Von Gaza bis Friedrich Merz, von Polizeikritik bis Politikverdrossenheit: Im Megalodon-Remix rappen über 40 Artists gegen alles, was sie wütend macht. Der Remix von „bissu dumm ¿“ ist laut, voll und widersprüchlich – ein Spiegel der Szene und vielleicht der Gesellschaft. – Ein Kommentar von Marius Fiori.
Über 40 Rapper:innen spitten für rund 20 Minuten den größten Remix der jungen Deutschrapgeschichte zusammen, orchestriert vom Hamurger Rapper Bonez MC. Der Hamburger Rapper kommt selbst nicht umhin, die ganze Sache als „Deutschrap Moment des Jahres“ zu bezeichnen.
Der Megalodon Remix an sich ist lediglich ein Remix des Ende März erschienen Lieds „bissu dumm ¿“ von Bonez MC und Nate57 – einer Deutschrap-Legende, die sowohl mit antikapitalistischen Inhalten glänzte, aber auch mit Verschwörungserzählungen auffiel.
Mit dem dazugehörigen Video und zwei „behind the scenes“ Vlogs kommt man als Deutschrap-Fan contentmäßig also auf die vollen Kosten. Das zeigt sich auch in den Zahlen. Das Video erreichte in kürzester Zeit über eine Millionen Klicks und landetet in den Trends auf Platz 1. Auch die Spotify Streamingzahlen können sich sehen lassen.
Von Urgesteinen bis zu aufsteigenden Stars
Die Featuregäste könnten unterschiedlicher nicht sein. Gegenwärtig steigende Rapsternchen wie Ski Aggu rappen ihren Part direkt vor dem des alteingesessenen Frankfurter Duos Celo & Abdi. Bei dieser Auflistung wird manch einem schon klar – das ist nun wirklich ein sehr vielseitiges Spektrum an Künstler:innen.
Doch mit Die P Und Juju haben es lediglich zwei weibliche Rapperinnen auf den Remix geschafft. Am mangelnden Angebot an rekordbrechenden Rapper:innen kann dies jedoch nicht liegen, zumindest wenn man sich die jüngsten Erfolge von Künstlerinnen wie Shirin David, Nina Chuba oder Wa22ermann anschaut. Wa22ermann hatte sogar einen versprochenen Part, der auch medial angekündigt wurde. Auf dem letztendlich veröffentlichten Track ist sie aber nicht zu hören.
Jedem und jeder Künstler:in steht auf dem Song ein „Achter“-Part zu. Das bedeutet acht Verse, in denen neben Weltpolitik und Friedrich Merz auch noch Geflexe und Selbst-Repräsentation Platz finden muss. Quasi der gute Ton des Deutschrap. Aber lässt sich überhaupt ein Themenstrang kohärent feststellen?
Politische Statements
Viele Parts rechnen mit der im Entstehungzeitraum gegenwärtigen innenpolitischen Lage Deutschlands ab. Das bezieht sich vor allem auf die letzte Bundestagswahl und deren Ergebnis. Im Zuge des Erstarkens rechter Ideologien findet auch der Genozid in Gaza und dessen deutsche Mitschuld mehrfach Erwähnung.
Hinzu kommt noch ein stetiges Politiker-Bashing, denn „Rap regiert alles, scheiß auf Bundestag“ (Jan Delay/ Eizi Eiz), weil „Politiker könn’n uns nichts verbieten mit Gesetzen“ (Ski Aggu). Makko schildert die Chancenlosigkeit eines Freundes als Ausdruck gesellschaftlicher Ungleichheit, Massiv rapt gegen die AfD und bringt seine politische Haltung mit „PLO-Stickern“ zum Ausdruck.
Dieses Motiv des Ungehorsams, des Widerstands gegen das einengende kapitalistische System mit seinen Sachzwängen, ist im Remix allgegenwärtig, was nicht nur die Ski Aggus Line zeigt. Auch die Hook (Refrain), vorgetragen von Bonez MC, verfolgt ähnliche Motive: „Wir sind eh nicht frei und deshalb jeden Tag high/ weil das ganze System ist wie Knast.“
Der Ungehorsam beziehungsweise die fehlende Anpassung führt also zum Drogenkonsum – die wohl niedrigste Widerstandsschwelle hin zur Abgrenzung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft. Unsere lieben Deutschrapper:innen präsentieren sich hier dementsprechend als ebenso Gefangene und Geplagte des kapitalistischen Systems – Menschen wie wir!
AK 33 ist auch davon überzeugt, dass der vorgeschrieben kapitalistische Weg der harten Arbeit und stetigen Aufopferung für Menschen aus einer niedrigeren gesellschaftlichen Schicht nicht funktionieren kann: „Geboren im Pech, wir klaun’ unser Glück“, rapt der Frankfurter.
Rappen über die kapitalistische Realität
Damit endet aber keineswegs die Schlussfolgerung vieler Parts, so zum Beispiel der von Deutschrap-Altmeister Azad: „Komm mit fünftausend Biras und wir machen Welle/ Bau’ ne Keule und geb’ Merz eine Nackenschelle.“ Wir lernen also, Drogenkonsum führt nicht zwangsläufig in die politische Handlungsunfähigkeit – schließlich klebt sich Massiv auch mit PLO-Stickern durch ganz Berlin.
Ausgerechnet Partysänger FiNCH liefert mit seinem Part eine knallharte Analyse von Klassenunterschieden und kapitalistischer Erfolgslüge; „Wir soll’n Vater Staat ernähr’n, zahl’n hunderte Million’n / Damit im Gaza Kinder sterben und der Bundestag nur kokst / Doch „Du schaffst es ganz nach oben“ ist nur ’ne dumme Illusion / Damit die Reichen reicher werden, ackert die Unterschicht sich tot“.
FiNCH entzaubert in seinem Part nicht nur das neoliberale Erfolgsversprechen, er gibt auch der Politikverdrossenheit vieler (Ost-)deutscher eine Stimme und rapt: „Wer jahrelang die Leute tritt / Muss sich nicht wundern, wenn bei Wahl’n das Volk die Scheiße nicht vergisst“. Dies klingt sehr nach dem Versuch einer Erklärung für das Erstarken der AfD, in diesem Kontext wohl insbesondere im ostdeutschen Raum.
Auch vor Lines gegen andere Rapkolleg:innen wird kein Halt gemacht, so rappt Vega: „Deutsche Rapper hängn irgendwo auf Parteitermin/ Kein Vadder, Kein Staat, Mutter war alleinerziehend“. Vega kritisiert Rapper, die sich politisch vereinnahmen lassen – vermutlich mit einem Seitenhieb auf Fler, der sich mit Philipp Amthor zeigte.
Juju reflektiert ihre Kindheit in Berlin-Neukölln, geprägt von familiärer Vernachlässigung und staatlichem Desinteresse – eine Story, die sich in vielen Raptexten wiederfindet. Auch Eno beschreibt Racial Profiling nach dem sozialen Aufstieg: „Der Bulle guckt schief, weil er weiß, er war nie Abiturient.“
Skandal-Rapper inklusive
Auf dem Megalodon-Remix rappen auch Künstler:innen, die in den letzten Jahren eher weniger positive Schlagzeilen machten. Neben dem allzu beliebte Verbreiten von Verschwörungstheorien – Nate57 (über Corona), Olexesh (über die Form des Planeten Erde) oder Celo & Abdi (über die Rothschilds) – existieren auch wesentlich schwerwiegendere Vorwürfe.
2021 beschuldigte die Influencerin Nika Irani den Rapper Samra in mehreren Videos auf Instagram sie in seinem Studio im Jahr zuvor mehrfach vergewaltigt zu haben. Samra erwirkte eine einstweilige Verfügung und bestritt die Vorwürfe, Irani wurde auch vehement dazu aufgefordert eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen.
Iranis Offenheit und Aktivismus führte zur Bildung der Initiative #Deutschrapmetoo, welche es sich fortan zur Aufgabe machte Übergriffe in der Rapszene aufzudecken. Mehrere hundert Betroffene haben sich über die Jahre angesammelt, die Summe beschuldigter Künstler beläuft sich um die 70. Die Enthüllungen rund um das „Row-zero“-System von Rammstein Frontmann Till Lindemann brachte die Organisator:innen der Initiative dazu, sich gänzlich der deutschen Musikindustrie in ihrer Arbeit zu öffnen.
Gegen den Staat, aber nicht konsequent gegen das System
Neben Drogenkonsum, Aufstiegsfantasien und Akzeptanzforderungen bleibt das ein weiteres Problem: die Unfähigkeit der Abgrenzung. Dass hier keine teilnehmende Person eine blütenweiße Weste trägt, ist vollkommen klar. Hier geht’s ja auch um die ach so wichtige Kredibilität. Dass es aber alles andere als kredibel ist reaktionäres und patriarchales Gedankengut in Kunstform zu verpacken, ist wohl noch nicht ganz angekommen. Denn wer sich gegen das System richten will, darf sich nicht auf einzelne Ausprägungen der Unterdrückung beschränken.
Neben allem ist aber schön, dass sich auch aufs Wesentliche des Rap und HipHop konzentriert wird. Als eine der politischsten Musikrichtungen, die sich in ihrer noch jungen Historie mit stetigen Gegenwind auseinandersetzen musste, hat Rap auch eine Aufgabe – er muss kritisch und bissig bleiben. Um mit Azads Worten zu enden: „P.E. und Antifa, wir sind im Herz vereint/ Nehm’n alles auseinander, so als wär der erste Mai, Fight the power, Dicka“