Zeitung für Solidarität und Widerstand

Taurus-Zickzack: Merz ohne Ukraine-Plan

Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) irritiert mit widersprüchlichen Aussagen zur deutschen Unterstützung der Ukraine. Russland reagiert darauf mit weiteren Drohgebärden. Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine hält Merz unter Verschluss. Im Gespräch sind derweil neue Sanktionen gegen Russland.

Am Montag, den 26. Mai verlautbarte Merz im Rahmen eines ARD-Interviews, einen deutlich offensiveren Kurs gegen Russland einläuten zu wollen. Er verwies dabei auf die von Putin ausgeschlagenen Gesprächsangebote des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Damit seien alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft.
Die weiter anhaltenden russischen Bodenoffensiven motivieren Merz nun, die Unterstützung für die Ukraine auszuweiten: „Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind“, verkündete Merz und ließ damit die Gerüchteküche brodeln.

Spekulationen, dass damit die Taurus-Marschflugkörper mit einer Reichweite von über 500 km gemeint sein könnten, wurden anfangs von Mitgliedern der Bundesregierung heruntergespielt. Viel eher sei es der Plan, die Ukraine grundsätzlich mit Waffen, die über eine hohe Reichweite verfügen, auszustatten und sie dabei zu unterstützen, solche selbst herzustellen.
Als Oppositionsführer hatte Merz den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz dafür kritisiert, den Taurus nicht zu liefern. Die Taurus-Lieferung war noch bis in den Wahlkampf ein zentraler Bestandteil von Merz‘ Kandidatur. – Ein wildes Hin und Her also.

So manch einer sieht darin strategische „Ambiguität” (dt.: Doppel-/Mehrdeutigkeit): Merz mache Deutschland damit unberechenbar. Eine freundliche Auslegung des politischen Chaos der Anfangszeit von Friedrich Merz. Die Zahlen zu deutschen Waffenexporten an die Ukraine hält der neue Bundeskanzler nun erst einmal unter Verschluss.

Ukraine: Merz will Waffenstillstand – und geheime Rüstungsexporte

Bundeskanzler relativiert seine Aussagen, Russland wittert Schwäche

Einen Tag später, am Dienstag, ruderte Merz selbst zurück: Mit seiner Aussage habe er gemeint, dass die Ukraine das Recht habe, Waffen einzusetzen, die auch über ihre Landesgrenzen hinaus russische militärische Ziele erreichen könnten.
Davon irritiert zeigte sich dann sein Parteikollege Roderich Kiesewetter (CDU). Er schrieb auf X: „Es gibt keinerlei Anzeichen, dass Deutschland endlich Taurus Marschflugkörper liefert, denn ich sehe weiterhin keine Einigkeit in der Koalition und keinen politischen Willen, angemessen und mit Stärke und Konsequenz auf die massive Eskalation Russlands zu agieren. Solche Aussagen sind deshalb insgesamt nicht hilfreich, weil es Russland die Schwäche Europas verdeutlicht.“

In Russland wiederum wurden die Aussagen von Merz als Drohung gesehen: Margarita Simonyan vom russischen Staatsfernsehen RT schrieb auf Telegram, dass Russland nichts anderes übrig bliebe als Berlin anzugreifen, wenn Deutschland Taurus-Raketen an die Ukraine liefere. Der russische Außenminister Sergei Lawrow äußerte sich diesbezüglich etwas kryptischer und merkte sinnbildlich an, dass Deutschland sein eigenes Grab schaufle. Zudem bezeichnete der Kreml Merz‘ Vorhaben der ukrainischen Wochenzeitung Kyiv Post zufolge als „gefährlich”.

Raketenfeuer statt Sommerloch: Neue Eskalation im Ukrainekrieg besiegelt gescheiterte Gespräche

Auf der verzweifelten Suche nach Mitteln gegen den Feind

Ein eindeutiges Statement von deutscher Seite bleibt also weiterhin aus. Stattdessen lässt Merz weiter Raum für Interpretationen: Auf eine Frage mit Bezug auf eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine antwortete der Bundeskanzler: „Natürlich ist das im Bereich des Möglichen“, jedoch erfordere dies eine mehrmonatige Ausbildung der ukrainischen Soldat:innen.

Bei anderen Themen rund um den Konflikt zeigte sich Merz weniger zimperlich: Deutschland werde alles Nötige dafür tun, dass die Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland (Nord Stream 2) nach der mutmaßlichen ukrainischen Sabotage nicht wieder in Betrieb genommen werden könne. Weiterhin sicherte Merz dem ukrainischen Präsidenten zusätzliche militärische Hilfen in Höhe von fünf Milliarden Euro zu. Diese sollen u.a. für den Aufbau einer eigenen ukrainischen Produktion von Langstreckenraketen verwendet werden.

Auch der US-amerikanische Präsident Donald Trump kündigte Konsequenzen wegen Putins geringer Verhandlungsbereitschaft an. Die jetzigen Maßnahmen seien nicht ausreichend, Russland an den Verhandlungstisch zu bekommen. Trump erwäge, alle vom Ex-US-Präsidenten Joe Biden initiierten Beschränkungen für die Ukraine aufzuheben. Dies würde der Ukraine beispielsweise ermöglichen, weitere militärische Stützpunkte in Russland anzugreifen. Eine finale diesbezügliche Entscheidung des US-Präsidenten steht jedoch noch aus.

Ukraine setzt erstmals ATACMS-Raketen gegen Ziele in Russland ein

Das weitere Vorgehen wurde in den vergangenen Tagen unter anderem mit dem neuen deutschen Außenminister Johann Wadephul (CDU) besprochen, der seine Antrittsreise nach Washington D.C. unternahm. Vieles von dem Treffen ist nicht bekannt, doch wie die Welt durchblicken lässt, habe man in den großen Fragen weit auseinander gelegen. Deutschland müsse allein vorangehen, so laut Welt das Fazit aus den Gesprächen.

Nachdem ein Ultimatum von Merz gegenüber Russland über Ostern jedoch wirkungslos verpuffte, muss nun erneut messbarer Druck aufgebaut werden. Das soll über neue EU-Sanktionen passieren. Diese könnten diesmal sogar so hart ausfallen, dass sie erstmals auch der deutschen Wirtschaft schaden. Die Rechnung: Die Sanktionen müssten Russland nur etwas härter treffen als die deutsche Bevölkerung.

Perspektive Online
Perspektive Onlinehttp://www.perspektive-online.net
Hier berichtet die Perspektive-Redaktion aktuell und unabhängig

Mehr lesen

Perspektive Online
direkt auf dein Handy!