Wegen einer Veröffentlichung zu rechtsradikalen Chat-Verläufen soll die Wochenzeitung Kontext Schadensersatz zahlen. Diese schützte ihre Informant:innen bis zuletzt. Das Klima der Abschreckung gegen antifaschistischen Journalismus wird immer stärker. – Ein Kommentar von Aziza Mounir.
Leser:innen lokaler Nachrichten aus der Region Stuttgart ist die spendenfinanzierte Wochenzeitung Kontext vielleicht ein Begriff. Seit mehr als 10 Jahren wird dort z.B. über Naziaufmärsche oder Umweltbelange im Ländle berichtet.
Im Mai 2018 veröffentlichte sie einen Artikel, der Chat-Verläufe mit „rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen“ Aussagen zeigt. Sie schreiben die Aussagen einer namentlich benannten Person zu. Bei der Person handelt es sich um einen ehemaligen Mitarbeiter zweier früherer AfD-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag.
Gericht urteilt gegen antifaschistischen Journalismus
Mit der Begründung, die Berichterstattung stütze sich auf die Datei eines Hackers, muss „die Authentizität der Datei und die Vertrauenswürdigkeit des Hackers besonders sorgfältig geprüft werden“. Weiter heißt es in der Presseerklärung zum Prozess: „Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit heute veröffentlichter Entscheidung die Beklagten zum Unterlassen verurteilt, da sie nicht nachgewiesen haben, dass die Chat-Inhalte tatsächlich vom Kläger stammten“.
Die Berichterstattung greife in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ein. Mit dieser Argumentation verurteilte das Landgericht die Wochenzeitung zu einer Schadensersatzzahlung von 25.000€ plus Zinsen sowie zum Tragen der Kosten des Verfahrens, die sich auch im fünfstelligen Bereich bewegen. Vor allem nachdem das Gericht den Streitwert des Verfahrens kurzerhand von 260.000 Euro auf 480.000 Euro verdoppelte.
Quellenschutz und öffentliches Interesse vs. „allgemeines Persönlichkeitsrecht“
In dem Urteil wurde in der Abwägung des Gerichts der Quellenschutz dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht untergeordnet. Dass diese Abwägung nicht nur schwarz-weiß ist, zeigt ein Urteil aus früheren Instanzen. Das OLG Karlsruhe z.B. sieht es in seinem Urteil von 2019 von der Autorin des Artikels als hinreichend glaubhaft dargelegt, dass die Chat-Protokolle authentisch sind. Doch das war dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main anscheinend nicht genug.
Außerdem überwog in diesem früheren Urteil damals noch das „Informationsinteresse der Öffentlichkeit“ gegenüber dem „Schutz der Vertraulichkeitssphäre des Klägers“. Dafür spricht nach wie vor, dass es sich um einen Mitarbeiter von ehemaligen AfD-Abgeordneten handelt. „Denn mit Rücksicht auf die Diskussion um rechtsextreme Bestrebungen im Umfeld der AfD leisten die beanstandeten Presseartikel einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“, hieß es damals in der Begründung des Gerichts. Was hat sich geändert?
Drohkulisse gegen Journalist:innen
Die im Mai 2025 veröffentlichte Rangliste der Pressefreiheit von Reportern ohne Grenzen beschreibt, wie in Deutschland vor allem Journalist:innen gefährdet sind, die sich mit rechtsradikalen Milieus und Parteien wie der AfD auseinandersetzen. Sie werden beleidigt, bedroht und sollen so eingeschüchtert werden.
Nun können solche Milieus anscheinend auch auf die Justiz setzen. Denn Gerichtsurteile wie gegen Kontext haben vor allem einen Effekt: Abschreckung. Journalist:innen müssen sich nun doppelt und dreifach damit rumschlagen, wie sie solche Recherchen veröffentlichen. Falls dagegen gerichtlich vorgegangen wird, zeigt dieser Prozess beispielhaft, worauf sie sich im Zweifel gefasst machen müssen. So musste sich z.B. auch Perspektive-Online mit einer Unterlassungsklage der neofaschistischen Partei III. Weg gerichtlich auseinandersetzen.
Kampf gegen den Rechtsruck, Prozesse gegen Linke
Am Ende des Tages geht es aber nicht grundsätzlich um rassistische Facebook-Chats, antisemitische Memes oder frauenverachtende Kommentare. Denn so eine Gesinnung hört nicht nach dem Zuklappen des Laptops auf. Es geht darum, dass Parteien wie die AfD diese Hetze in Parlamente, Politik und Gesellschaft übersetzt. Regierungsparteien wie die CDU/CSU mit ihrem 5-Punkte-Plan waren bereits kurz davor, eine solche Politik in die Tat umzusetzen.
Es geht außerdem darum, dass Gerichte eben sehr wohl politische Prozesse führen: Gegen unabhängige Journalist:innen, die die Öffentlichkeit über Bedrohungen aus der rechten Szene warnen wollen. Oder gegen in Deutschland inhaftierte Antifaschist:innen, die um eine Auslieferung nach Ungarn bangen müssen. Kontext prüft daher aktuell die Erfolgsaussichten bei weiteren rechtlichen Schritten und freut sich über finanzielle Unterstützung.
Dank „Spenden aus der Community“ konnte Kontext Beschwerde beim Bundesgerichtshof einreichen. Zudem wolle man anfangen, ein Rechercheteam aufbauen, um rechtsextreme Netzwerke zu beleuchten. Nach dem Motto „Jetzt erst recht“.