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Wolfram Weimer wird Kulturstaatsminister: Für die „Fortdauer des eigenen Blutes“

Er nennt sich bürgerlich, schreibt über Nationalstolz und Gottesglauben – Wolfram Weimer wird neuer Kulturstaatsminister. Nun bestimmt der enge Vertraute von Merz, was Kultur im staatlichen Sinne bedeutet. – Ein Kommentar von Lukas Mainzer.

Eine Personalie in der neuen Regierung von Bundeskanzler Friedrich Merz hat in den deutschen Medien in den letzten Wochen für besonders viel Überraschung und Kontroverse gesorgt: Wolfram Weimer. Weimer ist der neue Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (kurz: Kulturstaatsminister).

In dieser Position ist er der höchste Amtsträger für die deutsche Kultur- und Medienpolitik. Zum Aufgabenfeld gehören etwa die Förderung von Kultureinrichtungen und -projekten, Filmförderung, Denkmalpflege, die Finanzierung der Deutschen Welle sowie der Schutz von Kulturgut. Die Behörde mit 450 Mitarbeiter:innen verfügt jährlich über zwei Milliarden Euro.

Die letzten vier Jahre wurde das Amt von Claudia Roth (Grüne) bekleidet. Die ehemalige Managerin von Ton-Steine-Scherben galt vielen in der Regierung als zu lasch, speziell im Umgang mit Israelkritik im Kulturbereich. Wo eine Claudia Roth wie auf der Documenta 2022 im Nachhinein bedauerte, nicht hart genug gegen antizionistische Kulturschaffende durchgegriffen zu haben, soll zukünftig Wolfram Weimer regeln.

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Karriere in konservativen Medien

Wolfgang Weimer ist 60 Jahre alt und hat bisher keine Erfahrungen im Politikbereich. Dafür kennt er seinen Nachbarn vom Tegernsee – Bundeskantler Friedrich Merz – persönlich sehr gut. Da stört es auch nicht, dass er formell kein CDU-Mitglied ist. Er hat dafür eine beachtliche Karriere in den konservativen deutschen Medien hinter sich, wenngleich kaum im Kulturbereich. Der promovierte Historiker und Politikwissenschaftler war für die konservativen Zeitungen, wie die Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und als Chefredakteur im Axel-Springer-Konzern tätig, genauer gesagt bei der Welt und Berliner Morgenpost.

Danach gründete er sein eigenes Politik-Magazin: Das monatlich erscheinende Magazin Cicero hatte zunächst eine liberal-konservative Ausrichtung, driftete aber spätestens mit der steigenden Zahl von Geflüchteten in Europa ab 2015 nach rechts ab. Zu diesem Zeitpunkt war Weimer dort allerdings längst nicht mehr an Bord.

Nach einem Jahr als Chefredakteur des Focus gründete er bereits 2012 einen eigenen Verlag, die Weimer Media Group. Diese verlegt das konservative Magazin The European und weitere unbedeutende Blätter. Für sein Mandat gibt Weimer seine Position als Geschäftsführer ab. Glücklicherweise übernimmt seine Frau.

Brücken in die Wirtschaft und die Politik

Der Verlag veranstaltet den jährlichen Ludwig-Erhard-Gipfel, benannt nach dem ehemaligen CSU-Bundeskanzler. Bei diesem Treffen kommen unter der Schirmherrschaft des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder jährlich Spitzenpolitiker:innen sowie Funktionär:innen und Lobbyist:innen aus der Wirtschaft zusammen.

Friedrich Merz wird auf der eigenen Website mit den Worten „Hier weht der Geist der Freiheit und Marktwirtschaft“ zitiert. Den dort vergebenen „Freiheitspreis der Medien“ erhielten unter anderem schon Christian Lindner, Fürst Albert II. von Monaco oder Sebastian Kurz.

In den vergangenen Jahren trat Weimer auch immer häufiger selbst prominent in deutschen Talkshows auf. Der Spiegel zählt seit 2019 ganze 38 Auftritte in deutschen Talkshows wie Maischberger und Markus Lanz. Damit trat Weimer öfter auf als Politiker:innen vom Rang einer Ricarda Lang, eines Armin Laschet oder Carsten Linnemann (CDU-Generalsekretär). Hat er besonders viel Interessantes zu sagen oder ist er einfach nur extrem gut vernetzt?

„Das konservative Manifest“

Zudem ist Weimer Autor von einer Vielzahl an Büchern. Wie seine Dissertation zum Bankensystem in den USA beschäftigten sich viele seiner frühen Werke mit wirtschaftswissenschaftlichen Themen. Doch später erschienen Bücher unter dem Titel „Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit. Warum die Krise uns konservativ macht.“ (2009), „Der Supernanny-Staat. Wie wir in die Bevormundungspolitik driften.“ (2015) oder „Sehnsucht nach Gott. Warum die Rückkehr der Religion gut für unsere Gesellschaft ist.“ (2021).

Besonders in der Kritik steht Wolfram Weimers 2018 veröffentlichte Buch „Das konservative Manifest“. Dort bekennt er sich zu einem „neuen Konservatismus“  und macht das an „zehn Geboten“ fest. Darunter zählen Gottesglaube, Familientreue, Patriotismus bis hin zum Nationalismus. Mit diesem Manifest positioniert sich Weimer beispielsweise explizit gegen den modernen Liberalismus sowie implizit gegen progressive, feministische Werte.

Selbst in konservativen Zeitungen, wie etwa der FAZ, gab es Kritik an der Ernennung Wolfgang Weimers. Der als liberal-konservativ geltende Jürgen Kaube, langjähriger Feuilleton-Chef und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), schrieb es sei  „spekulativ“ Weimer überhaupt erst „Interesse an irgendeiner Kunst oder Geist zu unterstellen“.

Weimers demographische Sorgen über die „Fortdauer des eigenen Blutes“ und eine drohende „biologische Selbstaufgabe Europas“ sowie die Kritik, dass Europa seit dem Ende der Kolonialepoche des 19. Jahrhunderts „keine Expansionskraft“ mehr habe, seien „aus dem Zusammenhang gerissen“, so Weimer im Stern-Interview. Er wolle keinen Kolonialismus zurück.

Doch kein rechter Kulturkämpfer?

Auch die Zeitung Der Spiegel widmet sich in einem Porträt der Kritik an Weimer. So greift der Artikel liberale Stimmen aus dem Kulturbereich auf, die etwa von einem „bürgerlichen Trauerspiel“, „Eskalation im rechten Kulturkampf“ oder von Angst vor der „bürgerlich-rechten Neuausrichtung der bundesdeutschen Kulturpolitik“ sprechen.

Konfrontiert mit seinen rassistischen Aussagen antwortet Weimer dem Spiegel: „Gegen die Etikettierung als Ultrarechter oder Rechtskonservativer wehre ich mich, weil ich das einfach nicht bin. Ich bin ein Mensch der bürgerlichen Mitte. Mein Gehäuse ist die weltoffene, liberale Demokratie.“ Wohlgemerkt befindet sich die „bürgerliche Mitte“, von der Weimer spricht, seit Jahren im Zentrum des Rechtsrucks.

Dies ist einerseits am Erstarken der AfD sichtbar, aber auch am Rechtsruck von Parteien wie der Union, SPD und Grünen. Die Weimer nahestehenden bürgerlich-konservativen Medien haben das Thema „Migration“ im letzten Wahlkampf ganz oben auf die Agenda gesetzt. Dadurch entstand mitunter erst dieser nationalistische Überbietungswettbewerb mit immer härteren Forderungen nach Abschiebung und Abschottung, die einem knallharten Innenminister Dobrindt an die Macht verholfen haben.

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Angriffe mit Ankündigung

Schon in den ersten Tagen seiner Amtszeit, zeigt Weimer auf, was für ihn aktuell höchste Priorität hat bzw. wofür er ins Amt geholt wurde. Er wolle die „Schieflage zur jüdischen Community beenden“, erklärte er am Mittwoch bei seiner Antrittsrede. Er versprach, dass unter seinem Mandat „ein konfliktreiches Kapitel der deutschen Kulturpolitik zu jüdischen Menschen ein Ende findet“. Gemeint sein könnten damit beispielsweise die Debatten um angeblich antisemitische indonesische Kurator:innen auf der Documenta Fifteen (2022) oder die Positionierung gegen Genozid und Apartheid durch palästinensische und israelische Filmemacher bei der Berlinale 2024.

Als einen seiner ersten Gäste lud der Kulturstaatsminister den Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, zu sich ins Kanzleramt ein. Dieser unterstellt „links-progressiven Intellektuellen“, sie tarnten ihren „Antisemitismus“ als „Anti-Zionismus“, um anschlussfähig zu sein, und verteidigt die Politik des Staates Israel. Zudem stellt er links-progressive Kräfte auf eine Stufe mit „rechtsextremen Parlamentariern“. Beide verbinde laut Dr. Schuster derselben Antisemitismus.

Unter Kanzler Merz wird mit der Personalie Wolfram Weimer also der rechte Kulturkampf besonders offensiv in die Kultur- und Medienbetrieb getragen. Das bedeutet für uns mehr denn je, einen Internationalismus, Antikapitalismus und Frauenkampf in die Kunst und Kulturbranche zu tragen und Werte wie die Palästinasolidarität auch dort offensiv zu verteidigen.

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