Zeitung für Solidarität und Widerstand

Bundesweite Hungerstreiks: „Nach außen soll ein klares Bild entstehen: Wer sich wehrt, der wird bekämpft“

In ganz Europa werden in diesem Monat Solidaritätshungerstreiks mit Antifaschist:in Maja T. und Sozialist:innen in der Türkei abgehalten. Wir haben mit zwei Aktivist:innen aus Hamburg gesprochen, die sich ab dem 15. Juni zwei Tage lang im Hungerstreik befanden.

Wollt ihr euch und eure Organisationen erst mal kurz vorstellen?

Arthur: Young Struggle (YS), wo ich organisiert bin, ist eine sozialistische, antifaschistische und internationalistische Jugendorganisation, die europaweit aktiv ist. Wir sind Hamburger Schüler:innen, Azubis, Student:innen und junge Arbeiter:innen, für die klar ist, dass die Welt, wie sie jetzt ist, und die herrschenden Verhältnisse nicht bestehen bleiben können. In Hamburg sind wir insbesondere in Altona und Wandsbek aktiv, wo wir besonders gegen Rassismus arbeiten, uns in Schulen und am Arbeitsplatz engagieren und unsere Stadtteile solidarisch gestalten.

Lewin: Ich bin bei Pride Rebellion (PR), einer antikapitalistischen und antifaschistischen LGBTI+ Organisation für Jugendliche und junge Erwachsene. Als LGBTI+ haben wir uns zusammengeschlossen, um organisiert gegen LGBTI+ feindliche Gewalt, Faschismus, Rassismus und andere Formen der Unterdrückung aktiv zu werden – um der Gewalt, die wir tagtäglich erleben, etwas entgegenzusetzen.

Warum seid ihr in den Hungerstreik getreten?

Lewin: Wir unterstützen mit unserem Hungerstreik die Forderungen von Antifaschist:in Maja und der Föderation der sozialistischen Jugendvereine in der Türkei (SDGF). Dazu zählen die Überstellung von Maja nach Deutschland, ein Stopp der Auslieferung politischer Gefangener nach Ungarn, die Schließung der Isolationsgefängnisse in der Türkei, die Abschaffung der Isolationshaft und die Freiheit für die inhaftierten Sozialist:innen in der Türkei.

Gerade als LGBTI+ ist es besonders wichtig, Solidarität gegen diese Repressionen zu zeigen. Maja wird als nichtbinäre trans Person in Ungarn besonders schikaniert. Maja schreibt selbst: „Diese Situation ist für mich nicht länger erträglich“ und hat deswegen den Hungerstreik als frei gewählte Waffe gegen diese Schikane gewählt.

Auch in der Türkei werden die jungen Sozialist:innen der SGDF schikaniert. Sie werden in Gefängnisse gesteckt, die allein für die Isolation konzipiert wurden. In diesen Gefängnissen bekommen sie nur wenig Frischluft und kaum Sonnenlicht. Auch sie haben den Hungerstreik als Form ihres Protests genutzt, als Mittel, um gegen diese Angriffe zu kämpfen.

Wir solidarisieren uns auch mit ihnen, weil sie auf der einen Seite in der Türkei schon immer einen Kampf für unsere LGBTI+ Geschwister vor Ort geführt haben. Aber auch weil die internationale Solidarität größer ist als die Grenzen, die sie uns setzen.

Von Budapest bis in die Türkei: Hungerstreiks in Solidarität mit politischen Gefangenen

Arthur: Auch die Konföderation der unterdrückten Migrant:innen in Europa (AvEG-Kon), der Sozialistische Frauenverband SKB und die Stimme der Gefangenen (TSP) sind mit uns in den Solidaritätshungerstreik getreten.

Der Hungerstreik findet in ganz Europa statt und wird alle drei Tage in die nächste Stadt weitergegeben. Auch Genoss:innen von der Frauenorganisation Zora und der Neuen Demokratischen Jugend (YDG) haben sich in verschiedenen Städten angeschlossen.

Wie sehen die Haftbedingungen in Ungarn und der Türkei aus? Seht ihr Parallelen?

Lewin: Ja, auf jeden Fall sehen wir hier Parallelen: Dort, wo der Staat immer autoritärer und faschistischer wird, verfolgt und unterdrückt er seine politischen Gegner:innen besonders hart. Dass in beiden Ländern zu der Isolation gegriffen wird, ist natürlich kein Zufall. Der Wille der Gefangenen soll gebrochen werden, ihr Widerstand hinter den Mauern der Isolationsgefängnisse begraben werden.

Alleine die Drohung einer solchen Haft soll jeglichen Versuch des Widerstands gegen den Staat einschüchtern. Doch gleichzeitig zeigt der Staat dadurch auch, dass wir Jugendliche für ihn eine reale Gefahr darstellen. Maja befindet sich nun seit fast zwei Wochen im Hungerstreik. Das zeigt, dass der Wille und der Widerstand auch unter den stärksten Versuchen des Staates nicht gebrochen werden können.

Arthur: In Ungarn sind die Haftbedingungen, besonders im europäischen Vergleich, sehr schlecht. Maja berichtet von mangelnder Hygiene, Kakerlaken und Bettwanzen in der Zelle, von stündlichen Durchsuchungen und polizeilicher Schikane. Auch besonders als nichtbinäre Person hat Maja mit zusätzlichen Übergriffen zu kämpfen, eingesperrt in einem Regime, das die Existenz dieser Geschlechtsidentität leugnet.

Antifaschist:in Maja: Ein himmelschreiendes Unrecht

Das alles, obwohl die Auslieferung Majas nach Ungarn vom Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig eingestuft wurde. Trotzdem gibt es bis jetzt immer noch keine Anstalten, die Folter der Isolationshaft gegen Maja zu beenden und eine Rückführung nach Deutschland zu organisieren. Auch die Türkei ist bekannt für ihre Isolationsgefängnisse, die laut internationalem Gesetz als Folter gelten.

Die Gefangenen stehen dort unter ständiger Überwachung, haben keine Möglichkeit für Kontakt zu anderen Gefangenen oder der Außenwelt und oft kaum bis gar keine Frischluft oder Sonnenlicht. Man spricht deswegen von sogenannten brunnenartigen Gefängnissen. Das Erdoğan-Regime hat über die letzten Jahre zahlreiche neue Gefängnisse gebaut und neue Gefängnis-Typen wie die S- und Y-Typ Gefängnisse entworfen, die eine noch stärkere Isolierung der Gefangenen zulassen.

Ähnlich wie Maja befinden sich auch die Mitglieder der SDGF illegal in Haft. Der Jüngste von ihnen ist gerade einmal 16 Jahre alt. Die „Vorwürfe“ gegen sie sind sogar nach den eigenen Gesetzen des türkischen faschistischen Staats nicht einmal Verbrechen. Dazu zählen Dinge wie das Lesen einer linken Wochenzeitschrift oder die Teilnahme am Kongress der SDGF.

Wie hängt die Repression gegen die Sozialist:innen in der Türkei mit der Repression in Deutschland zusammen?

Lewin: Wie eben schon angesprochen, soll vor allem die Angst vor den Repressionen dafür sorgen, dass sich gar nicht erst getraut wird, wirklich gegen den Staat anzukämpfen. Das sehen wir, wie in der Türkei, auch hier in Deutschland, wo der deutsche Staat immer härter vor allem gegen junge Sozialist:innen vorgeht.

Egal ob es die 1. Mai-Demonstrationen oder Palästina-Demonstrationen sind – der Staatsapparat setzt alle Mittel ein in dem Versuch, uns durch grobe Polizeigewalt oder stundenlanges Festhalten in den Zellen der Gefangenensammelstellen einzuschüchtern. Nach außen soll ein klares Bild entstehen: Wer sich wehrt, der wird bekämpft.

So sehen wir es auch in der Türkei, wo bei den Festnahmen im Zuge der Proteste gegen die faschistische Erdoğan-Regierung Anfang diesen Jahres vor allem auch Mitglieder der Jugendorganisation SGDF in Haft gesteckt wurden.

Arthur: Deutschland zählt zu den wichtigsten Bündnispartnern der faschistischen Türkei. Unsere Herrschenden beschließen fleißig neue Abkommen und liefern weiter Waffen an die Türkei, während sie bei den Verbrechen des Regimes seit Jahren aktiv in die andere Richtung blicken.

Dazu gehören auch die unmenschlichen Haftbedingungen, die bereits seit Jahrzehnten immer wieder von Menschenrechtsorganisationen und später auch von europäischen Gremien kritisiert werden. Aber auf diese Einschätzungen folgten nie ernsthafte Schritte der Herrschenden, um die türkische Regierung zu einer Änderung dieser Zustände zu bringen.

Weiter ist davon auszugehen, dass sich die Türkei in den 80er Jahren bei der Errichtung ihrer neuen Isolationsgefängnisse auch von den damals modernen Anlagen der BRD hat inspirieren lassen. Nicht zuletzt sehen wir im Moment auch ganz klar, wie hier in Deutschland die Repressionen, vor allem gegen sozialistische und andere fortschrittliche Jugendliche, immer härter und gewaltvoller werden. Dafür reicht ein Blick nach Berlin oder Leipzig.

Was habt ihr noch geplant und wie kann man euch unterstützen?

Lewin: Wir haben zum Hungerstreik mehrere Aktionen geplant und auch schon durchgeführt, bei denen wir gezielt den Dialog mit Passant:innen suchen, um unsere Forderungen für die SGDF und Maja nach außen zu tragen. Am Montag, den 16. Juni, haben wir von 11 bis 15 Uhr eine Mahnwache an der Uni Hamburg abgehalten, am Dienstag werden wir wieder dort sein.

Der Hungerstreik – Beispiele einer revolutionären Kampfform

Am 17. Juni haben wir um 15 Uhr auch eine Kundgebung vor dem türkischen Konsulat unter dem Motto: „Lasst die Inhaftierten frei! Stoppt das faschistische Erdoğan-Regime.“ Zudem werden uns viele weitere Städte folgen. Sobald unser Hungerstreik vorbei ist, werden in Berlin unsere Genoss:innen von PR und YS in einen befristeten Hungerstreik gehen.

Auch dort sind Veranstaltungen geplant, um Maja sowie die SGDF und ihre Forderungen zu unterstützen. Sprecht mit Freund:innen und Familie über den Hungerstreik und über die Forderungen der Inhaftierten. Lasst uns gemeinsam auf die sich zuspitzende Lage der Gefangenen aufmerksam machen und Widerstand dagegen organisieren!

Arthur: Den Hungerstreik kann man gerne auf den Accounts in den Social Media weiterverfolgen und teilen. Dafür haben wir den Hashtag #stoptheisolation ins Leben gerufen. Den können auch andere benutzen, um Bilder, Bannerdrops und andere Solidaritätsaktionen zu posten. Wir möchten auch gerne alle solidarischen Menschen auffordern, Briefe an die politischen Gefangenen zu schreiben. Für sie gehört das oft zu den einzigen Kontaktmöglichkeiten mit der Außenwelt, und es hilft ihnen, ihre Zuversicht und ihren Mut nicht zu verlieren.

Zum Schluss wollen wir noch einmal unsere Forderungen zu teilen:

  • Schließung der lebensbedrohlichen Isolationsgefängnisse in der Türkei!
  • Aufhebung der Isolationshaft in der Türkei!
  • Freiheit für die sozialistischen Gefangenen in der Türkei!
  • Überstellung von Maja nach Deutschland!
  • Stopp der Auslieferungen von Antifaschist:innen nach Ungarn!
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