Beim „Leben.Würde“-Kongress in Schwäbisch Gmünd versammelten sich vom 9. bis 11. Mai verschiedene Akteur:innen der christlich-fundamentalistischen „Lebensschutz“-Bewegung. In der Innenstadt wurde eine Gegendemonstration für das Recht auf Selbstbestimmung organisiert. Zudem kam es wohl zu Aktionen mit Farbe und Buttersäure.
Vergangenes Wochenende hielten christliche Fundamentalist:innen zum zweiten Mal ihren Kongress „Leben.Würde“ in Schwäbisch Gmünd mit etwa 350 Teilnehmenden ab. Nach eigener Beschreibung konzentriert sich die Veranstaltung auf den „Lebensschutz“. Im Fokus steht dabei die Einschränkung und Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen. Der Kongress bietet, geschützt im abgelegenen christlichen Gästezentrum „Schönblick“, eine Vernetzungsmöglichkeit für bundesweit und international agierende Fundamentalist:innen verschiedener christlicher Glaubensrichtungen.
Veranstaltet wird der Kongress vom Gästezentrum „Schönblick“ selbst, von der evangelikalen Nachrichtenagentur „Idea“ sowie vom „Bundesverband Lebensrecht“. Letzterer ist ein Zusammenschluss deutscher „Lebensrechtsgruppen“ und veranstaltet jährlich den sogenannten „Marsch für das Leben“ in Berlin und Köln.
Das volle Programm: kirchlich, konservativ, kleinbürgerlich
Leitung, Speaker:innen und Teilnehmende reichen von katholischen Theolog:innen über evangelikale „Christfluencer:innen“ bis zu Vorsitzenden sogenannter Lebensrechts-Organisationen.
Neben dem römisch-katholischen Theologen und Bischof Stefan Oster war eine Schirmherrin des Kongresses die freikirchliche Influencerin Jana Highholder (bürgerlich Jana Hochhalter). Neben ihrer Tätigkeit als Ärztin veröffentlicht die 26-Jährige Videos über ihre Weltanschauung und ihre konservative Lebensweise auf YouTube und Instagram, wo sie zehntausende Follower hat. Abtreibungen halte sie „prinzipiell für egoistisch“.
Highholder glaubt, es gäbe nur zwei Geschlechter: „Mann und Frau“ und dass es „am besten“ sei, wenn ein Kind mit Vater und Mutter aufwachsen. In der Ehe sollte der Mann leiten, die Frau hingegen folgen und sich unterordnen.
Zur Leitung des Kongresses gehört unter anderem Hartmut Steeb, Mitbegründer des Bundesverbands Lebensrecht und ehemaliger Generalsekretär der Evangelischen Allianz in Deutschland. Steeb spricht sich für ein völliges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen aus. Er war aktiv bei der sogenannten „Demo für alle“, einer rechten Bewegung gegen die Aufnahme von LGBTI+ freundlichen Inhalten in den baden-württembergischen Bildungsplan. Im Rahmen der „Demo für alle“, die sich vor allem in Stuttgart ereignete, fand eine Zusammenarbeit mit AfD-Politiker:innen statt.
Einem Bekennerschreiben auf der Plattform Indymedia zufolge wurde Steebs Wohnort einige Tage vor dem Kongress mit dem Schriftzug „Steeb = Frauenfeind“ markiert und sein Briefkasten mit Bauschaum gefüllt. Der Bericht gibt Steebs Beteiligung am „Leben.Würde“-Kongress als Grund für den Angriff an, der ebenso wie die „Demo für alle“ und der „Marsch für’s Leben“ einen „Angriff auf unsere Selbstbestimmungsrechte” darstelle. „Als Frauen“ stelle man sich diesen „christlichen Fundamentalisten in den Weg“.
Zu den Referent:innen des Kongresses zählen unter anderem Paul Cullen, Vorsitzender der Organisation „Ärzte für das Leben“, und Thomas Renz, Bischof und Aufsichtsrat bei Pro Femina. Dieser Verein, dessen Name starke Ähnlichkeit zum Verbund von Beratungsstellen Pro Familia aufweist, beschreibt sich selbst als „kostenfreies, nicht-staatliches Beratungsangebot für Frauen im Schwangerschaftskonflikt“. Doch anders als Pro Familia stellt Pro Femina keinen sogenannten Beratungsschein aus, der meist für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch benötigt wird. Berichten zufolge steht im Fokus der Beratung bei Pro Femina nicht das Leben der ungewollt Schwangeren, sondern die Austragung des Embryos.
Viele der angebotenen Seminare beschäftigen sich mit dem Thema „pro Life“ und sollen den Teilnehmenden beibringen, in Gesprächen mit Einzelpersonen, in Unterrichtseinheiten an Schulen oder in medizinischen Berufen ihre Ideologie vermitteln und umsetzen zu können. Ein weiteres Seminar, angeboten von Cornelia Kaminski, Vorsitzende des Vereins „Aktion Lebensrecht für Alle“, beschäftigt sich kritisch mit Familienkonstellationen, die von der klassischen heterosexuellen Ehe abweichen. Weitere Themen im Programm sind die Ablehnung der Sterbehilfe und der angebliche Aufstieg des „Transhumanismus“.
Revolutionärer und feministischer Protest in der Innenstadt
Völlig ungestört konnten sich die christlichen Fundamentalist:innen jedoch nicht an ihren Tagungsort in Schwäbisch Gmünd zurückziehen. Denn ebenfalls zum zweiten Mal organisierte die Fraueninitiative Schwäbisch Gmünd, eine Initiative der Organisierten Autonomie, eine Demonstration gegen den fundamentalistischen Kongress. Motto der Demonstration war „Keinen Schritt zurück – sondern gemeinsam endlich einen Schritt voran!“.
Auftakt- und Abschlusskundgebung fanden zentral auf dem Marktplatz Schwäbisch Gmünd statt. Neben den Organisatorinnen hielten auch Medical Students for Choice Regensburg, Die Linke Schwäbisch Gmünd, die Antifaschistische Queere Aktion Stuttgart und die Organisierte Autonomie Stuttgart Redebeiträge. Mit etwa 300 Teilnehmenden zog die Demonstration unter lauten Parolen, mit Konfetti und Pyrotechnik durch die baden-württembergische Kleinstadt. Symbolisch rannte der Demonstrationszug durch eine Tapete mit der Aufschrift „Patriarchat durchbrechen“.
In ihrem Bericht schreiben die Veranstalter:innen: „Gemeinsam haben wir es geschafft, dass der ‘Lebensschützer’-Kongress in Schwäbisch Gmünd nicht ohne weiteres Aufsehen stattfinden konnte!“. Bereits im Vorfeld klärten sie durch einen Infostand auf und konnten ihre Positionen und Forderungen auch auf anderen Kanälen in die Öffentlichkeit tragen. Mit der zentralen Demonstration sei der Protest „sichtbar in die Stadt getragen“ worden.
Auch die verschiedenen Ortsgruppen der Föderation Klassenkämpferischer Organisationen (FKO) aus Freiburg und Stuttgart hatten zum Protest gegen den „fundamentalistischen ‘Leben.Würde’ Kongress“ aufgerufen und reisten zur Demonstration an. Nach Abschluss der Kundgebung seien sie dann von mehreren Polizeiautos verfolgt worden, berichtet Lea Fehner vom Frauenkollektiv. Und das, obwohl die Polizei nach eigenen Angaben für den Tag unterbesetzt war, sodass die Veranstalter:innen der Demo wohl selbst Straßenschilder zur Absperrung aufstellen mussten.
Trotzdem führten die Organisationen nach Beendigung der Kundgebung noch eine unangemeldete „die-in“-Aktion vor dem Schwäbisch Gmünder Rathaus durch. Dabei legten sich mehrere Frauen in Maleranzügen, die im Bereich des Schritts rot eingefärbt waren, reglos auf den Boden. Mit dieser Aktion machten sie auf die „über 40.000 Frauen weltweit“ aufmerksam, die jährlich an den Folgen der Illegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sterben.
Angeblicher Angriff auf Kongressgebäude mit Buttersäure
Zeitungsberichten zufolge fand etwa zeitgleich mit dem Protest in der Innenstadt ein Angriff mit vermutlich Buttersäure auf den Kongressort statt. So habe „eine Frau im Eingangsbereich und im Tagungsforum eine übelriechende Flüssigkeit verteilt“, berichtet die Rems Zeitung und beruft sich auf den Programmchef des Kongresses und einen Polizeisprecher. Mehrere Teilnehmende des Kongresses hatten daraufhin eine einzelne Tatverdächtige im umliegenden Wald kurzzeitig festgehalten und ihre Personalien aufgenommen.
Verhindert wurde der Kongress durch die Aktion zwar nicht, es bestand dadurch aber eine anhaltende Geruchsbelästigung. Vor allem beweist der Vorfall, ebenso wie die Proteste und Aktionen in der Innenstadt und im Vorfeld des Kongresses, dass Frauen weiterhin Widerstand gegen patriarchale Angriffe auf ihre Rechte leisten und dabei zu vielfältigen, auch militanten Mitteln greifen, um Frauenrechte und letztlich die Frauenrevolution zu verwirklichen.