Die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien wird medial als „historische Chance“ für das kriegsgebeutelte Land gefeiert. Doch es geht nicht um Demokratie, Menschenrechte oder gar um das syrische Volk, sondern um die Interessen des Kapitals. – Ein Kommentar von Alexandra Baer.
Vergangene Woche hat Trump die Aufhebung von Sanktionen gegen Syrien beschlossen – und nun sollen EU-Chefdiplomatin Katja Kallas zufolge auch die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Syrien entfallen. Für viele syrische (Klein-)Unternehmen sicherlich eine gute Nachricht, aber dennoch ist die Aufhebungen der Sanktionen kein Zeichen westlichen Altruismus, sondern Ausdruck einer strategischen Öffnung Syriens für ausländische Investoren.
Hinter der vermeintlichen Großzügigkeit des Westens verbirgt sich ein klassisches Spiel des imperialistischen Kalküls: Konzerne aus der Türkei, den Golfstaaten und dem Westen stehen bereits in den Startlöchern. Die neoliberale Logik ist eindeutig: Nach Jahren der Zerstörung soll Syriens Wirtschaft nicht etwa im Interesse seiner Bevölkerung, sondern für ausländisches Kapital rekonstruiert werden.
Demokratie als Feigenblatt
Die EU und die USA inszenieren die Sanktionsaufhebung als Belohnung für demokratische Fortschritte. Doch die Realität der neuen Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa, der Ende Januar zum Präsidenten Syriens ernannt wurde, die bisher geltende Verfassung ausgesetzt hat und eine erste Übergangsregierung ernannte, entlarvt diese Rhetorik als zynisch.
Zwar wurden symbolisch eine Frau und Minderheitenvertreter:innen ins Kabinett berufen, doch die Schlüsselpositionen bleiben in den Händen ehemaliger Mitglieder der islamisch-fundamentalistischen HTS, die aus einem al-Qaida-Ableger hervorging.
Neue Übergangsregierung in Syrien gebildet – Ein Schein der Diversität
Der Bildung der Übergangsregierung folgten im März Massaker an Alawit:innen, bei denen Menschenrechtsorganisationen zufolge mindestens 1383 Zivilist:innen getötet wurden. Verübt wurden diese wohl von islamisch-fundamentalistischen Milizen, von denen einige auch am Sturz al-Assads beteiligt gewesen sein dürften. Der neue Präsident al-Scharaa hatte die Massaker zwar verurteilt und juristische Aufarbeitung angekündigt, gleichzeitig aber auch als Einzelfälle heruntergespielt.
Massaker an Alawit:innen: Wie konfessionelle Spaltung Syrien weiter zerreißt
Russland ausmanövrieren
Hinter der scheinbaren „Wiedereingliederung“ Syriens in die „internationale Gemeinschaft“ steckt auch ein geopolitisches Machtspiel. Mit dem Sturz des Assad-Regimes und der Installierung einer pro-westlicheren Übergangsregierung wird Russland eine seiner letzten Bastionen in Westasien entrissen. Syrien, einst eng mit Moskau verbündet, soll nun in die neoliberale Einflusssphäre der NATO integriert werden.
Dass die EU sogar ehemalige HTS-Mitglieder von der Terrorliste strich, um Verhandlungen zu ermöglichen, unterstreicht, wie bereitwillig menschenrechtliche Prinzipien geopfert werden, wenn es darum geht, Russland zu schwächen.
Kurdische Selbstverwaltung: Opfer imperialer Hegemonie
Die Doppelmoral des Westens zeigt sich besonders im Umgang mit der kurdischen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien. Trotz ihrer Forderungen nach echter pluralistischer Repräsentation wird sie von der Übergangsregierung und ihren westlichen Unterstützern ignoriert. Die kurdische Kritik an der zentralistischen, islamisch geprägten Verfassung passt nicht in das Narrativ eines „stabilen Syriens“, das Europa für seine Abschiebepolitik braucht. Statt echter Autonomie für Minderheiten dominiert das Interesse an einem homogenisierten Staat, der sich leichter kontrollieren und ausbeuten lässt.
Verhandlungen in Damaskus: SDF wird Teil der syrischen Armee
Die Sanktionsaufhebung ist also kein Neuanfang für Syrien, sondern ein weiteres Kapitel in der Geschichte des NATO-Imperialismus. Während syrische Arbeiter:innen weiterhin unter zerstörter Infrastruktur und der Flucht von großen Teilen der Bevölkerung leiden, profitieren ausländische Konzerne und westliche Regierungen, die sich Zugang zu Märkten und Ressourcen sichern.
Vor allen Dingen Deutschland hat ein Interesse daran, Syrien als „sicher“ darzustellen, um Abschiebungen dorthin zu ermöglichen. Gleichzeitig dient die Destabilisierung Russlands in der Region langfristigen Machtinteressen. Die syrische Bevölkerung bleibt dabei bloßes Objekt einer geopolitischen Agenda.