrage nach technologischen Skills, Fachkräften im naturwissenschaftlich-technischen Bereich sowie im Gesundheitswesen sehen sie dagegen bis 2030 um bis zu 25 Prozent steigen. Zwischenmenschliche Kompetenzen wie Empathie, Kommunikations- und Verhandlungsgeschick würden künftig ebenfalls mehr nachgefragt.

Es bestehe daher die Gefahr einer „stärkeren Polarisierung des Arbeitsmarktes mit mehr hoch bezahlten Arbeitsplätzen als qualifizierte Arbeitnehmende und zu vielen Arbeitnehmenden für bestehende Niedriglohnjobs“. In Europa würden Beschäftigte in den beiden untersten Lohngruppen drei- bis fünfmal so häufig den Beruf wechseln müssen wie Spitzenverdiener:innen. Aber auch die mittleren Lohngruppen müssten sich auf berufliche Veränderungen einstellen.

Auch andere Studien rechnen mit einer zunehmenden Polarisierung des Arbeitsmarktes. Die Einführung von KI dürfte also ebenso wenig menschenleere Büros und Fabriken erzeugen wie frühere technologische Entwicklungen. Für die Arbeiter:innenbewegung wird sie aber neue Herausforderungen dabei schaffen, die verschiedenen Beschäftigtengruppen zu organisieren. Dies wird die zentrale Aufgabe sein, und ChatGPT wird sie nicht lösen können.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 98 vom Mai 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

Thomas Stark
Thomas Stark
Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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