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Ruhe in Kaschmir? – Die Lage nach dem Waffenstillstand

Nach einem mutmaßlichen Terroranschlag im April eskalierten die kriegerischen Feindseligkeiten zwischen Indien und Pakistan um die Region Kaschmir. Anfang Mai wurde dann ein Waffenstillstand ausgerufen. Die Aussichten auf Frieden bleiben gering.

Seit der Aufteilung Britisch-Indiens in einen hinduistischen und einen muslimischen Staat im Jahr 1947 kommt es in der ethnisch und religiös diversen Region Kaschmir zu Auseinandersetzungen. Insgesamt vier direkte Kriege wurden zwischen Indien, Pakistan und China um die Region Kaschmir geführt und eine Vielzahl von Anschlägen verübt. Indien und Pakistan beanspruchen jeweils das komplette Gebiet, kontrollieren aber nur eine Seite des aufgeteilten Kaschmirs. Auch China kontrolliert einen kleinen Teil im Norden Kaschmirs und wird diesen auch nicht abgeben.

Im indisch kontrollierten Teil wurden im April bei einem Anschlag auf Tourist:innen 29 Menschen getötet. Dies ist der tödlichste Angriff in Kaschmir seit 20 Jahren. Indien macht Pakistan verantwortlich, was die pakistanische Regierung aber bestreitet. Anschließend begann das indische Militär mit Bombardierungen des pakistanisch-kontrolliertem Gebiets. Diese „Vergeltungsschläge“ galten Armeebasen und der hoch militarisierten Grenze innerhalb Kaschmirs. Daraufhin kam es wiederum zu Gegenangriffen von pakistanischer Seite.

Mindestens 60 getötete Zivilist:innen auf beiden Seiten und hunderte zerstörte Häuser sind das Resultat des Aufflammens der direkten militärischen Konfrontation in der Region Kaschmir. Die Möglichkeit eines erneuten Krieges zwischen den Atommächten Indien und Pakistan war greifbar, auch durch die verschärfte nationalistische Rhetorik auf beiden Seiten. Nach vier Tagen Eskalation kam es jedoch zu einer Waffenruhe zwischen beiden Staaten.

Kriegerische Eskalation zwischen Indien und Pakistan

Trump als Vermittler der Waffenruhe?

Die Waffenruhe verkauften sowohl die Regierungen in Indien als auch Pakistan nach innen als Sieg. Der indische Premierminister Narendra Modi machte aber klar „Das ist kein Ende des Krieges und auch kein Ende des Terrors“. Er erklärte, dass das indische Militär auch auf kommende Anschläge mit Gegenangriffen reagieren würde. Für Modi ist es zudem schwer, seiner faschistischen und hindu-nationalistischen Wählerbasis einen abrupten und schnellen Waffenstillstand zu verkaufen.

Besonders auch die selbsterklärte Rolle der US-Regierung bringt die indische Regierung in Bedrängnis. Präsident Trump reklamierte die erfolgreichen Waffenstillstandsverhandlungen als einen Erfolg der US-Diplomatie. Das kann die indische Regierung nicht auf sich sitzen lassen, da sie sich selbst als bestimmende Supermacht in der Region versteht. Modi weist die Darstellung zurück, nach der ein drohendes US-Handelsembargo gegen Indien und Pakistan den Waffenstillstand ermöglichte. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Indien und den USA sind also aktuell auf eine harte Probe gestellt. Bisher standen die USA fest auf Seiten der indischen Regierung.

Die Lage bleibt angespannt

Leidtragende der Eskalation im Dreieck der Atommächte Indien, Pakistan und China ist zweifelsohne die Bevölkerung Kaschmirs. Im Zuge der Eskalation im April kündigte Indien einen seit 65 Jahren bestehenden Vertrag über die Wassernutzung des Flusses Indus auf. Der Fluss entspringt in Indien, sichert aber 80 Prozent der Bewässerungslandwirtschaft Pakistans und gibt Indien durch einen Staudamm die Möglichkeit, die Menschen in Pakistan „verhungern zu lassen“. Der Vertrag hatte zuvor drei Kriege zwischen beiden Nationen überlebt.

In der Bevölkerung Kaschmirs herrscht weiterhin die Angst vor indischen sowie vor pakistanischen Angriffen. Viele in der Region sehen sich weder als indisch noch pakistanisch, sondern zuerst als Bewohner von Kaschmir. Immer wieder gab es organisierte Kämpfe für ein unabhängiges Kaschmir. Doch besonders der indische Staat hat die Repressionen in den letzten Jahren hochgefahren.

Der von Indien kontrollierte Teil verlor im Jahr 2019 seine Teilautonomie, was die Situation im mehrheitlich muslimischen Gebiet weiter verschärfte. Indien fährt unter der Herrschaft Modis einen hindu-nationalistischen Kurs, der sich hart gegen Muslim:innen im Land richtet. Schätzungsweise 700.000 indische Sicherheitskräfte kommen auf eine Bevölkerung von 5,5 Millionen Menschen. Dagegen regt sich Widerstand. Doch immer wieder wird dieser mit Repressionen belegt, etwa durch Massenverhaftungen, Ausgangssperren, Folter oder direkte Waffengewalt.

Indien und Pakistan haben derweil damit begonnen, konkurrierende diplomatische Delegationen in verschiedene Länder der Welt zu schicken. Diese sollen dann andere Nationen davon überzeugen, dass das jeweils konkurrierende Land die Schuld an der Eskalation in Kaschmir trägt.

Beide Länder wollen damit die internationale Loyalität auf ihre Seite ziehen und den Gegner isolieren. Damit erhoffen sie sich auch internationale Unterstützung beim nächsten Aufflammen des Krieges. Die Bevölkerung Kaschmirs bleibt also trotz aktuellem Waffenstillstand ein Spielball der regionalen Machtkämpfe zwischen Indien und Pakistan.

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