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Amoklauf in Graz: Wir müssen die Vereinzelung durchbrechen

Ein Amoklauf im österreichischen Graz kostet wieder zehn Menschen und dem Täter das Leben. Als Konsequenz wird mehr innere Sicherheit gefordert, doch es braucht mehr kollektive Solidarität. – Ein Kommentar von Lukas Mainzer.

Am Dienstag kam es in der zweitgrößten Stadt Österreichs Graz in einem Bundes-Oberstufenrealgymnasium (BORG) zu einem Amoklauf. Ein 21-jähriger ehemaliger Schüler tötete dabei nach aktuellem Stand zehn Menschen und sich selbst. Laut Polizeiangaben betrat er um 10 Uhr das Schulgebäude mit einer Schrotflinte und einer Handfeuerwaffe und feuerte Schüsse auf Schüler:innen und Lehrer:innen ab. Neun der Todesopfer sind Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren, auch eine Lehrerin wurde getötet. Anschließend tötete der Angreifer sich selbst. Allen Betroffenen der Tat gilt unser Beileid.

Was wir bis jetzt wissen

Nach ersten Medienberichten reagierten die österreichischen Behörden schnell und umfassend auf den Amoklauf. Schon 17 Minuten nach dem ersten Notruf war das Schulgebäude und das umliegende Gebiet weiträumig abgesperrt. Die Überlebenden sowie Angehörige wurden streng von der Öffentlichkeit abgeschirmt und durch Kriseninterventionsteams versorgt. Dadurch gab es auch direkt nach der Tat keine Augenzeugenberichte, die etwa von Boulevardmedien verbreitet werden konnten. Allerdings kursierten Privatvideos von Schüler:innen aus den Klassenzimmern während des Amoklaufs. Diese befanden sich zuvor inmitten ihrer Abiturprüfung.

In Österreich wurde drei Tage Staatstrauer angeordnet. Bundespräsident Alexander Van der Bellen bekräftigte den Zusammenhalt der Menschen und erklärte „Heute und in den schweren Tagen, die kommen, wird unser Land zeigen, dass in diesem Miteinander unsere Stärke liegt“. Während noch viele Menschen trauern, gibt es erste Untersuchungen über die Motive des Täters. Fest steht, dass er allein handelte. Der Schulabbrecher lebte zusammen mit seiner Mutter und hat ihr einen Abschiedsbrief hinterlassen. Von dessen Inhalt lassen sich bislang keine direkten Tatmotive ableiten.

Die verwendeten Waffen besaß der Täter zwar legal, hätte sie aber nicht führen dürfen. Österreich hat verglichen mit Deutschland liberalere Waffengesetze und die Tat dürfte die Debatte um eine Verschärfung des Waffenrechts in Österreich auslösen. Neben dem Abschiedsbrief fanden Beamte bei der Hausdurchsuchung außerdem eine nicht funktionsfähige Bombe sowie Pläne für einen Sprengstoffanschlag.

Die Tat weckt Erinnerungen an einen ähnlichen Vorfall in Deutschland am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt 2002 sowie an verschiedene Amokläufe in den USA in den letzten Jahren. Amokläufe an Bildungseinrichtungen haben seit der Jahrtausendwende rasant zugenommen. Erst am 4. Februar erschoss beim Amoklauf von Örebro im schwedischen Campus Risbergska ein 35-Jähriger 10 Menschen und verletzte 15 Menschen, bevor er sich erschoss.

Politische Konsequenzen?

Die anschließenden politischen Debatten nach dem Amoklauf fokussieren sich auf mehr „Innere Sicherheit“, also mehr Überwachung und Aufrüstung sowie verschärfte Waffengesetze. Der Anschlag fiel auf denselben Tag wie das 100-tägige Bestehen der österreichischen Regierung. Diese besteht seit Anfang März aus Konservativen (ÖVP), Sozialdemokraten (SPÖ) und Liberalen (NEOS). Ursprünglich wollte die Koalition am Dienstag in einer Pressekonferenz eine erste Bilanz der Regierungszeit ziehen. Diese wurde dann aufgrund der Staatstrauer verschoben.

Im aktuellen österreichischen Regierungsprogramm gibt es analog zu Deutschland mehr Kürzungen von staatlichen Ausgaben, mehr Aufrüstung nach außen und innen, mehr rassistische Politik gegen Geflüchtete und mehr arbeiter:innenfeindliche Gesetze. Da es sich beim Täter um einen weißen in Österreich geborenen Mann handelt, spielt der ethnische Hintergrund ausnahmsweise mal eine angemessenere, weil untergeordnete Rolle.

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Solidarität ist der Ausweg

Auch wenn der exakte, spezifische Grund für diese Tat noch im Dunkeln liegt, ist ein Zusammenhang mit den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen, in denen wir leben, nicht von der Hand zu weisen. Eine zunehmende Vereinzelung von Menschen, der Schulabbruch in diesem Fall, all das begünstigt die radikale Entfremdung einzelner Menschen von einer Gesellschaft, die nicht für sie da zu sein scheint.

Ähnlich wie etwa beim Täter des Anschlags auf die Synagoge von Halle 2019 handelt es sich hier wieder um einen jungen Mann, der allein bei seiner Mutter wohnte und in seiner Berufsausbildung gescheitert ist. Weder soziale noch psychische Hilfe ist heutzutage eben so zugänglich, zudem noch stigmatisiert und schwer erhältlich. So gesellschaftlich vernachlässigt, erscheint vielen jungen Menschen ihr eigenes Leben komplett sinnlos und oft eben auch ausweglos. Die Alternative dazu kann nur mehr gelebte Solidarität sein.

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