Als Teil einer alternden Gesellschaft wird der Pflegesektor in und für Deutschland immer relevanter. Trotz einer steigenden Zahl von Pfleger:innen wächst sowohl Arbeitsdruck als auch der Bedarf. Diese prekäre Situation wird mehrheitlich auf dem Rücken der Arbeiter:innen ausgetragen und immer häufiger auf ausländische Arbeiter:innen ausgelagert.
Deutschlands Pflegenotstand gilt als akut. So geht das Statistische Bundesamt davon aus, dass bis 2049 zwischen 280.000 und 690.000 Beschäftigte in der Pflege fehlen werden. Hauptgrund dafür sei der demografische Wandel. Demnach werde in den nächsten zehn Jahren ein Großteil der „Babyboomer“-Generation das Renteneintrittsalter erreichen.
Von besonderer Bedeutung ist, dass die geringere Schätzung von 280.000 fehlenden Arbeiter:innen bereits davon ausgeht, dass das für die Gesamtwirtschaft überdurchschnittliche Wachstum von Beschäftigten im Pflegesektor so weitergeht. Die höhere Schätzung von 690.000 geht hingegen von einer eher pessimistischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel aus. So oder so, der heutige Mangel wird sich in den kommenden Jahren um ein Vielfaches erhöhen.
„Freiwillige“ Pflege
Und dabei muss heute schon beachtet werden, dass Deutschlands Pflegesystem von zwei Faktoren im Besonderen aufrechterhalten wird. Das ist einerseits die „freiwillige“ Pflege durch Angehörige. Mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland werden von ihren Angehörigen „informell“ gepflegt. Den Großteil dieser Arbeit erledigen Frauen. Finanziell wird diese Tätigkeit mehrheitlich aus der eigenen Tasche bezahlt, finanzielle Übernahmen durch die Krankenkassen sind selten und Zuschüsse gering.
Umfrage: Pflegebelastung steigt – vor allem Frauen stark betroffen
Billige Pflege durch ausländische Arbeiter:innen
Die andere zentrale Säule des deutschen Pflegesystems sind die ausländischen Arbeiter:innen, auf deren Schultern ein Großteil der schwierigen und schlecht bezahlten Jobs des Landes liegt. Auch wenn die Pflege in den letzten Jahren einen vergleichsweise starken Lohnzuwachs verzeichnen konnte, bleiben Überstunden und maximale Aus- und Belastung de facto unangetastete Problemfelder. Da immer weniger deutsche Arbeiter:innen sich auf diese Jobs bewerben, gleichzeitig aber immer mehr Pfleger:innen für deutsche Pflegebedürftige gebraucht werden, kommen die Pflegeunternehmen nicht umhin, immer mehr Menschen aus anderen Ländern zu rekrutieren.
Inzwischen ist jede vierte Arbeiter:in in einem Pflegeheim nicht-deutscher Staatsbürgerschaft. Die Agentur für Arbeit geht davon aus, dass ohne ausländische Pfleger:innen das deutsche Pflegesystem kollabieren würde. Hinzu kommt, dass große Konzerne wie die Berliner Charité bereits eigenständig im Ausland auf Arbeiter:innenfang gehen.
Über spezielle Programme werden Menschen aus Ländern mit prekären Arbeits- und Lebensbedingungen angeworben, um hier in Deutschland dann der Pflege nachzugehen. Da die Ausbildung aber bereits im Heimatland geleistet werden muss, sparen sich deutsche Konzerne diesen Kostenfaktoren. Auch kann man an dieser Stelle von einem sog. „Braindrain“-Effekt sprechen, bei dem gut ausgebildete bzw. gebildete Arbeitskräfte aus Ländern mit geringeren Lebensstandards abgeworben werden.
In Ländern wie Deutschland müssen sie dann zumal oft unter schlechteren Bedingungen arbeiten und leben als ihre deutschen Kolleg:innen. Davon profitieren vor allem die Unternehmen, die bereits gut ausgebildete Arbeiter:innen zu niedrigeren Lohnkosten erhalten.