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Festival-Saison: Im Rausch dem System entkommen?

Explodierende Preise, exzessiver Drogenkonsum, unreine Substanzen, Alkoholvergiftungen, patriarchale Übergriffe und auch Tote: Die Festival-Saison läuft wieder an. Doch die meisten Festivals haben ihren Ursprung als kleine Inseln der Kollektivität und als Rückzugsorte vor dem tristen Alltag im Kapitalismus. Welche Alternative gibt es zum Konsumzwang und blindem Hedonismus der Festival-Industrie? – Ein Kommentar von Leon Wandel.

Die Ticketpreise für Festivals sind in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Beispielsweise kostete das Schweizer Festival Frauenfeld im Jahr 2010 noch 140€. Dieses Jahr zahlt man umgerechnet 372€ oder sogar 554€ für ein VIP-Ticket. Doch die Eintrittspreise sind nur die halbe Miete. Für besser ausgestattete sanitäre Einrichtungen, für Getränke und Essen oder auch Freizeitaktivitäten, wie beispielsweise das Fahren mit einem Riesenrad auf dem Festival-Gelände, zahlt man jeweils hohe Preise obendrauf. Zudem gibt es oft überteuerte Merch-Stände, die einen ebenfalls arm machen können.

Eine weitere Methode der Betreiber:innen von Festivals, den Gästen das Geld aus der Tasche zu locken, ist die Art und Weise, wie man bezahlt: Bei den meisten größeren Festivals kann man nämlich nicht mit Bargeld bezahlen. Es ist gängig, einen Chip, der am Festival-Bändchen befestigt ist, mit Bargeld oder per Karte aufzuladen. Bezahlt wird dann in einer Fantasie-Währung. Das Perfide daran ist, dass die Währung fast nie eins zu eins in Eurobeträge umzurechnen ist. Gerade angeheiterte Gäste geben mit diesem Trick noch mehr ihres hart erarbeiteten Lohns für überteuerte Dinge aus. So angenehm es also ist, beim Tanzen kein Kleingeld bei sich tragen zu müssen, lassen die Betreiber:innen der durchkommerzialisierten Festivals keine Gelegenheit verstreichen, um sich an den Gästen zu bereichern.

Wer also vor ein paar Jahren noch auf mehrere Festivals im Jahr gehen konnte, kann das heute nicht mehr ohne Abstriche machen. Zumal die Preise im Supermarkt und für die Wohnung ebenfalls immer weiter steigen und die Löhne schon seit Jahren stagnieren.

Zunehmende Armut geht Hand in Hand mit steigenden Mieten

Patriarchale Gewalt, Drugs and Rock ’n’ Roll

Das Patriarchat, das älteste Unterdrückungsverhältnis der Menschheit, durchdringt die kapitalistische Gesellschaft in allen Bereichen – es gibt also für Frauen keinen hundertprozentigen „Safe-Space“. Zwar gibt es auf einigen Festivals Awareness-Strukturen, an die sich Betroffene von patriarchaler Gewalt oder Übergriffen wenden können. Doch das hat seine Grenzen.

So ist es doch gerade der übermäßige Konsum von Rauschmitteln, der die potenziellen Täter enthemmt und dann für etwaige Grenzüberschreitungen eine – scheinbar – wasserdichte Ausrede liefert: „Er war ja schließlich betrunken.“ In Schweden wurde beispielsweise das größte Festival des Landes für das Jahr 2024 abgesagt, nachdem im Vorjahr vier Vergewaltigungen und 23 sexualisierte Übergriffe gemeldet wurden.

Hinzu kommt, dass bei einer Anzeige der Betroffenen oft nicht geglaubt wird. Sie muss nach deutschem Recht erst einmal die Schuld des Beschuldigten beweisen, statt dass der Beschuldigte seine Unschuld glaubhaft machen muss. Dies verdeutlicht: Das Gesetz und die Exekutive stehen nicht auf der Seite der Betroffenen! Somit ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer der Übergriffe weit höher ist als die offiziellen Zahlen.

Es gibt besonders perfide Methoden der Täter, die vermehrt bei Festivals zum Einsatz kommen: Zum einen geschieht es in der Partyszene immer wieder, dass Getränke mit Liquid Ecstasy, auch bekannt als KO-Tropfen, versetzt werden. Die KO-Tropfen bewirken, dass die Frauen handlungsunfähig werden oder ihr Bewusstsein verlieren. Daher ist Liquid Ecstasy auch als Vergewaltigungsdroge bekannt. Zum anderen wurden in der Vergangenheit einige Vorfälle bekannt, bei denen kleine Kameras in den WCs oder Duschen auf Festivals angebracht wurden. Das Material landet dann teilweise im Internet. Derartige patriarchale Verbrechen sind keine „Einzelfälle“, selbst Festivals mit linkem Anspruch sind davor nicht geschützt.

Bundesrat: K.o.-Tropfen sollen als gefährliches Werkzeug gelten

Ballern bis zum Kommunismus?

Ein weiteres Problem ist der Drogenkonsum auf Festivals. Dazu ist zu sagen, dass in den Medien oft reißerische Horrorgeschichten über „Killerdrogen“ verbreitet werden und gleichzeitig verharmlosende Artikel über Alkohol gang und gäbe sind. Trotzdem geht von einigen Substanzen eine Gefahr aus – und zwar nicht, weil alle illegalisierten Substanzen von Natur aus „Teufelszeug“ sind, sondern weil die Umstände auf Festivals den Trip schnell zur Höllenfahrt machen können. Denn Drogen sind, gerade bei Festivals mit elektronischer Musik, im Überfluss vorhanden.

Weltweiter Drogenkonsum steigt in Krisenzeiten an

Oft laufen Dealer offen von Zelt zu Zelt und bieten sämtliche Substanzen an. Von den üblichen Beschaffungshürden keine Spur. Gerade Menschen, die suchtgefährdet sind oder zu einem übermäßigen Konsum neigen, ist das Überangebot verheerend. Diese Substanzen sind zwar verfügbar und oft auch günstig, allerdings ist es in der Praxis kaum möglich, die Drogen auf ihre Reinheit zu überprüfen. Es gibt zwar Internetseiten, die vor gewissen Substanzen warnen, aber die wenigsten haben Testkits dabei, um herauszufinden, ob die MDMA-Pille womöglich mit Meth, 2CB oder anderen Substanzen gepanscht ist. Einige Festivals haben allerdings sogenannte Drugchecking-Stände, wo man seine Drogen testen kann.

Es gibt allerdings noch ein weiteres Risiko: Denn wer Drogen konsumiert und dann stundenlang in der Sonne tanzt, landet ganz schnell im Zelt der Sanitäter:innen. Dass es auf Festivals teils nur eine schlechte Trinkwasserversorgung gibt und die Temperaturen aufgrund des Klimawandels auch gerne mal über 40 Grad steigen, verschlimmert diese Gefahr zunehmend. Wie bereits erwähnt, sind illegale Drogen nicht das einzige Problem, denn auf Festivals werden oft absurde Mengen Alkohol konsumiert – was in der Öffentlichkeit oft noch als „deutsche Kultur“ und Normalität gilt. Das Festival Wacken hat beispielsweise extra eine „Bier-Pipeline“ auf dem Festivalgelände installiert.

Das „sicherste Volksfest der Welt“?

Der übermäßige Konsum kann auch bis zum Tod führen. Beispielsweise starben allein in Australien im Zeitraum zwischen den Jahren 2000 und 2019 64 Menschen auf Festivals. Die Personen waren überwiegend männlich, im Schnitt 23 Jahre alt und bei über der Hälfte der Fälle wurde Ecstasy im Blut festgestellt. Es sind auch mehrere Fälle bekannt, bei denen Menschen in Gewässern, die manchmal Teil der Festivalgelände sind, ertranken.

Kann uns ein Wochenende voller Ekstase befreien?

Festivals haben vieles gemeinsam mit alltäglichen Freizeitgestaltungen wie Freibädern oder Kinos. Die Preise für die schönen Dinge im Leben steigen rasant in die Höhe, und alles wird bis ins Kleinste durchkommerzialisiert. Festivals, die als kleine Orte der subkulturellen Entfaltung ihren Anfang genommen haben, sind heute eher mit einem Freizeitpark inklusive Live-Musik zu vergleichen.

Festivals, die einst Menschen angezogen haben, weil sie Orte der Kollektivität und der Solidarität waren, sind heute Orte des stumpfen Konsums. Feste, die einst eine Fluchtmöglichkeit aus den Zwängen des harten kapitalistischen Alltags versprachen, sind heute Orte, wo die Solidarität und Kollektivität in Alkohol und Drogen erstickt wird. Immer wieder sterben Menschen durch exzessiven Drogenkonsum, und Frauen sind permanent patriarchaler Gewalt ausgesetzt. Blinder Hedonismus ersetzt immer öfter die offene Feierkultur.

Die Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaftsweise begegnen uns heute in immer neuen Lebensbereichen. Ein Schritt könnte sein, sich Gedanken zu machen, welche Festivals man wirklich genießt und sich auch leisten kann. Denn es gibt zahllose kleine Feste, die noch weit davon entfernt sind, im Kommerz zu versinken. Die Bemühungen, Festivals so sicher wie möglich zu gestalten, sind gute Ansätze. Wir müssen uns aber trotzdem bewusst sein, dass es in unserer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft am Ende keine durch und durch sicheren Orte gibt – bis wir uns eine neue Welt erkämpft haben, in der das Patriarchat zusammen mit dem Kapitalismus begraben ist, werden Frauen und LGBTI+ nicht frei sein.

Ein anderer Schritt wäre, sich Gedanken zu machen, weshalb in den letzten Jahren alles teurer wird, aber unsere Löhne stagnieren. Sich zu überlegen, wieso so viele Menschen den Drang haben, sich auf einem Festival abzuschießen? Was macht es für viele denn so schwer, unser Leben nüchtern zu ertragen? Eigentlich kein Wunder, wenn die Jugend befürchten muss, dass sie bald von unserem Kriegsminister an die Front geschickt wird oder ein Job in Aussicht hat, der dem Chef einen Porsche spendiert und man selbst in der Stadt kaum eine Wohnung zur Miete bekommt. Und wenn man schließlich Tag für Tag Bilder des Genozids in Gaza sieht, den der deutsche Staat unterstützt.

Wie der Kapitalismus uns krank macht

Zum Schluss kann man sich dann noch überlegen, ob die uns krankmachende Gesellschaft wirklich für alle Tage so träge sein muss wie heute. Und ob wir als geeinte Klasse uns nicht eine bessere Welt erkämpfen könnten. Die Kämpfe der Vergangenheit zeigen uns, dass es möglich ist! Und auch wenn es sehr befreiend ist, unseren Frust über die bestehende Ordnung rauszutanzen: Die Aufgabe, das herrschende System zu stürzen, stemmen wir nur mit einem klaren Geist und mit echter Solidarität innerhalb unserer Klasse!

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