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Slava Ukraini?! – Der ukrainische Faschismus und warum wir gerade hier darüber sprechen müssen

Asow, Rechter Sektor, Stepan Bandera – Namen wie diese haben es seit 2014 teilweise zwar auch in den deutschen Mainstream-Diskurs geschafft. Das reale Ausmaß und die Bedeutung der faschistischen Bewegung in der Ukraine werden aber gemeinhin unterschätzt oder sogar geleugnet. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko.

„Slava Ukraini” – „Ehre der Ukraine”, diese Begrüßungsformel hat es inzwischen längst in den deutschen wie ukrainischen Mainstream geschafft. Von Olaf Scholz bis zu linksliberalen taz-Leser:innen liegt sie allen auf der Zunge – der reale historische, wie auch aktuelle Hintergrund diese Grußes ist den meisten hierzulande jedoch unbekannt.

Faschismus –  die lange Tradition in Deutschland wie der Ukraine

In der Ukraine folgt auf den ersten Teil für gewöhnlich die Antwort „Geroyam Slava“ – „Ehre den Helden”. Diese Grußformel – das historische Pendant zum deutschen „Sieg Heil” – entstammt der berüchtigten Ursprungsorganisation des ukrainischen Faschismus, der OUN-B. Der zweite Part adressiert konkret die „Märtyrer“ und „Führer“ der Bewegung bzw. der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Bekanntestes Beispiel ist hier der historische „Führer“ Stepan Bandera (1909 – 1959), der die Partei und ihren bewaffneten Arm Ukrainische Aufständische Armee (UPA) vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg führte.

Kurz gesagt: eine Bewegung, die historisch aufs Engste mit dem Nazi-Deutschland während des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs kollaboriert hat. Eine Bewegung, deren gegenwärtige Version eine zunehmend offene terroristische Herrschaft über die ukrainische Bevölkerung ausübt und vermehrt mit dem ukrainischen Staat verschmilzt. Eine Bewegung, die in Deutschland teils ignoriert, teils hofiert wird.

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Was können und müssen deutsche Antifaschist:innen in dieser Situation tun? Anders gefragt: Was bedeutet eine aufrichtige, antifaschistische und internationalistische Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung wirklich?

Kein einzelner Artikel kann die gesamte Lage und Geschichte der faschistischen ukrainischen Bewegung angemessen erklären, stattdessen soll dieser Artikel vor allem einen kurzen Überblick bieten. Seine Analyse stützt sich hauptsächlich auf den neu erschienen Sammelband „Der Bandera- Komplex: Der ukrainische Faschismus – Geschichte Funktionen Netzwerke (2025)”, herausgegeben von der Journalistin Susann Witt-Stahl, und die intensive Recherchearbeit, die in diesem Sammelband geleistet wurde, um die international agierenden Netzwerke ukrainischer Neonazis ans Licht zu holen.

Welchen Einfluss übt der ukrainische Faschismus in Deutschland aus?

Diese Frage lässt sich in Hinblick auf zweierlei Bereiche beantworten: Einerseits ist da die organisatorische und ideologische Tätigkeit faschistischer ukrainischer Organisationen in Deutschland, wie auch ihre Vernetzung mit der heimischen Neonazi-Szene. Doch nicht weniger wichtig ist der ideologische Einfluss, den der ukrainische Faschismus weit in vermeintlich „linke“ Kreise hinein ausübt. Dieser wirkt als einigendes Band zwischen Teilen der antifaschistischen Bewegung und bürgerlichen Kräften – alles unter der Prämisse der Unterstützung der deutschen Staatsräson und der NATO-Kriegsziele im Osten.

Zu erstem Punkt sei auf die der Asow-Bewegung nahestehende Organisation Centuria verwiesen, die durch eigene Ortsgruppen in Deutschland vertreten ist und mit der faschistischen Kader:innenpartei III. Weg Verbindungen unterhält. In Deutschland scheint ihr Fokus auf der Beeinflussung ukrainisch-stämmiger Jugendlicher im Sinne faschistischer Ideologie zu liegen. Jedoch tritt sie – meist von deutschen Antifaschist:innen und vom Staat wie selbstverständlich unbehelligt – auch offen mit „Gedenk-Aktionen“ und als Teil von pro-ukrainischen Demonstrationen in Erscheinung.

Zu erkennen sind die offenen Nazis dabei zumeist an der Farbkombination Schwarz-Rot (Boden und Blut), der historischen Flagge der OUN-B. Nach einer kleinen Anfrage der Linkspartei, aber auch hervorgehend aus der eigenen Propaganda der Nazis, müsste dem deutschen Staat ebenfalls bekannt sein, dass der III. Weg Kriegsmaterial an seine Freund:innen in der Ukraine liefert und sich auch persönlich über militärische Erfahrungen austauscht.

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Antifaschismus oder staatstreue „Linke“?

Wer in Deutschland antifaschistische Praxis machen will, steht vor der Herausforderung, die Geopolitik des deutschen Imperialismus mitzudenken und auf internationale Entwicklungen zu reagieren. Einfaches Beispiel – nach längerer Zeit auch bei mehr deutschen Antifaschist:innen angekommen – sind türkische Faschist:innen wie die Grauen Wölfe. Hier fällt die Abgrenzung und Feindbestimmung meist recht leicht: schließlich eint einen formal wenig mit dem Erdogan-Regime in der Türkei.

Schon etwas schwieriger wird die Frage bei den ukrainischen Neonazis. Dem Teil der deutschen „Linken“ – und damit ist nicht ausschließlich die PdL gemeint, die besonders seit 2022 ihre „Liebe“ zur Ukraine und die NATO entdeckt hat – fällt es logischerweise schwer, sich von den „Waffenbrüdern“ an der realen wie ideologischen Front zu distanzieren. Stattdessen werden sie häufig als „Schutzschilder“ westlicher Werte wie Freiheit und Demokratie gegen russische Tyrannei gesehen.

Tendenziell können wir davon ausgehen – und die vergangenen Krisenperioden der letzten Jahre beweisen es uns jedes Mal aufs Neue –, dass schwankende Teile der politischen Widerstandsbewegung in Krisenzeiten tendenziell nach rechts rücken und sich dem Staat unterordnen: Wir haben es beim Genozid an den Palästinenser:innen gesehen. Wir haben es während der Corona-Pandemie gesehen, als einige Kräfte sich in vorauseilendem Gehorsam der staatlichen Politik angebiedert haben. Wir sehen es natürlich auch im zwischenimperialistischen Krieg um die Ukraine.

Der Impuls, sich der staatstragenden Meinung über die Unterstützung des eigenen Kriegsblocks anzuschließen, ist stark. An manchen Stellen wird der verzweifelte Versuch unternommen, innerhalb des bürgerlichen pro-ukrainischen Mainstreams eine vermeintlich „linke“, z.B. anarchistische Stellung einzunehmen. Dies äußert sich dann in politischen Angriffen auf anti-militaristische Kräfte, die man sich zunehmend zum neuen Hauptfeind erkoren hat.

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Einige internationale „Anarchist:innen“ kämpfen aber auch innerhalb faschistischer Regimenter in den ukrainischen Streitkräften. Selbst sind sie im Vergleich zu den Nazis zu schwach und unbedeutend, um nennenswerte militärische Einheiten zu stellen, weswegen die praktische Unterordnung unter die militärische Verfügungsgewalt von rechts auch nur eine logische Konsequenz ist. Parallelen zu oben beschrieben Aktionen des III. Wegs drängen sich hier von selbst auf.

Eine echte antifaschistische Alternative

Doch was müssen echte Antifaschist:innen in Deutschland heute leisten können, um den kriegsgeplagten Menschen der Ukraine zu helfen?
Internationale Solidarität fängt vor der eigenen Haustür an. Die Hauptfeinde der ukrainischen Massen sind einerseits der russische Imperialismus und seine Helfer:innen, andererseits aber auch der NATO-Imperialismus und seine Unterstützer:innen. Getreu der immer noch aktuellen Formel, der Hauptfeind steht im eigenen Land, müssen revolutionäre Kräfte in erster Linie gegen die Kriegstreiber und Imperialisten im eigenen Land kämpfen.

Wer das nicht zu seinem Hauptziel macht und stattdessen darauf fokussiert ist, den aktuellen Kriegsgegner des „eigenen“ Imperialismus zu bekämpfen, lässt sich allzu schnell von eben jenem vor den Karren spannen. Für uns in Deutschland heißt das, den deutschen Imperialismus, den deutschen Faschismus und den NATO-Militarismus zu bekämpfen, ohne dabei zum Beispiel den russischen Imperialismus kleinzureden.

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Die ukrainischen Faschist:innen sind aus sich heraus als Vasallen des deutschen, beziehungsweise des NATO-Imperialismus zu betrachten, als massenmörderische Feinde der ukrainischen Bevölkerung, insbesondere der ukrainischen Arbeiter:innenklasse und ihrer revolutionären Kräfte.

Daher auch an dieser Stelle der Aufruf an alle internationalistischen und wirklich antifaschistischen Kräfte in Deutschland, eben kein Auge zuzudrücken und den wirklichen Freiheitskampf der Ukraine zu unterstützen. Also auch in Deutschland gleichermaßen gegen ukrainische wie gegen deutsche Nazis vorzugehen und deren faschistischen Umtriebe zu thematisieren. Wer wegschaut, macht sich hierbei genauso schuldig wie die eigentlichen Täter.

In Gedenken an die ukrainischen Opfer des Holocausts, wie auch des Massakers in Odessa 2014.

Phillipp Nazarenko
Phillipp Nazarenko
Sächsischer Perspektiveautor seit 2022 mit slawisch-jüdischem Migrationshintergrund. Geopolitik, deutsche Geschichte und der palästinensische Befreiungskampf Schwerpunkte, der Mops das Lieblingstier.

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