Zeitung für Solidarität und Widerstand

Blaumann, Bratwurst und Bier – der Arbeiter von heute?

„Geh erstmal arbeiten!“ – die linke Bewegung scheint den Kontakt zu den „richtigen“ Arbeiter:innen verloren zu haben. Hinter diesem Vorwurf steckt allerdings ein vollkommen falsches Verständnis davon, was man Arbeiter:innenklasse nennt. – Ein Kommentar von Anton Fischer.

Wer Teil einer linken Organisation ist, die zu mehr Zusammenhalt der viel beschworenen „Arbeiter:innenklasse“ aufruft, kennt höchstwahrscheinlich die Situation: Man möchte das Gegenüber vom Klassenkampf überzeugen, woraufhin einem entgegnet wird, dass man als Studentin oder Angestellter im Supermarkt oder in der Gastronomie ja selbst überhaupt kein:e Arbeiter:in sei. Folglich sei man „privilegiert“ und kenne ja gar nicht die Realität der schuftenden Industierearbeiterin oder des Handwerkers.

Genau deswegen sei die linke Bewegung heutzutage eine kleine Minderheit, während rechte Kräfte noch wüssten, was die Befindlichkeiten des „kleinen Mannes“ so seien. Wer aus der Arbeiterklasse kommt, der habe keine Lust auf „Gendersternchen, Wokeness und freche Migranten“, die nur Bürgergeld beziehen und überhaupt nicht arbeiten wollen würden.

Wahlprogramm der AfD: weniger für die kleinen Leute, mehr fürs Kapital

Vereint als Nation – oder doch lieber als Klasse?

Besonders in der Verknüpfung der Angehörigkeit zu der Arbeiter:innenklasse mit einer reaktionären Gesinnung zeigt sich, dass sich hier oft eher unbeabsichtigt der sogenannten „Milieu-Theorie“ bedient wird. Die Gesellschaft wird demnach in die namengebenden Milieus unterteilt: die jeweilige Zugehörigkeit entscheidet sich über Herkunft, soziales Umfeld, finanzielle Situation, politische Positionen und weitere Faktoren. Daraus werden dann klischeeartig Archetypen der verschiedenen Gruppen abgeleitet.

So gibt es beispielsweise die vegane, „woke“ Geisteswissenschaftsstudentin aus der westdeutschen Großstadt, den fleischliebenden, konservativen Industriearbeiter und den rechtsradikalen Handwerkergesellen aus der ostdeutschen Provinz. Diese Gruppen stehen  den Vertreter:innen dieser und ähnlicher Theorien zufolge im stetigen Konflikt untereinander, was häufig als die „Spaltung der Gesellschaft“ bezeichnet wird, die es zum Wohle der Nation zu überwinden gelte – wobei das eigene Milieu natürlich stets im Recht ist.

Die Linie verläuft zwischen oben und unten

Doch wer für Solidarität und Zusammenhalt kämpfen will, muss solche Erzählungen ablehnen. Denn am Ende ist doch schnell erkennbar, wie die Spaltung im Kapitalismus tatsächlich verläuft: zwischen Arbeiter:innenklasse und Kapitalist:innenklasse. Zu ersterer gehört man, wenn man keine Produktionsmittel (Fabriken, Geschäfte, Land, Immobilien, etc.) besitzt und folglich zum Überleben auf den Verkauf seiner Arbeitskraft angewiesen ist.

Die Kapitalist:innen hingegen kaufen diese Arbeitskraft in Form von Lohn und wandeln diese in ihre Profite um. Sie bilden die herrschende Klasse, in deren Sinne der Staat als Gewaltmonopol diese Ordnung aufrecht erhält.

Es gibt eine Welt zu gewinnen

Dieses hier nur kurz skizzierte Modell beschreibt die Lebensrealität in der Gegenwart deutlich treffender, als es die von tradierten Vorurteilen getriebene Milieu-Theorie je könnte. Millionen Menschen in Deutschland gehen jeden Tag zu einer Arbeit, die sie hassen, um von einigen wenigen Kapitalist:innen ausgebeutet zu werden. Sie alle sind von jeder Preissteigerung im Supermarkt betroffen, die von der jeweiligen Konzernleitung beschlossen wurde.

Alle von ihnen müssen auf dem von Kapitalist:innen künstlich verknappten Immobilienmarkt darum buhlen, welchem/welcher Vermieter:in sie die Hälfte ihres Einkommens in den Rachen werfen. Ferner sollen sich die Jungen unter ihnen in den Kriegen ihrer Herren/Herrinnen als Kanonenfutter verheizen lassen – und die Knechte auf der anderen Seite lassen sich wiederum von ihren eigenen Herren/Herrinnen umbringen.

Ob Blaumann oder Poloshirt: Für eine Kultur des Zusammenhalts!

Hass auf Migrant:innen und sonstige Minderheiten, sowie elitäres Herabschauen aus dem eigenen, vermeintlich hochgebildeten Zirkel auf „dumme Proleten“ stützen beide diese Klassengesellschaft und schwächen das Klassenbewusstsein und die Solidarität innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Genau zu diesem Zweck werden diese und viele weitere Pseudokonflikte von den Massenmedien der Kapitalist:innen hochgekocht.

Klassenkampf statt Kampf der Kulturen!

Unsere Klasse muss dem eine Kultur der Solidarität, sowie der Kritik und Selbstkritik entgegen stellen, damit wir erfolgreich Widerstand leisten können. Da heißt es: Vorurteile abbauen und eine eigene Form des Zusammenhalts etablieren! Denn am Ende sitzt der/die Gegner:in der Arbeiter:innenklasse in den Chefetagen und Ministerien, nicht im Flüchtlingsheim, nicht im Hipster-Café und – mal abgesehen von den tatsächlichen Faschist:innen – auch nicht im Bierzelt.

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