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Hungerstreik in türkischem Grubengefängnis: „Keine Bitte an das Gewissen des Feindes“

„Ein Signal an die revolutionäre Bewegung weltweit“ soll der Hungerstreik des türkischen Revolutionärs Fikret Akar sein. Im Gespräch mit Perspektive erzählt seine Frau Şükriye Akar von Fikrets Kampf gegen die Haftbedingungen in der Türkei. Und was ihm die Kraft gibt, weiterzumachen.

In den Gefängnissen der Türkei greifen revolutionäre politische Gefangene immer wieder zum Hungerstreik als letztem Mittel des Widerstands gegen das autoritäre Regime der AKP. In einem System, das auf Isolation, Repression und vollständiger Entrechtung basiert, bleibt den Inhaftierten oft kein anderer Weg um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Der Hungerstreik wird so zu einer radikalen Form des Protests. Ein stiller, aber kraftvoller Kampf aus der absoluten Gefangenschaft heraus. Derzeit befinden sich in der Türkei über 400.000 Menschen in Haft, zehntausende von ihnen aus politischen Gründen. Ihre Kämpfe finden oft jenseits der öffentlichen Wahrnehmung statt, umso wichtiger ist die internationale Solidarität, die ihre Stimmen hörbar macht und ihren Widerstand unterstützt.

Ein Beispiel ist der langjährige politische Gefangene und marxistische Aktivist Fikret Akar, der sich nun seit 92 Tagen (Stand: 30.06.25) im unbefristeten Hungerstreik befindet. Seine Frau Şükriye Akar kämpft von draußen an seiner Seite und für seine Sache. – Ein Interview.

Şükriye, wer ist Fikret für dich – als Mensch, als politischer Mensch? Was macht ihn aus?

Fikret ist ein marxistisch-leninistischer, antifaschistischer, antiimperialistischer Internationalist. Er ist ein überzeugter Kämpfer für die Befreiung der Menschheit und lebt seine Überzeugungen kompromisslos – auch im Gefängnis. Seine Solidarität mit Palästina, sein revolutionäres Verständnis von Gerechtigkeit und seine Ablehnung jeder Form von Unterdrückung sind zentral für ihn – sowohl politisch als auch persönlich.

Eigenes Bild

Wo ist dein Mann derzeit inhaftiert – und wie kam es überhaupt dazu, dass er wieder im Gefängnis sitzt?

Mein Mann befindet sich seit Februar im Hochsicherheitsgefängnis Karatepe in Çorlu/Tekirdağ (Provinz Istanbul).

Dort herrschen besonders harte Bedingungen – wir nennen es „Grubengefängnis“, weil es so ist, als ob man in eine Grube reingeschmissen wird. Dann wird der Deckel draufgemacht – und du sollst verschwinden aus dem Bewusstsein der Menschen. Deine Stimme soll erstickt werden, du sollst nicht gesehen, nicht gehört werden.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir jetzt solche Gespräche führen. Fikret wurde zuletzt am 17. August 2024 verhaftet. Das ist bereits seine dritte Inhaftierung. Zunächst war er im Hochsicherheitsgefängnis in Silivri (Provinz Istanbul) inhaftiert, bevor er verlegt wurde.

Insgesamt hat er schon 16 Jahre im Gefängnis verbracht. 2001 wurde er das erste Mal verhaftet und zu 12,5 Jahren verurteilt – wegen angeblicher Mitgliedschaft in der DHKP-C (tr. Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front). Nach alter Gesetzeslage hätte er nach 9,5 Jahren freikommen müssen. Später wurde das Gesetz überarbeitet, und eigentlich hätte er bereits nach 5 Jahren entlassen werden müssen. Aber weil er sich nie unterworfen hat, blieb er 12,5 Jahre in Haft.

Fikret ist seit fast drei Monaten im Hungerstreik – was sind seine Forderungen? Und warum gerade dieser radikale Schritt?

Er fordert seine Verlegung in ein normales Hochsicherheitsgefängnis vom Typ F. Momentan ist er in völliger Isolation – das ist eine zusätzliche Strafe innerhalb der Strafe. Im türkischen Gesetz steht, dass man eigentlich nicht länger als 20 Tage in solcher Isolationshaft gehalten werden darf. Er ist aber seit Monaten dort. Er sitzt in einer winzigen Zelle von 4 mal 3 Metern, also nicht mal 15 qm, ohne richtiges Sonnenlicht.

Die Fenster haben drei engmaschige Gitter, da passt nicht mal eine Zigarette durch. Und wenn dann der Strom ausfällt, wie es immer wieder vorkommt, ist das lebensbedrohlich. Der Hungerstreik ist die letzte Wahl – ein Ausdruck von Stärke innerhalb der Schwäche. Denn als Gefangener bist du völlig dem Staat ausgeliefert.

Es ist keine Bitte an das Gewissen des Feindes, sondern ein Signal an die revolutionäre Bewegung weltweit. Es ist die Tat, den Körper zur Waffe zu machen, weil man sonst keine Wahl hat.

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Fikret geht es offenbar um mehr als seine eigene Situation. Was ist für ihn der größere politische Zusammenhang dieses Hungerstreiks?

Der Hungerstreik ist ein Kampf gegen den Imperialismus. Diese Isolationsgefängnisse, diese „Grubengefängnisse“, sind Teil einer globalen Strategie. Sie wurden auf NATO-Gipfeln beschlossen, sie orientieren sich an US-Gefängnissen.

Die Türkei übernimmt dabei eine Schlüsselrolle, eine imperialistische Vorfeldmacht. Erdoğan hat sich selbst als Vizepräsident des Großen Mittelostprojekts (tr. Büyük Ortadoğu Projesi, BOP) bezeichnet. Der revolutionäre Kampf in der Türkei ist deswegen international relevant.

Und mein Mann ist sich dessen bewusst. Er will ein Signal senden an alle Revolutionär:innen weltweit. Die Türkei mit ihren NATO- und US-Militärbasen spielt eine entscheidende Rolle in den Kriegen der Region – in Syrien, in Libyen, in Afrika. Deshalb ist der Widerstand in den türkischen Gefängnissen Teil eines weltweiten Kampfes gegen den Imperialismus.

Der Hungerstreik ist auch tief verwurzelt in der Geschichte der revolutionären Bewegung und ist beispielsweise inspiriert von den Protesten irischer politischer Gefangener Anfang der 1980er, die mit Hungerstreiks gegen die Haftbedingungen widerständig waren. Zehn von ihnen starben im Gefängnis und wurden zu Symbolen des Widerstands.

Der Hungerstreik – Beispiele einer revolutionären Kampfform

Auch in der Türkei hat sich dieser Kampf historisch seit den intensiven Hungerstreiks in den 80ern kollektiv entwickelt – er hat sich in das politische Bewusstsein eingegraben. Und mein Mann ist Teil dieser Tradition.

Es ist aktuell auch so wichtig, dass der jungen, entschlossenen Antifaschistin Maja in deren Hungerstreik volle Solidarität zuteil wird. Denn durch Majas mutigen Protest rückt nicht nur der politische Widerstand wieder stärker in den europäischen Fokus, sondern es wird auch die massive, teils unterschwellige Repression in EU-Ländern sichtbar gemacht. Damit wird auch die Fassade der angeblich demokratischen Grundordnung in Europa demaskiert.

Wie reagiert der Staat? Gibt es Druck, Schweigen, Geprächsangebote?

Es gibt keine echten Gesprächsangebote. Die Justiz in der Türkei funktioniert faktisch nicht. Verfahren sind Willkür, es gibt keine rechtlichen Standards, keine Prozessbeobachtung, keine unabhängige Justiz.

Dennoch – der Hungerstreik wirkt. Es gibt eine Signalwirkung. Auch andere Gefangene sehen: Wir können Widerstand leisten. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Erfolge, und man lernt voneinander.

Ein besonders perfides Detail ist: Obwohl es wissenschaftlich belegt ist, dass Vitamin B1 keine Kalorien hat, keine Nahrung ist, sondern lebenswichtig zur Verhinderung schwerer neurologischer Schäden bei Langzeit-Hungerstreiks, verweigern viele Gefängnisleitungen die Gabe von reinem B1. Die Ärzte sind oft voreingenommen, stehen unter dem Einfluss der AKP und handeln nicht im Interesse der Gefangenen. Dabei ist B1 entscheidend! Früher starben Gefangene schon nach 60 oder 70 Tagen, heute können sie, abhängig von Verfassung und Alter, weit über 200 Tage durchhalten.

Wie sieht der Alltag für Fikret im Gefängnis aus – was bedeutet diese Isolation konkret für ihn?

Absolute Isolation. Es sind Zellen mit Kameraüberwachung, keinerlei Kontakt, keiner Sonne. Der sogenannte Freigang ist ein Hof direkt an der Zelle – ebenfalls isoliert. Es ist eine permanente Bestrafung, körperlich wie psychisch. Ärztliche Versorgung ist mangelhaft oder feindlich. Die Isolation ist keine Maßnahme zur Sicherheit, sie ist ein Mittel zur Vernichtung der Persönlichkeit.

Was gibt Fikret – und anderen – die Kraft, unter solchen Bedingungen weiterzumachen?

Die Ideologie ist ihre Grundlage, ihr Halt. Ohne diese Überzeugung wäre es nicht möglich, solchen Bedingungen standzuhalten. Die sozialistische Perspektive ermöglicht, über das eigene Leiden hinaus zu agieren. Die Gefangenen sind Teil eines Kollektivs, Teil eines historischen Prozesses. Auch im Knast organisieren sie sich, geben nicht auf.

Fikrets Kampf scheint über die Türkei hinauszureichen.

Natürlich. Der Kampf ist international. Die Türkei ist ein imperialistischer Brückenkopf – wer den Imperialismus bekämpfen will, muss auch die Türkei bekämpfen. Die Kämpfe in Kurdistan, in Palästina, in Lateinamerika sind verbunden mit dem Widerstand in den türkischen Gefängnissen. Es ist ein gemeinsamer Feind – der globale Imperialismus und Kapitalismus.

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Was kann internationale Solidarität wirklich bewirken? Was wünschst du dir ganz konkret?

Solidarität muss sichtbar sein. Briefe schreiben. Mahnwachen. Aktionen vor dem türkischen Konsulat. Teilhabe an unseren Protesten. Die Öffentlichkeit informieren. Denn was im Knast passiert, soll unsichtbar gemacht werden – deshalb: Macht es sichtbar!

Jede Stimme zählt, jeder Akt der Solidarität ist ein Licht in der Dunkelheit der Isolation. Wir sind die Speerspitze – aber wir brauchen die kollektive Bewegung hinter uns. Nur so wird unser Kampf erfolgreich sein.

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