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Aufstacheln zum Angriffskrieg: Muss Merz jetzt vor Gericht?

Israels Angriff auf den Iran und das Leid der Bevölkerung lösten nicht nur Trauer und Wut aus. Merz freute sich, dass Israel die „Drecksarbeit für uns macht“. Eine nun gestellte Strafanzeige gegen ihn scheint aber zum Scheitern verurteilt. – Ein Kommentar von Anna Müller.

„Das ist die Drecksarbeit, die Israel für uns alle macht“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf dem Gipfeltreffen der Gruppe der Sieben (G7) in Kanada. Doch wo dieser von „Drecksarbeit” spricht, sprechen andere von einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Und damit liegen sie auch richtig.

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Anzeige ist raus

Nach §80 A des Strafgesetzbuchs (StgB) wird das „Aufstacheln zu einem Angriffskrieg“ mit „gesteigerten, auf die Gefühle des Adressaten gemünzten propagandistischen Anreizen“ juristisch verfolgt. Zudem soll Merz gegen die „Gedanken der Völkerverständigung“ nach Artikel 9 und das „Friedensgebot“ nach Artikel 20 Absatz 3 im Grundgesetz (GG) verstoßen haben.

Deswegen hat eine Initiative jetzt Anzeige erstattet. Unter den Erstunterzeichnenden finden sich neben Schauspieler Dieter Hallervorden, Redakteur:innen der NachDenkSeiten sowie Politiker:innen der Linkspartei und des BSW. Doch werden die Generalbundesanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft Berlin wirklich strafrechtliche Schritte gegen den Kanzler einleiten?

Angezeigt und unerschüttert

Skandale in der Politik sind nichts Neues. Und Aussagen von Politiker:innen, die schockieren, kennen wir auch schon zur Genüge. Alleine von der AfD lassen sich über 100 Aussagen auflisten, die in der ein oder anderen Art von Jurist:innen als verfassungsfeindlich eingestuft werden. Doch selten hat das einmal dazu geführt, dass irgend jemand zur Rechenschaft gezogen, geschweige denn von irgendwelchen Ämtern ausgeschlossen wurde.

Ein Beispiel dafür ist der AfD-Politiker Björn Höcke. Er musste zwar kleine Geldstrafen für die Verwendung von Nazi-Parolen bei Wahlkampfveranstaltungen zahlen. Auch hatte er bereits Parteiausschlussverfahren gegen sich laufen. Doch hat all das nichts maßgeblich daran geändert oder erschüttert, dass er eines der bekanntesten Gesichter seiner Partei ist – und in der Wähler:innenschaft auch nicht unbeliebt.

Anfang des Jahres 2024 äußerte sich auch der ehemalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Diese Aussage löste zunächst erhebliche Empörung aus, doch die öffentliche Debatte beruhigte sich nach kurzer Zeit wieder. Ähnlich verhielt es sich mit mehreren umstrittenen Äußerungen von Friedrich Merz, die er öffentlich und ohne erkennbare Zurückhaltung tätigte.

Beispielsweise sagte Merz in Bezug auf Migrant:innen: „Und dann wollen sie diese Kinder zur Ordnung rufen, und die Folge ist, dass die Väter in den Schulen erscheinen und sich das verbitten. Insbesondere wenn es sich um Lehrerinnen handelt, dass sie ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen.“ Zudem warf er Asylsuchenden vor, angeblich volle Leistungen zu bekommen und sich die Zähne „neu” zu machen, während deutsche Staatsbürger:innen keine Zahnarzttermine bekommen würden. Für diese Falschaussage und rassistische Hetze erntete er breite Kritik, aber keine Konsequenzen.

Bezogen auf die Angriffskriege, an denen Deutschland beteiligt war, sind auch einige Aussagen zu finden, welche die Kriegsverbrechen mindestens relativieren: Joschka Fischer von den Grünen und ehemaliger Außenminister z.B. erklärte im Jahr 2003, dass es „im Fall von Afghanistan keine Alternative gab“. Oder: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“, so der SPD-Politiker und damalige Verteidigungsminister Peter Struck im Jahr 2002.

Joschka Fischer will mehr Atomwaffen für die EU

Im Gegensatz zu diesen beiden bekam Horst Köhler (CDU) ein paar Jahre später jedoch etwas mehr Gegenwind, als er die deutsche Geostrategie in Westasien offenlegte: Er äußerte ganz offen, „dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“. Nach heftiger Kritik musste er 2010 von seinem Posten als Bundespräsident zurücktreten.

Haftbefehl ignoriert

Aber auch international sehen wir, dass die Konsequenzen für Politiker:innen von teils sogar schwersten Verbrechen gering waren und sind oder sogar ausblieben. Beispiele dafür sind aktuell der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und der Ex-Verteidigungsminister Israels Joav Galant. Gegen beide wurde vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben.

Außerdem wurde ein Haftbefehl gegen beide erlassen. Vollstreckt wurde dieser seit seinem Bestehen aber von niemandem. Denn auch wenn die 125 Mitgliedsstaaten des IStGH bei Betreten ihres Territoriums durch einen der Kriegsverbrecher verpflichtet wären, ihn zu verhaften, tun sie es nicht.

Reaktionen auf möglichen Netanjahu-Haftbefehl: Die Maske ist gefallen

Unter anderem verstieß das Regierungsoberhaupt Ungarns, Viktor Orbán, gegen die Vorschrift, Netanjahu an den IStGH zu überstellen, sollte dieser Ungarn betreten. Sattdessen empfing er ihn wie jeden anderen Staatsbesuch und leugnete die Gültigkeit des Haftbefehls in Ungarn.

Auch Merz äußerte kürzlich, dass er Wege finden werde, um einen Besuch von Netanjahu zu ermöglichen. Bisher interessierte die deutschen Strafverfolgungsbehörden dieser angekündigte Rechtsbruch nicht.

Die Behörden werden Merz keine Probleme machen

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass keine großen Strafen gegen Merz zu erwarten sind oder zumindest nicht deren tatsächliche Umsetzung. Denn auch, wenn die Aussagen objektiv gegen Gesetze verstoßen, so stehen sie in der Realität der Haltung der deutschen Geostrategie in Westasien nicht entgegen.

Sein Amtskollege Donald Trump aus den USA könnte ihm aber vermutlich beratend zur Seite stehen, wenn es darum geht, trotz zahlreicher Anklagen weiter im höchsten Amt zu bleiben. Dieser muss sich aktuell in mehreren Straf- und Zivilprozessen verantworten – unter anderem wegen der mutmaßlich verschleierten Schweigegeldzahlung an eine Ex-Porno-Darstellerin, seiner Rolle beim Sturm auf das Kapitol, seines Umgangs mit Geheimdokumenten sowie wegen versuchter Wahlbeeinflussung in Georgia. Zudem wurde er bereits in Zivilverfahren wegen sexualisierter Gewalt und betrügerischer Geschäftspraktiken verurteilt.

Anna Müller
Anna Müller
Autorin bei Perspektive seit 2024. Schülerin aus Oberfranken, interessiert sich für Klassenkämpfe weltweit und die Frauenrevolution. Denn wie Alexandra Kollontai damals schon erkannte: Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus!

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