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CDU: Hetze gegen Arbeitslose als Mittel des Klassenkampfs

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann beschwert sich über Bürgergeldempfänger, während seine Koalition plant, die Körperschaftssteuer um ein Drittel zu senken. Wo liegt die wahre Ungerechtigkeit im System? – Ein Kommentar von Enrico Telle.

Nachdem die Mitglieder der neuen Bundesregierung im Wahlkampf und danach schon alle möglichen Vorstöße gegen die Arbeiter:innenklasse gefordert haben, wie unter anderem die Abschaffung des Acht-Stunden-Tags, rechnet CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nun mit dem Bürgergeld ab: Gegenüber der dpa behauptet er, dass es „eine Chiffre für Ungerechtigkeit“ geworden sei. Hier müsse nun also kräftig umgebaut werden, „an die Substanz“ müsse es gehen.

Er rügt auch die Vorgängerregierung – und damit die aktuell mitregierende SPD –, denn deren Sanktionen wären zu bürokratisch und in der Praxis im Jobcenter oft nicht umsetzbar gewesen.

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Der Mythos der „Totalverweigerer“

Dabei hat er tatsächlich mit zwei Dingen recht: Das Bürgergeld ist tatsächlich ungerecht, denn – genauso wie der Mindestlohn – ist es viel zu niedrig und im Übrigen auch seit Januar 2024 nicht gestiegen. Und es ist auch, wie er ja anscheinend begriffen hat, nicht härter sanktionierbar als ohnehin schon in der Praxis üblich, wie zuletzt im Jahr 2019 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde.

Sozialverbände wie der VdK und die Diakonie kritisieren außerdem, dass Sanktionen Geringqualifizierte ganz besonders häufig treffen, weil sie größere Probleme haben, bürokratische Hürden zu bewältigen. Überhaupt wird die Wirkung von Sanktionen als Mittel zur Förderung der Mitwirkung angezweifelt. Der Verein Sanktionsfrei versucht z.B., Menschen außerhalb der staatlichen Netze aufzufangen und hat auch schon zur schädlichen Wirkung der Praxis geforscht. Fazit: Jobcenter seien „Orte der Angst“.

Im Argen liegt aber einiges, wenn es um die wirtschaftliche Bedeutung der sogenannten „Totalverweigerer“ geht – die ist nämlich ein absoluter Mythos: Statistisch gesehen ist das Phänomen der Arbeitsverweigerung überhaupt nicht nicht relevant, gerade einmal 0,86 Prozent der Bürgergeld-Empfangenden fielen in den ersten elf Monaten des Jahres 2023 in diese Kategorie. In absoluten Zahlen sind das 13.838 Fälle.

Tag der Arbeitslosen: Solidarität statt Spaltung

Hetze auf allen Seiten

Nun könnte man denken, Herr Linnemann hetzt einfach gern gegen Arbeiter:innen, so wie zuletzt in der ARD-Sendung „Caren Miosga”, als er klarmachte, dass es die Rentner:innen seien, die in Deutschland zu wenig arbeiteten. Eigentlich ein Faux Pas, macht doch dieser Teil der Bevölkerung einen Großteil der Stamm-Wählerschaft seiner Partei aus – und sich die Zahl der arbeitenden Rentner:innen in den letzten zwanzig Jahren ohnehin vervierfacht hat.

Aber so leicht wollen wir es uns nicht machen, denn seine Propaganda hat Kalkül und daher lohnt es sich, auf die Pläne der Koalition zu schauen.

Steuergeschenke an Unternehmen

Erst am 04.06. hat diese ein neues Paket beschlossen, das substantielle Steuersenkungen beinhaltet: die Körperschaftssteuer soll von 15 Prozent auf 10 Prozent herabgesenkt werden, „um die Wirtschaft in Schwung zu bringen“. Darüber hinaus soll es neue Abschreibungsmöglichkeiten geben, 30 Prozent in den nächsten drei Jahren. Dies soll Unternehmen anreizen, neue Investitionen in Deutschland zu tätigen, um so Arbeitsplätze zu sichern. Insgesamt sollen schon dieses Jahr zweieinhalb Milliarden Euro von Unternehmen eingespart werden können, im Jahr 2027 sollen es schon fast zwölf Milliarden sein.

Auch Carsten Linnemann weiß, dass sich diese Summen weder bei Rentner:innen noch bei Arbeitssuchenden einsparen lassen. Aber wieder auf angebliche Totalverweigerer zu verweisen, dient als strahlendes Strohfeuer, während seine Koalition am Donnerstag das neue Steuerpaket durchdrückt.

Wäre es dem deutschen Staat tatsächlich vor allem an seinem Einkommen gelegen, hätte man nämlich beispielsweise Forderungen im Zusammenhang mit den Cum-Ex und Cum-Cum-Skandalen geltend gemacht, anstatt nur insgesamt 0,02 Prozent des Schadens überhaupt juristisch aufzuarbeiten. Überhaupt ist diese offensichtliche Klientelpolitik der CDU alles andere als überraschend: Friedrich Merz‘ alte Kolleg:innen bei BlackRock dürften sich schon die Hände reiben, den Steuersatz auf ihre Investitionen weiter drücken zu können.

Mehr Arbeit und Aufrüstung, weniger Geld und Gerechtigkeit

Sowohl die Taten als auch die Rhetorik der Regierung machen also klar: Es geht der Union nicht einfach nur darum, mehr Steuereinnahmen zu generieren oder die deutsche Wirtschaft anzukurbeln. Die Motivation hinter der Hetze ist die großangelegte Umverteilung von unten nach oben, die sich umso einfacher gestaltet, wenn man in der Gesellschaft das Bild von „faulen Arbeitslosen” sät. Linnemanns Aussagen sind also vor allem ein Mittel der Regierenden im Klassenkampf von oben.

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