Etwa 6,3 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Anspruch auf Mindestlohn. Trotzdem bekommen Millionen Arbeiter:innen weniger Geld. Wie kann das sein?
Genaue Zahlen sind nicht leicht festzustellen, doch laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verdienten im Jahr 2021 rund zwei Millionen Menschen weniger als ihnen rechtlich zusteht. Selbst nach eigenen Angaben der Kapitalist:innen waren es im Jahr 2022 rund 800.000 Arbeiter:innen, so die Verdiensterhebung.
Eines der Mittel, wie sich die Firmen vor dem Mindestlohn drücken, ist das falsche Dokumentieren von Arbeitszeiten: Pausen, Sonderstunden, Überstunden und Rüstzeiten werden oftmals nicht dokumentiert. Des weiteren werden Beschäftigte unter falscher Bezeichnung als Praktikant:innen, Selbstständige oder Auszubildende geführt. So wird der Schein erzeugt, als hätten sie keinen Anspruch auf Mindestlohn.
Arbeiter:innen wissen davon meistens entweder selbst nichts, oder aus Angst, die eigene Arbeit zu verlieren, stimmen einige Betroffene diesen Betrugsmaschen sogar zu.
Weitere beliebte Methoden der Firmen sind Werkzeuge und Arbeitskleidung, die sich die Beschäftigten selbst kaufen müssen oder überhöhte Kosten für Material und Verpflegung, die vom Lohn abgezogen werden.
Das Nichtbezahlen von unerfüllbaren Leistungsaufgaben ist eine weitere Praxis des Lohnraubs: dabei soll ein bestimmtes Pensum an Arbeit geleistet werden, das in der vorgesehenen Arbeitszeit schlichtweg nicht erreicht werden kann. Darum kommt es zu Mehrarbeit, die allerdings nicht bezahlt wird. Auch kommen Lohnabzüge wegen „schlechter Arbeit“ oder anderer fadenscheiniger Argumente zustande.
Aufklärung durch den Staat? Fehlanzeige!
Kontrolliert werden könne dies kaum, teilt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls (FKS) mit. Diese leitete letztes Jahr 2.759 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns ein, was allerdings nur einen sehr kleinen Teil der tatsächlich stattfindenden Betrüge aufdeckt. Aktuell finden vor allem bundesweite und regionale sogenannte Schwerpunktprüfungen an, die aufgrund von zu wenigen Mitarbeitenden nur im kleinen Rahmen möglich sind.
Der Mindestlohnbetrug betrifft einige Arbeiter:innen besonders hart: laut DIW gehören dazu unter anderem Frauen, Beschäftigte mit Migrationshintergrund oder einem geringen Bildungsgrad, junge Arbeiter:innen und Senior:innen, sowie Ostdeutsche.
Besonders verbreitet ist der Mindestlohnbetrug im Bauwesen, dem Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe sowie bei Speditionen und in der Gebäudereinigungsbranche. Allgemein kommt Mindestlohnbetrug in Kleinbetrieben häufiger vor.
Legaler Mindestlohnbetrug
Doch auch neben dem nicht zugelassenen Mindestlohnbetrug findet eine legale systematische Ausbeutung statt: Auszubildende, FSJ-ler und Menschen, die auf dem zweiten Arbeitsmarkt arbeiten – beispielsweise in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Werkstätten für Menschen mit Behinderung – wird oftmals nicht einmal ein Drittel des Mindestlohns gezahlt. Erklärt wird dies mit verschiedensten Argumenten.
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Klar bleibt jedoch, dass auch in diesen Tätigkeitsfeldern Arbeit geleistet wird und diese sich oft auch nicht unterscheidet von derjenigen Arbeit, die Vollbeschäftigte leisten. So werden die oben Genannten z.B. gern als billige Arbeitskräfte bei Personalmangel eingesetzt.
Auf dem zweiten Arbeitsmarkt wird so massiv Geld eingespart, und die Gewinnmargen erhöhen sich durch die niedrigeren Produktionskosten.
Mindestlohnerhöhung – nicht mit dem deutschen Kapital
Aktuell wird über eine Mindestlohnerhöhung diskutiert, die für das Jahr 2026 potenziell anstehen könnte: die SPD fordert für das kommende Jahr eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro – mit dieser Forderung machte man auch Wahlkampf.
Nun stellen sich jedoch Kapitalverbände, sowie die Unionsparteien quer: Steffen Kampeter, Chef der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), bezeichnet die Forderung als „politisches Harakiri“ und verlangt, „die Regierung sollte uns Sozialpartner in Ruhe arbeiten lassen“.
Auch von Seiten der CDU/CSU wurde in diesem Bereich immer weiter von einer substantiellen Mindestlohnerhöhung zurückgerudert. So erklärte Kanzler Merz bereits im April, dass die Erhöhung oder Senkung des Mindestlohns Aufgabe der Mindestlohnkommission sei, die autonom agiere. Zur Mindestlohnkommission gehört eben auch die BDA.
Seit Ende 2022 hat sich der Mindestlohn gerade einmal von zwölf Euro auf 12,82 Euro erhöht, also um weniger als 7 Prozent. Laut dem Statistischen Bundesamt ist der Verbraucherpreisindex seitdem allerdings um mehr als 8 Prozent gestiegen. Noch drastischer wird es, wenn man sich Verbraucherpreise in einzelnen Bereichen anschaut: so haben sich Lebensmittel seitdem um mehr als 14 Prozent verteuert.
Ebenso muss man bedenken, dass der Verbraucherpreisindex auf der Grundlage eines Gesamtdurchschnitts berechnet wird. Erschwingliche Produkte mit niedrigen Preisen – gerade im Lebensmittelbereich – haben sich im Schnitt allerdings deutlich stärker verteuert als hochpreisigere Produkte.
Zusammenfassend kann man also feststellen, dass Arbeiter:innen, die auf den Mindestlohn angewiesen sind, über die letzten Jahre massiv an Kaufkraft verloren haben und die Mindestlohnerhöhungen diese Verluste nicht abfedern können.