Der US-amerikanische Kardinal Robert Prevost ist zum neuen Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt worden und nahm den Namen „Leo XIV.” an. Er gilt als Vertrauter des vorherigen Papstes Franziskus und wird in vielerlei Hinsicht seine teilweise reformerische Politik fortführen. Das Erfolgsrezept der Kirche in einer Welt voller Kriege und Krisen? – Ein Kommentar von Ali Najjar.
Im feudalen Europa des Mittelalters war der Papst, der ranghöchste Priester der katholischen Kirche, noch einer der mächtigsten Monarchen des Kontinents. Heutzutage übt er absolute Macht nur noch im Stadtstaat des Vatikan aus und ist ansonsten das geistige Oberhaupt für über 1,4 Milliarden katholische Christ:innen auf der Welt. Die Zahl der Anhänger:innen wuchs zuletzt sogar leicht an.
Dadurch hat das Wort des Papstes noch immer global politisches Gewicht – auch bei Staatsführer:innen der imperialistischen Länder. Gerade die diplomatische Macht, die mit dem Amt einhergeht, ist beträchtlich – von den Besitztümern und dem Vermögen der katholischen Kirche (geschätzte 73 Milliarden US-Dollar) ganz zu schweigen.
Ein Kompromiss für die kommenden Jahrzehnte
Mit Robert Francis Prevost, nun Leo XIV., ist ein Papst aus dem Wahl-Ritual („Konklave”) in Rom hervorgegangen, über den die Medien schon als möglichen Kandidaten spekuliert hatten, obgleich er nicht als Favorit gehandelt wurde. Er ist der erste US-Amerikaner auf dem „Heiligen Stuhl”. Ausgebildet wurde er in Peru und hat in seinen politischen und sozialen Ansichten viele Ähnlichkeiten mit Papst Franziskus, der Ende April nach längerer Krankheit verstorben ist. Ein guter Kompromiss also für das Konklave.
Aller Voraussicht nach signalisiert die Wahl von Prevost ein „weiter-so“ in der katholischen Kirche. Die Befürchtung einiger Stimmen, dass auf Franziskus ein besonders konservativer Papst mit Bezügen zu rechten Bewegungen in Europa und den USA folgen könnte, hat sich damit nicht bewahrheitet.
Päpste werden in der Regel auf Lebenszeit gewählt. Mit 69 Jahren ist Leo XIV. als Papst relativ jung und könnte noch einige Jahrzehnte im Amt bleiben. Papst Leo hat sich zum Beispiel in seinem Wirken als Priester in Peru einen Ruf gemacht, Nähe zu den Armen und Entrechteten zu suchen. In sozialen Fragen wird man jedoch keine radikalen Gesten erwarten können.
Politisch hat sich Prevost zwar sehr kritisch gegenüber Trump und dessen Vizepräsidenten JD Vance geäußert und sich für eine offenere Migrationspolitik in seinem Geburtsland, den USA, ausgesprochen. Andererseits machte er auch schon homophobe Aussagen und gilt als Abtreibungsgegner, was unter katholischen Klerikern eher Mainstreampositionen entsprechend dürfte. Auch wird dem Papst in seiner früheren Position als führenden Geistlichen ein falscher Umgang mit Missbrauchsfällen in der Kirche vorgeworfen.
Vorbilder und Befreiungstheologie
Ein weiterer Hinweis, in welche Richtung es geht, stellt der Name des neuen Papstes dar. Mit der Namenswahl deuten die Päpste an, welche historischen Vorbilder ihre Amtszeit prägen werden. Der letzte Papst Leo, Leo XIII., wurde bekannt dafür, dass er im späten 19. Jahrhundert die bis heute einflussreiche Soziallehre der katholischen Kirche prägte.
Diese politisch-soziale Ausrichtung erkennt die Klassenverhältnisse als Folge der zunehmenden Industrialisierung in Europa an und fordert einen Ausgleich und Kooperation zwischen den Besitzenden und den Arbeitenden. Während sie Auswüchse des Kapitalismus kritisiert und Reformen vorsieht, ist sie gleichzeitig explizit antikommunistisch und verwirft den Sozialismus als System der proletarischen Klassenherrschaft.
Diese Lehre wurde immer deutlicher ab den 1960er Jahren von Vertreter:innen der sogenannten Befreiungstheologie aus Südamerika kritisiert. Sie leiteten aus dem christlichen Wert – in Solidarität mit Armen und Unterdrückten zu stehen – auch manchmal einen Appell zum Klassenkampf ab. Einige Priester aus dieser Strömung, die eher aus den unteren Rängen der Geistlichkeit kamen, sprachen sich sogar für den bewaffneten Kampf gegen Unterdrückung und faschistische Regime in Südamerika oder auf den Philippinen aus. Nicht wenige von ihnen wurden von rechten Milizen oder Regierungen ermordet. Einige prominente Vertreter wurden aus Rom wegen ihrer “aufwieglerischen” Ideen, die oftmals Bezug nahmen auf den Marxismus, und ihre scharfe Kritik an der Kirche zurechtgewiesen und sanktioniert.
Gefangen im System: Hinter den Kirchenmauern
Weder Leo XIV. noch Franziskus vor ihm gelten als Anhänger der Befreiungstheologie in diesem spezifischen und radikalen Sinne, sondern eher als reformorientiert in einigen sozialen Fragen im Rahmen der katholischen Soziallehre. Beide haben sich jedoch für eine Stärkung der unteren Ebenen der Kirchenhierarchie gegenüber den oberen Rängen eingesetzt, sowie eine Zusammenarbeit der Kirche mit sozialen Bewegungen gefördert. Franziskus hat sich häufig für soziale Belange stark gemacht und etwa auch während des Genozids in Palästina Kontakt zu christlichen Gemeinden in Gaza gehalten.
Doch die katholische Kirche kann sich nach wie vor nur bis zu einem gewissen Grad zu kritischen Fragen verhalten – und vor allem agieren – ohne ihr Machtgefüge zu gefährden. Das gilt sowohl für ihre Rolle in Klassenfragen, Kriegen, Frauenrechten und den Rechten von LGBTI+ Personen. Ob ihre neuesten taktischen Zugeständnisse reichen, um im 21. Jahrhundert relevant zu bleiben, ist mehr als fraglich.
Die Bilanz ist ernüchternd: Während schon sein Vorgänger Franziskus medienwirksam über Barmherzigkeit sprach, werden LGBTI+ Personen weiter diffamiert und Missbrauchsopfer im Stich gelassen. Dessen Amtszeit offenbarte die Grenzen kirchlicher Reformfähigkeit – und wie eine Institution durch symbolische Gesten ihre Macht zu erhalten versucht, ohne echte Konsequenzen zu ziehen. Unter diesem Eindruck steht sie nun auch unter dem nächsten „Reformer“ Papst Leo.