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Große Dividenden und massiver Reallohnverlust: Warnstreik in der Versicherungsbranche

Seit Ende März ist der Tarifvertrag für Beschäftigte bei privaten Versicherungen bereits ausgelaufen. Fortschritte bei den Verhandlungen gab es trotz mehrerer Streiks bis jetzt nicht. Auch am Donnerstag fand erneut ein Warnstreik statt, zu dem 180.000 Arbeiter:innen der Branche aufgerufen worden waren.

Zwei Themen dominieren die Verhandlungen um den neuen Tarifvertrag und den enormen Reallohnverlust, der sich in den andauernden Krisen erheblich zugespitzt hat, und um die immer weiter wachsende Unsicherheit durch die Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz.

Die Gewerkschaft ver.di fordert eine Erhöhung des Lohns und aller Zuschläge um 12 Prozent. Auszubildende sollen 250 Euro mehr und eine unbefristete Übernahme bekommen. Hinzu soll ein neuer Tarifvertrag kommen, in dem die Interessen der Arbeiter:innen gegen die sich am Horizont abzeichnenden Stellenstreichungen wegen KI abgesichert werden.

Der Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen (AVG) will hiervon nichts wissen. Man bietet gerade einmal 4,8 Prozent Lohnerhöhung und in einer zweiten Phase ein Jahr später dann eine 3,3-prozentige Erhöhung. Das alles bei einer Laufzeit von 35 Monaten.

Bei der Dividende sind sie fix – beim Lohn gibt’s nix

Anders als beim Lohn der Arbeiter:innen der Branche hat der Umsatz der Firmen genau das Gegenteil eines Verlusts erlebt: Gerade während der fortwährenden Krisen konnten sich besonders die Versicherungsmonopole noch stärker bereichern, da sie sich als sehr krisenfest bewiesen haben.

Die Verhandlungsführerin von ver.di, Martina Grundler, nannte das Angebot der AVG gegenüber den Arbeiter:innen, die diese Gewinne ja erwirtschaftet haben, „hochnotpeinlich“.

Reallohnverlust für die Arbeiter:innen

Zum anstehenden Verhandlungstag am 4. Juli forderte sie deshalb: Man erwarte „ein Angebot, das die Beschäftigten nicht etwa ärmer macht, sondern sie am Erfolg der Branche teilhaben lässt.“ Was das über den Ausgang der Verhandlungen jedoch aussagt, bleibt fraglich.

So erreichte ver.di im April gegen den AVG auch nichts weiter als eine schwache Bruttolohnerhöhung. Von einer konsequenten und wirkungsvollen Bekämpfung des realen Lohnverlusts seitens ver.di – Hauptakteurin für die Verhandlungen – kann man also nicht unbedingt ausgehen.

Einigung zwischen BVG und Verdi: „Schrecklich“ und „Augenwischerei“

Währenddessen sehen sich die Arbeiter:innen der Branche gezwungen, mit einem deutlichen Verlust ihrer Kaufkraft zurecht zu kommen. Den noch geltenden Tarifvertrag handelte ver.di Anfang 2022 aus: Er beinhaltete neben kleinen Einmal-Zahlungen Lohnerhöhungen von jeweils 3, bzw. 2 Prozent im September 2022 und 2023. Ursprünglich sollte der Tarifvertrag noch bis März 2024 laufen. Ende 2022 einigten sich ver.di und der AGV jedoch auf eine nochmalige Verlängerung um ein Jahr, welche Einmal-Zahlungen in Höhe von 2.000 Euro, sowie eine erneute Lohnerhöhung um 3 Prozent im September letzten Jahres beinhaltete.

Seit 2022 ist der Lohn der Versicherungsarbeiter:innen also schrittweise um weniger als 9 Prozent erhöht worden. Im gleichen Zeitraum ist der Verbraucherpreisindex hingegen um mehr als 15 Prozent angestiegen. Die Arbeiter:innen leben also schon jetzt seit drei Jahren mit einem massiven Verlust ihrer Kaufkraft.

Keine Kompromisse

Der Verhandlunsgführer der AVG erklärte derweil im April, der Reallohnverlust der vergangenen Jahre könne nicht so einfach in einem Abschluss nachgeholt werden. – Hier fehlt aber wohl eher der Wille als der Umsatz.

Was die Lage weiter verschärft, ist die Tatsache, dass der Verhandlungstermin am 4. Juli der letzte bis zum Herbst sein wird. Das Ausbleiben einer Einigung würde also die Branche wieder über Monate ohne Tarifvertrag im Regen stehen lassen.

Nicht Druck genug?

Nun liegt es an den Arbeiter:innen selbst, verstärkt Druck aufzubauen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen. Letzte Woche waren bei einem Warnstreik bereits etwa 7.000 Streikende auf der Straße. Auch gestern organisierten die Streikenden der sonst fast unsichtbaren Brauche in 15 Bundesländern zahlreiche Demonstrationen und Kundgebungen, um die Daumenschrauben anzuziehen und mehr Öffentlichkeit zu schaffen für ein zentrales Problem aller Arbeiter:innen in Deutschland: den immensen Reallohnverlust.

Ob sich dieser verhindern lässt oder die Streikenden ein besseres Ergebnis erzielen können, bleibt abzuwarten und hängt nicht zuletzt davon ab, ob ver.di sich erneut auf einen frustrierenden Kompromiss einlässt, der vor allem den Kapitalist:innen zugute kommt.

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