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Interview mit Bürgergeldempfängerin: „Ich merke ja selber, wie schwer es ist, in diesen Jobcenter-Mühlen zurechtzukommen“

Charlie S. ist als junge Frau psychisch erkrankt und bezieht Bürgergeld. Nach intensiver Therapie möchte sie nun beruflich durchstarten und auf eigenen Beinen stehen. Doch die Bundeshaushaltslage und Inflexibilität des Jobcenters erschweren den Einstieg. Im Interview berichtet sie über die ausgrenzende Realität der behördlichen Strukturen.

Menschen, die Bürgergeld empfangen, werden medial immer wieder als „arbeitsfaul” dargestellt. Nun bist du in einer Situation, in der umgekehrt das Jobcenter dich ausbremst. Wie sieht das aus?

Ich musste mich in den letzten Jahren aufgrund meiner psychischen Erkrankung über Bürgergeld finanzieren. Anfang des Jahres habe ich eine längere stationäre Therapie abgeschlossen, und mir geht es jetzt insgesamt besser. Nach Jahren zwischen Klinik und Irgendwie-im-Alltag-überleben möchte ich eine sinnvolle Beschäftigung finden.

Ich habe Lust und endlich auch die Kraft, was zu machen und mich mehr als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Und natürlich möchte ich langfristig unabhängig vom Jobcenter werden. Auf dem Weg dahin brauche ich aber noch etwas Unterstützung, ich brauche einen sicheren Rahmen, in dem ich mich ausprobieren kann und der mir eine tägliche Struktur gibt, so wie es in der Arbeitswelt der Fall sein wird. Also habe ich mich an das Jobcenter gewandt. Jetzt stehe ich aber vor dem Problem, dass ich in einem medizinischen Gutachten der Bundesagentur für Arbeit als nicht erwerbsfähig eingestuft wurde und mir deshalb nur ganz niedrigschwellige Maßnahmen mit sehr wenigen Wochenstunden finanziert werden.

In dem Gutachten wird sogar der Übergang in die Grundsicherung für Erwerbsminderung vorgeschlagen, was ja gar nicht der Weg ist, den ich gehen möchte! Mein ärztliches Behandlungsteam hält mich für arbeitsfähig und ermutigt mich dazu, mich mit Unterstützung der Arbeitswelt anzunähern. Das findet beim Jobcenter aber gar keine Berücksichtigung! Meine Ansprechperson im Jobcenter betont sogar immer wieder, dass ich mich ja auch ausruhen könne und gar keine Maßnahme machen müsse.

Welche Rolle spielt dabei der Bundeshaushalt?

Der Bundeshaushalt für 2025 wurde noch nicht verabschiedet, deshalb befinden wir uns in einer Phase der vorläufigen Haushaltsführung. Das heißt, die Behörden haben bestimmte finanzielle Mittel, um handlungsfähig zu bleiben, neue Ausgaben sind aber nur begrenzt möglich. So ist es auch beim Jobcenter.

Das betrifft mich insofern, dass weniger Maßnahmen zur Auswahl stehen, was es dann erschwert, eine passende zu finden. Außerdem wird ganz genau geprüft, welche Maßnahmen überhaupt bezahlt werden. Es gäbe zum Beispiel ein Angebot, dass genau zu meinen Interessen passen würde – meine Jobcenter-Ansprechperson meinte aber, sie könne mir diese nicht finanzieren, weil in Zeiten des knappen Haushalts jede Ausgabe von der Leistungsabteilung doppelt und dreifach geprüft wird. Und weil ich dem medizinischen Gutachten zufolge nicht stabil genug bin, wird die Leistungsabteilung nicht riskieren, dass sie mir diese Maßnahme finanziert und ich sie aus gesundheitlichen Gründen abbreche.

Welche weiteren Erfahrungen ähnlich Betroffener sind dir bekannt?

Ich begegne in Kliniken immer wieder anderen Personen, die in ähnliche, komplizierte Verstrickungen mit Behörden geraten. Ein Mitpatient ist Spielball zwischen Rentenversicherung, Krankenkasse und Jobcenter geworden. Dabei ging es um die Finanzierung seines Lebensunterhalts und darum, welche Therapien und Behandlungen ihm bezahlt werden. Der ganze Prozess hat sich über vier Jahre gezogen und ist bis heute nicht abgeschlossen. Er musste zwischendurch 8 Monate auf die Bearbeitung eines Antrags warten und dann noch mehrfach in Widerspruch gehen. Er sagt, er sei immer wieder in einem Sumpf aus Bürokratie und Hoffnungslosigkeit versunken.

Ein anderer Bekannter ist auch psychisch erkrankt und wollte mit finanzieller Unterstützung vom Jobcenter eine Ausbildung beginnen. Er wohnt betreut, und sein wohnliches und therapeutisches Umfeld war der Auffassung, dass eine Ausbildung für ihn machbar sei. Auch er musste dann erstmal einen längeren Antrags- und sogar gerichtlichen Prozess durchlaufen, wurde aber am Ende per Gutachten als nicht erwerbsfähig eingestuft. Wieder eine Hürde auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt.

Wie bewertest du deine und die Situation anderer Betroffener politisch?

Ich erlebe die behördlichen Strukturen als ausgrenzend: sie schränken Betroffene in ihrer Freiheit ein und erschweren Teilhabe, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt.

So eine Erkrankung sucht sich niemand aus, aber wenn man erst einmal in der Situation steckt, sich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr über Wasser halten zu können und keine Eltern mit Geld zu haben, bleibt nichts übrig, als sich über Sozialhilfe zu finanzieren. Und das bringt einen Rattenschwanz an Problemen mit sich!

Wir Betroffene verzichten auf Freiheiten: wohnliche und berufliche Veränderung müssen immer erst mit dem Jobcenter abgestimmt werden. Das ewige Anträge-Stellen, in Widerspruch-Gehen und die langen Bearbeitungszeiten sind kräftezehrend und unnötig kompliziert. Wir Betroffenen sind abhängig davon, wie gesund oder krank uns die jeweiligen Behörden einstufen, und wenn das Ergebnis nicht der Realität entspricht: Pech gehabt. Ich merke ja selber, wie schwer es ist, in diesen Jobcenter-Mühlen zurechtzukommen, geschweige denn, da wieder herauszukommen.

Und so bleiben Betroffene in den Psychiatrien und in den Sozialhilfestrukturen gefangen. Die Erkrankungen an sich und der Kampf um Existenzsicherung, der so noch obendrauf kommt, lassen nicht mehr viel Energie übrig, um sich in die Arbeitswelt und auch generell in die Gesellschaft zu integrieren. Meine Erfahrung ist auch, dass die meisten Menschen, die nicht selbst schon in so einer Situation gesteckt haben, diese Lebensrealität kaum nachvollziehen können und vorschnell urteilen, stigmatisieren und nicht selten ausgrenzen.

Wie denkst du, müsste ein Umgang mit jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen von Seiten des Jobcenters eigentlich aussehen?

Ich finde, da müsste sich ganz viel ändern! Grundsätzlich wäre es schon mal schön, wenn Sozialhilfebezug nicht mehr so dargestellt wird, als hätte man etwas verbockt und müsste bestraft werden. Ich bin zum Beispiel ganz stark dafür, den Begriff „Maßnahme“ abzuschaffen. Das klingt, als würde ich bestraft werden. Da frage ich mich, wofür? Für meine psychische Erkrankung?

Ich würde auch sagen, dass die Jobcenter-Abläufe weniger starr sein müssten. Ich habe das Gefühl, dass das Jobcenter ein Schema F für eine klischeehaft psychisch erkrankte Person hat, in das ganz viele nicht reinpassen. Es bräuchte mehr Angebote, die zu den individuellen Bedürfnissen passen, damit wir realistischere Chancen zur Wiedereingliederung haben. Dafür müsste uns Betroffenen aber grundsätzlich mehr zugetraut werden, anstatt die Finanzierung für Einstiegsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt vorschnell mit dem Stempel „zu krank“ zu verwehren.

Wenn die Rahmenbedingungen nicht so kräftezehrend wären, könnten Betroffene ihre Ressourcen ganz anders einsetzen, z.B. für Berufsorientierung, was ja eigentlich im Interesse des Jobcenters sein sollte. Und solange das System so ist, wie es gerade nun mal ist, würde ich mir wünschen, dass die Mitarbeitenden im Jobcenter sich der Grenzen ihres Systems bewusst werden und die Stigmatisierung nicht auch noch fortsetzen. Hier wäre auch eine Sensibilisierung und Aufklärung zum Umgang mit psychisch Erkrankten hilfreich.

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