Den eigenen Körper und die eigene Gesundheit als letztes verbliebenes Mittel gegen Verfolgung, Repression und Ungerechtigkeit einsetzen – das ist die politische Bedeutung eines Hungerstreiks. In der Geschichte der revolutionären Arbeiter:innenbewegung wurde immer wieder zu diesem Mittel gegriffen, um den eigenen Forderungen Nachdruck zu verleihen. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.
Menschen, die sich Ausbeutung und Unterdrückung widersetzen, landen nicht selten in den Gefängnissen derer, gegen die sie kämpfen. Dort, wo ihnen die Freiheit und die Möglichkeiten des Kampfes entzogen werden, suchen politische Gefangene Wege, ihren Widerstand fortzusetzen. Der Hungerstreik, also die Verwehrung von Nahrungsaufnahme, ist dabei eines der stärksten Mittel, das ihnen bleibt.
Mit dem Verzicht auf die Nahrung setzen Gefangene und Protestierende ihren eigenen Körper und ihre eigene Gesundheit als Waffe ein. Sie hören auf zu essen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, Forderungen zu stellen, sich gegen Isolation und Willkür zu wehren. Die Schwächung des eigenen Körpers ist dabei gerade kein Zeichen von Schwäche, sondern ein bewusster und mutiger Schritt. Der Hungerstreik ist Ausdruck größtmöglicher Entschlossenheit, den eigenen Kampf unter den widrigsten Bedingungen fortzuführen.
Derzeit benutzt der:die Antifaschist:in Maja den Hungerstreik gegen die widrigen Bedingungen im ungarischen Knast. Majas Protest reiht sich ein in die Liste der zahlreichen Beispiele, bei denen Gefangene zu diesem Mittel greifen.
Von Budapest bis in die Türkei: Hungerstreiks in Solidarität mit politischen Gefangenen
Von der RAF bis ans Brandenburger Tor – Hungerstreiks in Deutschland
In Deutschland sind vor allem die Hungerstreiks der Roten Armee Fraktion (RAF) bekannt. In den 1970er Jahren protestierten inhaftierte Mitglieder der RAF wie Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin mehrmals mit teilweise mehrere Wochen andauernden Hungerstreiks gegen ihre Haftbedingungen. Eine der Hauptforderungen war 1973 und 1974 beispielsweise die Aufhebung der Isolationshaft und die Zusammenlegung mehrerer RAF-Gefangener im Gefängnis Stuttgart-Stammheim.
1974 starb der Gefangene Holger Meins nach 58 Tagen Hungerstreik – er war der erste Gefallene der RAF im Gefängnis. Die Forderungen der RAF wurden von den Behörden nicht erfüllt, zum Teil wurden die Haftbedingungen sogar verschärft.
Besondere Aufmerksamkeit und breitere Solidarität in der Bevölkerung erhielten auch die Hungerstreiks der RAF nach dem sogenannten „Deutschen Herbst“ 1977 und nach dem gescheiterten Befreiungsversuch der Inhaftierten der RAF sowie der Todesnacht von Stammheim. Es gelang den RAF-Gefangenen so immer wieder, die Haftbedingungen in Deutschland, aber auch die Notwendigkeit des militanten Widerstandes Tausenden von Menschen ins Bewusstsein zu rufen.
Auch heute finden in Deutschland noch Hungerstreiks statt. Der Gefangene Andreas Krebs in der JVA Tegel trat beispielsweise mehrere Male in den Hungersteik um gegen die schlechten Haftbedingungen wie mangelnde ärztliche Versorgung und defekte sanitäre Anlagen, aber auch den beschränkten Zugang zu Literatur und Briefkorrespondenzen durch die Gefängnisleitung zu protestieren.
JVA Tegel: Andreas Krebs beendet Hungerstreik für bessere medizinische Versorgung
Der Musiker İhsan Cibelik und die Journalistin Özgül Emre sind beschuldigte Mitglieder der DHKP-C (Volksbefreiungspartei-Front; türkisch Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi) in einem Verfahren nach §129b und wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Beide traten 2022 in den Hungerstreik um gegen medizinische Unterversorgung und für das Recht auf das Tragen eigener Kleidung zu kämpfen. Özgül Emre konnte dabei durch einen 44-tägigen Hungerstreik erreichen, dass sie eigene Kleidung im Gefängnis tragen darf.
Als Teil einer Solidaritätskampagne gegen den Paragrafen 129 traten auch die Aktivistin Eda Deniz Haydaroğlu und drei weitere Unterstützer:innen in den unbefristeten Hungerstreik. Haydaroğlu beendete ihren Hungerstreik nach über 300 Tagen erst, als Cibelik das Recht auf eine lebensnotwendige Operation erhielt.
„Ich bin seit über 80 Tagen im unbefristeten Hungerstreik gegen die Paragraphen 129,129a und 129b“
Immer wieder kam es in Deutschland vor allem ab 2012 außerdem zu Hungerstreiks von Geflüchteten, die diese Form des Widerstands nicht selten aus den Gefängnissen ihrer Herkunftsländer mit nach Deutschland brachten. An den Streikaktionen beteiligten sich oft mehrere Dutzend Geflüchtete und zum Teil ganze Belegschaften von Heimen. Damit wurde auf die schlechten Bedingungen in den Unterkünften, aber auch auf die politische Unterdrückung von Geflüchteten, zum Beispiel die Einschränkung ihrer Mobilität und des Rechts auf Arbeit aufmerksam gemacht. Einer der größten dieser Hungerstreiks fand im Jahr 2012 vor dem Brandenburger Tor in Berlin statt.
Im Jahr 1980 traten elf Sinti im ehemaligen Konzentrationslager Dachau in den Hungerstreik. Dadurch schafften sie so viel Aufmerksamkeit, dass später die damalige Bundesregierung unter Helmut Schmidt den Völkermord der Nationalsozialist:innen an den deutschen Rom:nja und Sinti:zze offiziell anerkannte.
Hungerstreiks der irischen Freiheitsbewegung
Auch irische republikanische Gefangene leisten immer wieder Widerstand gegen die britische Regierung, indem sie Hungerstreiks durchführen. Der bekannteste dieser Streiks fand 1981 als Höhepunkt eines jahrelangen Protests statt. Gestreikt wurde, weil den Inhaftierten der politische Status aberkannt worden war – sie sollten wie gewöhnliche Kriminelle behandelt werden, obwohl sie sich selbst als politische Kämpfer gegen die britische Herrschaft und für ein befreites und vereintes Irland verstanden.
Die Hauptforderungen der Gefangenen wurden als „Five Demands“ bekannt. Sie zielten unter anderem auf das Recht ab, eigene Kleidung zu tragen, keine Zwangsarbeit leisten zu müssen und freie Kommunikation untereinander zu haben. Außerdem wollten sie wieder als politische Gefangene anerkannt werden.
Angeführt wurde der Streik von Mitgliedern der IRA (Irish Republican Army) und der INLA (Irish National Liberation Army). Der bekannteste der hungerstreikenden Gefangenen war Bobby Sands, der als Symbolfigur des Widerstands internationale Aufmerksamkeit erlangte. Während des Streiks wurde er ins britische Parlament gewählt, was seine Bedeutung und die Aufmerksamkeit noch steigerte. Bei den Hungerstreiks von 1981 starben zehn Gefangene, nachdem sie wochenlang die Nahrungsaufnahme verweigerten – Bobby Sands selbst als erster der Gefangenen am 66. Tag seines Hungerstreiks.
Die Solidarität mit den Hungerstreikenden war in der irischen Bevölkerung groß – es kam zu Massendemonstrationen und weltweiten Solidaritätsaktionen, der politische Druck auf Großbritannien stieg. Allein zur Beerdigung von Sands kamen 100.000 Menschen.
Die britische Regierung unter Margaret Thatcher blieb jedoch hart und kompromisslos. Thatcher lehnte jede Verhandlung mit den Gefangenen oder der IRA ab und bezeichnete die Hungerstreikenden als „Verbrecher, keine politischen Gefangenen“.
Auch heute wenden irische Gefangene kollektive Hungerstreiks an um Forderungen durchzusetzen. So auch im Jahr 2020, als irische republikanische Gefangene in Portlaoise in Solidarität mit Dr. Issam Hijjawi in den Hungerstreik traten. Damit wollten sie für bessere Haftbedingungen des durch britische Behörden inhaftierten palästinensischen Arztes und Aktivisten kämpfen.
Hungerstreiks in Westasien
Auch in Palästina selbst haben palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen seit Jahrzehnten Hungerstreiks als Form des Protests genutzt. Besonders bekannt wurde der Massenhungerstreik von 2017 unter der Führung von Marwan Barghouti, an dem sich über 1.300 Gefangene beteiligten. Sie forderten ein Ende der Administrativhaft, bessere Haftbedingungen, medizinische Versorgung und Besuchsrechte.
Die Solidarität für derartigen Widerstand gegen die Besatzung ist in der palästinensischen Gesellschaft traditionell groß. Die israelische Regierung reagierte mit Zwangsmaßnahmen und Isolationshaft.
Auch in der Türkei und Kurdistan organisieren revolutionäre Kräfte immer wieder Hungerstreiks. Derzeit streiken Gefangene der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP), der Sozialistischen Frauenräte (SKM) und der Föderation Sozialistischer Jugendvereine (SGDF) in türkischen Gefängnissen gegen ihre schlechten Haftbedingungen. Anfang des Jahres hatten Razzien stattgefunden, bei denen 40 Aktivist:innen der ESP, SKM und SGDF festgenommen wurden.
Europaweiter Hungerstreik in Solidarität mit politischen Gefangenen in der Türkei
Einige von ihnen werden in sogenannten „Brunnen-Typ“-Gefängnissen eingesperrt. Diese Zellen zeichnen sich durch ihre spezielle Bauweise aus und haben den Zweck, die Gefangenen durch Isolation zu brechen.
2019 traten hunderte kurdische Aktivist:innen, darunter viele politische Gefangene, in einen koordinierten Hungerstreik, angeführt von der inhaftierten HDP-Abgeordneten Leyla Güven (Halklarin Demokratik Partisi; Demokratische Partei der Völker). Ziel war, das Ende der Isolationshaft von Abdullah Öcalan zu erwirken.
Die Streiks wurden von Kurd:innen weltweit mit großer Solidarität aufgenommen, unter anderem begannen auch kurdische Gefangene in Straßburg einen Hungerstreik um die Forderungen zu unterstützen. Die türkische Regierung begegnete dem Protest mit Festnahmen, Zensur und Überwachung. Erst nach monatelangem Druck wurden vereinzelte Besuche bei Öcalan erlaubt – ein seltenes Zugeständnis.
Im Jahr 2020 traten die Musiker:innen Helin Bölek und İbrahim Gökçek, wie İhsan Cibelik ebenfalls Mitglied der Band Grup Yorum, in einen monatelangen Hungerstreik. Damit wollten sie gegen staatliche Repression, Auftrittsverbote und die Inhaftierung von Bandmitgliedern zu protestieren. Bölek und Gökçek forderten künstlerische Freiheit und das Ende der Kriminalisierung oppositioneller Kultur durch das Erdogan-Regime.
Der Streik fand breite Unterstützung in der türkischen Gesellschaft und in den sozialen Medien. Der türkische Staat wiederum reagierte mit harter Repression, Polizeieinsätzen gegen Unterstützer:innen und der fortgesetzten Kriminalisierung der Band. Bölek starb nach 288 Tagen Hungerstreik, Gökçek nach 323 Tagen.
Wilder Streik in Gräfenhausen geht weiter – LKW-Fahrer:innen im Hungerstreik
Kritik an der Methode der Zwangsernährung
Immer wieder versuchen Gefängnisbehörden und staatliche Institutionen, Hungerstreiks durch Zwangsernährung zu vereiteln und die Gefangenen so an ihrem Widerstand zu hindern.
In diesem Zusammenhang ist vor allem das Vorgehen US-amerikanischer Behörden immer wieder kritisiert worden. So kam es im berüchtigten „Anti-Terror”-Gefängnis von Guantánamo Bay über Jahre hinweg immer wieder zu Hungerstreiks von Gefangenen, die damit gegen ihre unbefristete Inhaftierung ohne Anklage, Misshandlungen und die generellen Haftbedingungen protestierten.
Besonders intensiv war der Protest im Jahr 2013, als mehr als 100 der rund 160 Insassen gleichzeitig die Nahrungsaufnahme verweigerten. Die US-Behörden reagierten darauf mit systematischer Zwangsernährung, bei der Häftlinge fixiert und über Nasensonden ernährt wurden. Mehrere Gefangene berichteten von gewaltsamen Abläufen, starken Schmerzen und Demütigung.
Internationale Organisationen wie das Rote Kreuz, Human Rights Watch und der UN-Sonderberichterstatter für Folter kritisierten die Praxis scharf. Trotz weltweiter Kritik setzte das US-Militär jedoch die Maßnahmen mit der Begründung fort, man müsse das Leben der Häftlinge erhalten – ein Argument das so auch von vielen anderen Staaten bei der Unterdrückung von Hungerstreiks verwendet wird.