Nach dem Amoklauf in Graz fordern die Parteien nun „Schutzmaßnahmen“. Doch die CDU-Forderung nach einer Klarnamenpflicht im Netz ist vor allem eine repressive Überwachungsmaßnahme und war von langer Hand geplant. – Ein Kommentar von Aziza Mounir.
Direkt nach dem tödlichen Amoklauf in Graz fand in der österreichischen Politik die Ausweispflicht im Netz zurück in die Debatte. Der Grund dafür seien Gerüchte, dass der Täter in der Schule gemobbt wurde. Die Polizei hat dazu jedoch keine Erkenntnisse.
In Deutschland gibt es diese Stimmen auch. Vor allem die CDU/CSU sehen hier eine Dringlichkeit. Bayerns Digitalminister Fabian Mehring äußert es so: „Meinungsfreiheit ja – Straffreiheit nein“. „Was im analogen Leben, zum Beispiel am Stammtisch, geahndet wird, darf auch auf Social Media nicht folgenlos bleiben – und muss effektiv verfolgt werden können“, führt er weiter aus. Die CDU Schleswig-Holstein unter Landeschef Daniel Günther fordert außerdem noch ein Verbot von sozialen Medien für unter 16-Jährige.
Solchen Aussagen liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen, wenn sie identifizierbar sind, weniger hetzen. Die Realität zeigt aber etwas anderes: Faschist:innen können in Deutschland mit Reichsfahnen und NS-Sympathien auf den Straßen marschieren, ohne weitere Konsequenzen durch den deutschen Staat befürchten zu müssen. Im Bundestag äußert vor allem die AfD regelmäßig rassistische Aussagen, auch diese bleiben im Großen und Ganzen ohne Konsequenzen. Im Gegenteil: Von Jahr zu Jahr werden die Aufmärsche mehr und die Wahlerfolge der AfD größer.
Die Realität zeigt leider auch, dass, selbst wenn Manifeste von rassistischen Morden wie dem in Hanau vorher im Internet veröffentlicht werden oder polizeibekannte Täter wie der in Magdeburg vorher Drohungen im Netz teilen, die Behörden es nicht schaffen, solche Taten zu verhindern.
Anschlag in Magdeburg: Faeser fordert Repression, Faschisten schüren Hetze
Überwachung von Ausländern in den USA
Repressivere Maßnahmen bezüglich der Online-Präsenz zeichnen sich bereits in den USA ab. Das Außenministerium möchte „jede einzelne Person, die versucht, unser Land zu besuchen, gründlich überprüfen“. Ausländer, die an US-Unis studieren möchten und ein entsprechendes Visum beantragen, müssen ihre Konten in den sozialen Medien öffentlich machen und den US-Behörden die Möglichkeit geben, diese zu überprüfen. Wenn „feindselige“ Posts gegenüber den USA, der amerikanischen Kultur oder der Regierung festgestellt werden, kann das Visum verweigert werden.
Vorbeugende Überwachung
Ein autoritärer Staatsumbau geht mit einem Ausbau der Überwachung einher, sei es im digitalen Raum oder im öffentlichen Raum durch Videokameras und Überwachungsprogramme. Auch Melde- und Ausweispflichten fallen darunter. Staaten möchten sich hier – zur Sicherung ihrer Macht – mit Maßnahmen wappnen, um gegenüber der Bevölkerung auf die Bekämpfung von Aufständen in Krisensituationen vorbereitet zu sein. Politische Aktivist:innen und revolutionäre Kräfte werden bereits im Vorhinein überwacht und kriminalisiert.
Gerade in Zeiten zunehmender Krisen für Deutschland (wie der Energiekrise oder dem Rückstand im internationalen Rüstungswettlauf) muss die innere Ordnung mit allen Mitteln aufrecht erhalten werden. Und gerade diese wackelt. Gerade im digitalen Raum, in dem der Staat bislang keine wirkliche Kontrolle erlangen konnte, kämpft die Regierung seit Neuestem mit einem Bundesdigitalministerium gegen etwaigen Informationsaustausch. Das trifft kriminelle und reaktionäre Elemente ebenso wie progressive politische Kräfte.
Nehmen wir den Amoklauf in Graz: Eine fatalen Folgen der Missstände in unserer Gesellschaft, dass so etwas immer wieder passiert. Ernstgemeinte Maßnahmen dagegen und gegen Mobbing generell sind dabei zu begrüßen. Doch der Wind für restriktivere Netzpolitik, der dadurch aufkam, weht von ganz woanders her. Dazu muss man hierzulande nur mal einen Blick in den Koalitionsvertrag werfen.
Dass an diesem Fall die Debatte für mehr digitale Überwachung im Nachbarland entfacht wurde, ist ein gefundenes Fressen für die regierenden Parteien in Deutschland, um ihre Überwachungspolitik eben darüber legitimieren zu können.