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Morddrohungen und Vergewaltigungsfantasien im Netz: Aus dem Alltag einer Rapperin

Misogyner Hass und Hetze sind nichts Neues in der Musikbranche, besonders im Deutschrap. Doch so manche Künstlerinnen scheint es mehr zu treffen als andere. Warum ist Ikkimel eine besondere Zielscheibe für patriarchale Gewaltfantasien? – Ein Kommentar von Ellie Kopmann.

Morddrohungen, sexistische Beleidigungen, und Androhungen schwerer sexualisierter Gewalt. Nachrichten und Kommentare, die die deutsche Rapperin Ikkimel in Mengen auf Social Media erreichen.

Die junge Berlinerin steht dabei immer wieder in den Schlagzeilen: Ob es ihre Texte sind wie „Steh auf blaue Flecken, außer auf der Wahlkarte“, ihre Outfits, Bühnenpräsenz oder ihre allgemeine Selbstinszenierung. „Ikki“ eckt an und schafft es dabei, bei ihren Fans ein Image des „Selbst-Empowerments“ und der „Emanzipation“ zu schaffen. Dass eine derartige starke Selbstsexualisierung aber durchaus problematisch ist, scheint bei vielen nicht so präsent zu sein.

Rechtfertigt Selbstsexualisierung patriarchale Hetze?

Natürlich nicht. Wenn man einmal betrachtet, welche Künstler:innen den größten Hass im Netz erfahren, lässt sich ein deutliches Muster erkennen. Zum einen ist auffällig, dass Frauen in der Öffentlichkeit ein bestimmter Wert zugesprochen wird – abhängig von ihrem Auftreten und ihren Inhalten. Frauen, die sich in der Öffentlichkeit „benehmen“ und dem bürgerlichen Traum-Rollenbild einer braven Frau entsprechen, bekommen weniger Hass zu spüren als diejenigen, die aus dieser Rolle ausbrechen (oder es zumindest versuchen). Vor allem wenn das bedeutet, Sex, Partys und Drogenkonsum als Dreh- und Angelpunkt der eigenen Inhalte zu nutzen.

Shirin Davids „Bauch Beine Po“ – Ist das Empowerment und Frauensolidarität?

Selbstsexualisierung sowie eine Verherrlichung von patriarchaler Gewalt sind dabei ein immer größer werdender Trend. So sang auch die Künstlerin Zsá Zsá in ihrem neuesten Song von „Ich find’s ’n kleines bisschen heiß, wenn er mir droht“ – nach einem kleinen medialen Aufschrei änderte sie die Textstelle von „droht“ zumindest kurzzeitig zu „choked“. Was daran besser sein soll, bleibt fraglich.

Die Frage bleibt: Warum eigentlich?!

Selbstsexualisierung und deren Verknüpfung mit vermeintlicher Selbstermächtigung lässt sich auf eine tiefverankerte patriarchale Sozialisierung zurückführen. Dazu kommt ein gewisser ökonomischer Druck: Frauen schaffen es in der Entertainmentbranche meist nur weit, wenn sie das von ihnen geforderte Bild einer „typischen Frau“ erfüllen. Das Ganze dann mit vermeintlich fortschrittlichem Feminismus zu verknüpfen, ist profitabel.

Nicht nur der Markt, auch die Zuschauerschafft liebt es: ob es junge woke Männer sind, die auch endlich mal ohne Scham sexistische Texte mitgröhlen dürfen (denn es kommt ja selbst von einer Frau) oder junge Frauen und LGBTI+ Personen, die Ikkimel und ihre Musik als „feministischen Akt der Selbstermächtigung“ abfeiern. Diesen Trend sehen wir nicht nur in Deutschland, sondern auch international, wie z.B. in den USA.

„Erhäng dich du hässliche f*tze“

Doch profitabel in der Entertainmentbranche bedeutet eben nicht nur positive Reaktionen und viele Fans, sondern auch der Hass und die Hetze, den die Frauen abbekommen. Das pusht die Zahlen und kurbelt den Algorithmus an: Mehr Geld für das Label und alle, die dahinterstecken. Was nicht davon ablenken darf, was für Auswirkungen derartige Kommentare auf die Frauen haben. Dabei kommt die Hetze gegen Ikkimel natürlich nicht ausschließlich von Männern, jedoch zu einem großen Teil.

Das Cybermobbing gegen sie könnte menschenverachtender nicht sein. Jeglichen Hass und Frustration, natürlich auch durch mangelndes Selbstwertgefühl und patriarchale Sozialisierung der Männer, wird bei den Frauen abgeladen. Denn die haben es ja sowieso „verdient“, zumindest aus Sicht eines übergriffigen Mannes. Jegliche Vergewaltigungs- und Mordfantasien erreichen die Künstlerin. Ihr Umgang damit: Sie veröffentlicht in einem Instagram-Post die Nachrichten und Kommentare und will damit transparent die Realität zeigen, die sie tagtäglich durchleben muss.

Darunter sind stumpfe, misogyne Beleidigungen, Vergewaltigungsfantasien oder auch direkte Androhungen von Mord. Auch etliche andere weibliche Künstlerinnen, Influencerinnen oder Streamerinnen können von ähnlichen Geschichten erzählen.

Patriarchat im Netz: Über Hetzkampagnen auf X und Frauenhass auf Twitch

Patriarchales Verhalten, Hass und Hetze erfahren alle Frauen. Unsere Reaktion in diesem Fall sollte immer der Widerstand sein – denn patriarchale Hetze, egal ob im Netz oder im echten Leben, ist nie gerechtfertigt, verständlich oder „verdient“. Auch wenn wir Kritiken an Ikkimel oder anderen zum Teil problematischen Künstlerinnen haben, so wissen wir doch, dass nicht die Frauen unsere Feinde sind. Der Feind ist und bleibt das Patriarchat und dessen Fühler, die sich in jeden Bereich unseres Lebens und Systems ausstrecken.

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