Während die ukrainische Bevölkerung weiter unter dem anhaltenden Krieg leidet, geht die eigene Regierung nun noch härter gegen Gewerkschaften und die Rechte von Arbeiter:innen im eigenen Land vor. Gerade die Kriegssituation wird hier genutzt, um Angriffe auf die Errungenschaften von Arbeiter:innen durchzuführen.
Trotz intensiver Versuche seitens der Trump-Administration, ein schnelles Kriegsende zwischen der ukrainischen und russischen Regierung auszuhandeln, ist ein Ende des Kriegs noch lange nicht in Sicht. In seinem Schatten geht es nun den Gewerkschaften zunehmend an den Hals.
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Gewerkschafter verhaftet und FPU-Hauptsitz beschlagnahmt
So wurde letzten Freitag das Haus der Gewerkschaften von ukrainischen Behörden gestürmt, von der Nationalen Agentur zur Wiedererlangung und Verwaltung von Vermögenswerten (ARMA) beschlagnahmt und in private Hand gegeben. Das Haus der Gewerkschaften gilt nicht nur als Verwaltungshauptsitz des größten ukrainischen Gewerkschaftsbundes FPU.
Das Gebäude erlangte im Jahr 2014 im Zuge des Maidan-Putsches traurige Aufmerksamkeit und seinen historischen Ruf, als es von ukrainischen Faschist:innen mit Unterstützung der neuen prowestlichen Regierung in Brand gesetzt wurde. Bei dem Feuer starben insgesamt 42 Menschen und mehr als 170 wurden verletzt.
Der jetzigen Stürmung des FPU-Hauptsitzes gingen dabei fünf Verhaftungen von Gewerkschaftsfunktionären der FPU und der Ukrproftur PJSC am 4. April voraus. Unter den verhafteten Gewerkschafter:innen befand sich auch Grygoriy Osovyi, Präsident der FPU und Mitglied des Exekutivkomitees des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Als Grund für die Festnahmen wird die angebliche Gründung einer kriminellen Organisation und die Veruntreuung von Gewerkschaftseigentum angeführt.
Die FPU bezog schnell Stellung und verurteilte die Verhaftungen als Versuch, „den zahlenmäßig größten und einflussreichsten Gewerkschaftsverband des Landes zu diskreditieren“. Auch der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB), Luc Triangle, verurteilte die Verhaftungen als einen „direkter Angriff auf die Rechte aller Arbeitenden und eine ernste Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt in der Ukraine“.
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Arbeitsrecht schon lange im Visier
Bereits 2022 wurde der Krieg genutzt, um die Rechte von Arbeiter:innen zunehmend einzuschränken. Damals hatte das Parlament zwei Gesetze verabschiedet, die Null-Stunden-Verträge ermöglichen und das Tarifverhandlungsrecht von Arbeiter:innen in Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten einschränkt – was circa 70 Prozent der Belegschaft in der Ukraine betroffen hat.
Doch der Konflikt zwischen der ukrainischen Regierung und den Gewerkschaften besteht nicht erst seit Beginn des Kriegs. Hintergrund der nun in Verhaftungen und Beschlagnahmung von Gewerkschaftseigentum eskalierten Spannungen ist ein seit Jahrzehnten anhaltender Kampf um das noch aus sowjetischen Zeiten stammende Arbeitsrecht.
Bereits im Jahr 2019 versuchte die neue Regierung unter dem damals neuen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, umfassende Reformen des Arbeitsrechts durchzusetzen, was jedoch durch den Protest der Gewerkschaften abgewehrt werden konnte. Ein neues Gesetz soll zum Beispiel die Beschlagnahmung von Gewerkschaftseigentum ermöglichen.
Kriegsrecht bis August verlängert
Seit der russischen Invasion wurden die Gewerkschaften aber massiv geschwächt. Ein großer Teil ihrer Mitglieder befindet sich im Militärdienst an der Front, ist verletzt, im Krieg gestorben oder mit humanitärer Hilfe beschäftigt. Zudem wurden im Laufe des Kriegs viele Einrichtungen der FPU zerstört, die als finanzielle Einnahmequellen dienten. Die Ressourcen der Gewerkschaften sind also zunehmend begrenzt.
In der Vergangenheit konnte die Arbeitsreform durch starke Gewerkschaftsproteste abgewandt werden. Jetzt – da durch das Kriegsrecht viele öffentliche Versammlungen, Demonstrationen oder Aufmärsche verboten sind – haben Gewerkschaften und linke Organisationen nur noch wenig Möglichkeiten, weitere Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse abzuwehren. Gleichzeitig nutzt die ukrainische Regierung die Gunst der Stunde, um neoliberale Reformen umzusetzen.
Der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) kritisiert deshalb, dass die russischen Aggressionen nicht als Entschuldigung für Angriffe auf Gewerkschaften und die Untergrabung ihrer Handlungsfähigkeit dienen dürften.