Am heutigen Dienstag erklärte Trump eine Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran, die aber wenige Stunden später schon gebrochen wurde. Seitdem ist vieles unklar über den Krieg in Westasien: den Stand des vermuteten iranischen Kernwaffenprogramms, das Ausmaß der amerikanischen Angriffe und, wie weit der Iran in seiner Vergeltung gehen könnte.
Am vergangenen Sonntag, 22.6., stiegen die USA in den von Israel begonnenen Krieg mit dem Iran ein und bombardierten drei iranische Atomanlagen: Fordow, Natanz und Isfahan. Während US-Präsident Donald Trump danach Irans Anlagen zur Urananreicherung als „vollständig und restlos zerstört“ ansieht, lässt sich dies derzeit nicht bestätigen.
Neben dem tatsächlichen Ausmaß der Zerstörung bleiben viele weitere Fragen offen: War der Iran tatsächlich derart kurz vor dem Bau der Nuklearwaffe, wie es der bisher nicht veröffentlichte Bericht des israelischen Geheimdiensts behauptet? Welche Ziele verfolgt die US-Regierung mit seinen Angriffen auf den Iran? Und welche Konsequenzen sind auf regionaler wie globaler Ebene durch den Krieg zu erwarten?
Israelischer Geheimdienstbericht über angebliches iranisches Kernwaffenprogramm
Israel bombardierte am 13. Juni iranische Militärstützpunkte, Atomanlagen und Wohngebäude und tötete dabei hochrangige iranische Militärbeamte und Wissenschaftler. Dies rechtfertigt das Land durch einen Bericht seines Geheimdienstes. Dieser beweise, dass der Iran kurz vor der Kapazität einer Nuklearwaffe gestanden habe. Allerdings teilte Israel den Bericht bisher lediglich mit den USA und anderen westlichen Partnern. Während der Presse der direkte Zugang zu dem Bericht verwehrt bleibt, gibt die Wochenzeitung The Economist an, mittels einer „vertrauenswürdigen Quelle“ einen Überblick über ihn erhalten zu haben.
Eskalation in Westasien: Israel führt Militärschlag gegen Iran aus
So soll der Bericht zwei Belege für Irans Nuklearkapazität anführen: Zum einen sollen iranische Wissenschaftler:innen eine gewisse Menge Nuklearmaterials gegenüber der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) verheimlicht und an einen geheimen Ort gebracht haben. Es ist unklar, wie hoch dieses angereichert gewesen sei – generell spricht man ab einem zu 85 Prozent angereichterten Uran von waffenfähigem Uran, also einer Eignung für Kernwaffen.
Unter der US-Präsidentschaft von Barack Obama wurde 2015 ein Abkommen über das Atomprogramm des Irans erzielt. Dieses verpflichtete unter anderem den Iran dazu, sein höher angereichertes Uran zu zerstören. Damals konnten die Inspektor:innen der IAEA erstmals einen genaueren Einblick über die nukleare Kapazität des Iran erhalten.
Als Trump jedoch 2018 aus dem Atomabkommen austrat, schränkte der Iran den Zugriff der IAEA ein und begann, Uran wieder in höherem Maße anzureichern. Am 9. Juni schätzte die IAEA, dass der Iran über 400 kg hoch angereichertes Uran verfügt habe. Glaubt man dem Geheimdienstbericht, wäre diese Menge zu hoch und vor der Behörde verheimlicht worden.
Der zweite Beleg bezieht sich auf ein Forscherteam, das vor sechs Jahren gegründet wurde und den nuklearen Aufrüstungsprozess beschleunigen sollte. Diese Gruppe soll insbesondere seit Ende letzten Jahres seine Aktivitäten verstärkt haben. Dies sei unter anderem in Reaktion auf die Erschöpfung des iranischen Luftabwehrsystems durch israelische Angriffe im Oktober 2024 geschehen, außerdem aufgrund des Zusammenbruchs der mit dem Iran verbündeten Kräfte wie der Hisbollah im Libanon und der Hamas in Gaza.
Laut dem Bericht soll bereits ein Treffen zwischen dem Forscherteam und den Kommandeuren der iranischen Luftwaffe vereinbart worden sein. Dies würde nahelegen, dass die Arbeit am nuklearen Raketensprengkopf tatsächlich bereits begonnen hätte.
2025 wie 2003 – Rhetorik der Massenvernichtungswaffe
Es ist unklar, wie akkurat der Bericht ist. Tulsi Gabbard, die Direktorin der amerikanischen Geheimdienste, gab noch im März an, dass es keine Hinweise für den Bau einer Kernwaffe durch den Iran gebe. Auch Rafael Grossi, der Direktor der IAEA, gab am 17. Juni an, keine Beweise über den Bau einer Kernwaffe festgestellt zu haben. Allerdings erklärte Grossi ebenfalls einige Wochen zuvor, dass der Iran vorhandenes Kernmaterial an drei unterschiedlichen Orten der IAEA nicht gemeldet habe.
Israel und Iran: Wie reagiert die Bühne der internationalen Politik auf den Krieg?
Die Rechtfertigung eines präventiven Angriffs durch die potenzielle Gefahr von Kernwaffen weist Parallelen zu dem Irakkrieg von 2003 auf. Damals beschwor die US-Regierung unter Präsident George W. Bush die akute Gefahr durch irakische Massenvernichtungswaffen herauf.
Doch nach der Invasion und dem Sturz des irakischen Präsidenten und Premierministers Saddam Hussein wurden keinerlei solcher Waffen gefunden. Die Lüge über Massenvernichtungswaffen legitimierten also einen Krieg, dem zwischen 200.000 und einer Million Menschen zu Opfer fielen.
Darüber hinaus stellt der unveröffentlichte Geheimdienstbericht nicht das erste Mal dar, dass israelische Politiker:innen vor den nuklearen Plänen des Irans warnen. Schon der derzeitige israelische Premierminister Benjamin Netanjahu behauptete bereits im Jahr 1992 in einer Rede an den Knesset, dass der Iran lediglich „drei bis fünf Jahre“ vor der Fähigkeit, eine Kernwaffe zu bauen, entfernt gewesen sei.
2002 trat Netanjahu dann vor einem Komitee des US-Kongresses auf, um für eine Invasion des Iraks zu plädieren und legte nahe, dass sowohl der Irak als auch der Iran an Nuklearwaffen arbeiteten. Auch in den Jahren 2009 und 2012 machte Benjamin Netanjahu ähnliche Kommentare über das vermutete Kernwaffenprogramm des Iran.
Das Ausmaß der amerikanischen Angriffe
Bei dem ersten Angriff des israelischen Militärs am 13. Juni diesen Jahres wurde die Uran-Anreicherungsanlage in Natanz nach eigenen Angaben erheblich beschädigt. Als sich vergangenen Sonntag die USA an den Angriffen beteiligten, wurden neben Natanz auch die Anlagen in Fordow und Isfahan angegriffen.
Dafür wurden erstmals sogenannte „Bunkerbrecher-Bomben“-Sprengköpfe – die angeblich bis zu 61m in den Erdboden eindringen und erst dort detonieren – eingesetzt und von „B-2“-Tarnkappenbombern abgeworfen. Während Trump danach das iranische Atomprogramm als zerstört erklärte, drückten sich sein Vizepräsident J.D. Vance, sowie sein Kriegsminister Pete Hegseth wesentlich vorsichtiger aus.
Zwar zeigt ein Satellitenbild der in einem Berghang gelegenen Anlage Fordow tiefe Einschläge im Gestein. Doch israelische Militäranalytiker sahen darin wohl ebenfalls erheblichen Schaden, jedoch keine völlige Zerstörung der Anlage. Darüber hinaus gibt es – bisher unbestätigte – Hinweise, dass bereits vor der Attacke 400 kg von zu 60 Prozent angereichertem Uran aus der Anlage verlegt wurden. Womöglich war der Iran bereits auf einen Angriff der USA vorbereitet?
Strebt Trump einen Machtwechsel im Iran an?
Da Trump wie so häufig widersprüchliche Aussagen macht, ist auch das ultimative Ziel des – nicht offiziell erklärten – Kriegs mit dem Iran unklar. Am Sonntag legte Trump auf seiner Social Media-Plattform Truth Social mit einem Post nahe, dass ein Machtwechsel im Iran angestrebt werde:
„Es ist nicht politisch korrekt, den Begriff ‚Regime Change‘ zu verwenden. Aber wenn die derzeitige iranische Führung nicht in der Lage ist, den Iran wieder großartig zu machen, warum sollte es dann nicht einen Regime Change geben??? MIGA!!!“
Das Akronym MIGA stellt eine Abwandlung von Trumps im Wahlkampf verwendeten Slogan „Make America Great Again“ (MAGA) an – dieses Mal bezogen auf den Iran. Am Dienstag irritierte Trump wiederum damit, dass ein Machtwechsel zu einem Chaos führen würde: „Ein Machtwechsel erfordert Chaos und idealerweise wollen wir nicht viel Chaos sehen. Wir werden sehen was passiert.“
Der Iran antwortete am Montag auf die Attacke der USA und schoss Raketen auf eine US-Militärbasis in Katar ab. Allerdings hatte der Iran Katar, das relativ gute Beziehungen sowohl zu den USA als auch dem Iran unterhält, vor der Attacke gewarnt, um Menschenopfer zu minimieren. Somit wurden laut Aussagen Katars alle Raketen abgefangen und keine Menschen verletzt. Trump nannte die Attacke zwar „sehr schwach“, ergänzte aber, dass der Iran nun „Dampf ablassen konnte“ und eine Chance auf „Frieden“ bestehe.
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Waffenruhe hält lediglich drei Stunden
Zumindest ein brüchiger Frieden schien am Dienstagmorgen noch in Reichweite gewesen zu sein: Gegen Mitternacht (deutscher Zeit) postete Trump, dass Israel und der Iran einer Waffenruhe zugestimmt hätten. Diese solle nach 6 Stunden, in denen die beiden Länder ihre Missionen beenden sollten, eintreten.
Innerhalb dieser Zeitspanne wurden jedoch sowohl massive Explosionen in Teheran gemeldet, als auch Raketenangriffe auf Israel, bei denen vier Menschen getötet wurden. Beim Aushandeln der Waffenruhe soll Katar eine wichtige Rolle gespielt haben.
Die israelische Regierung gab bekannt, alle ihre militärischen Ziele im Iran abgeschlossen zu haben und die Waffenruhe zu akzeptieren. Die iranische Regierung stimmte der Waffenruhe zwar nicht offiziell zu, gab aber an, ihre Angriffe einzustellen, wenn es nicht erneut von Israel attackiert werde.
Doch die Waffenruhe hielt nicht lange. Netanjahu gab an, dass bereits drei Stunden nach ihrem Eintritt iranische Raketen auf Israel abgefeuert worden seien. Israel reagierte darauf mit einem Angriff auf iranische Radaranlagen und verlautbarte nach einem Telefonat mit Trump, weitere Angriffe zunächst einzustellen. Der Iran bestreitet hingegen, Israel nach Eintritt der Waffenruhe angegriffen zu haben.
Trump reagierte wütend auf den Bruch der Waffenruhe. Er gab an, dass beide Seiten die Waffenruhe verletzt hätten. Er sei „nicht zufrieden“ mit Israel und dem Iran und gab an, dass beide Seiten „schon so lange kämpfen, dass sie nicht wissen, was zum F*** sie tun!“.
Iranisches Parlament stimmt für Blockade der Seestraße von Hormus
In den bisherigen 12 Tagen des Israel-Iran Krieges wurden bereits mindestens 1.000 Menschen getötet. Sollte der Konflikt erneut eskalieren und sollten die USA ebenfalls ihre Attacken auf den Iran wieder aufnehmen, hätte der bisher vergleichsweise kalkuliert und zurückhaltend handelnde Iran einige Vergeltungsoptionen.
Eine Option mit besonders weitreichenden Auswirkungen wäre die Blockade der Seestraße von Hormus. Über Hormus werden rund 20 Prozent des weltweiten Ölangebots verschifft, und die Seestraße ist an ihrer engsten Stelle lediglich 55 Kilometer breit.
Tatsächlich stimmte das iranische Parlament bereits darüber ab, die Seestraße blockieren zu wollen. Die endgültige Entscheidung liegt jedoch bei dem Obersten Nationalen Sicherheitsrat des Iran, der dies noch nicht bestätigte.
Aufgrund der Krise stieg der Ölpreis derweil im Vergleich zu Mitte Juni bereits um 10 Prozent und lag am Freitag bei 77 US-Dollar pro Barrel. Im Falle einer effektiven Blockade von Hormus könnte der Preis Expert:innen zufolge auf 130 US-Dollar steigen. Dies wäre sogar höher als der Ölpreis unmittelbar nach der russischen Invasion der Ukraine.
Tatsächlich zeigten sich bereits einige ukrainische Politiker:innen besorgt um die Folgen, die der Krieg im Nahen Osten auf die Ukraine hätte. So würde ein steigender Ölpreis Russland dabei helfen, seine Finanzen zu verbessern und Investitionen in Kriegsgüter zu erhöhen.
Darüber hinaus gäbe die verlagerte Aufmerksamkeit von der Ukraine auf Westasien Russlands Präsidenten Wladimir Putin die Möglichkeit, seine Angriffe auszuweiten. Auch wird damit gerechnet, dass die zunehmenden Waffenlieferungen der USA an Israel einen weiteren Rückgang der Waffenlieferungen an die Ukraine verursachen werden.
Ukrainekrieg: Drohnenoffensive und wenig Erfolg bei Verhandlungen
Internationale Reaktionen auf den US-Angriff
Die verschiedenen internationalen Player reagieren derweil ihrer Bündnispolitik entsprechend: So stellen sich die NATO-Staaten recht geschlossen hinter den Kriegseinstieg der USA und unterstützen Trumps Forderungen nach Verhandlungen. Der britische Premier Keir Starmer erklärte beispielsweise:
„Das iranische Nuklearprogramm ist eine große Bedrohung für die internationale Sicherheit. Der Iran darf niemals Atomwaffen entwickeln, und die USA haben Maßnahmen ergriffen, um diese Bedrohung zu lindern.“ Ebenso forderte er den Iran auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Auch die CDU und Bundeskanzler Friefrich Merz reagierten ähnlich, wenn auch ein wenig aggressiver. Zudem beurteilte Merz die Angriffe als Anlass, um in seiner Regierungserklärung am Dienstag Deutschland „zurück auf der europäischen und internationalen Bühne“ sehen zu wollen. Scheinbar dem Beispiel der USA folgend solle Deutschland mehr auf „die Warnungen unserer baltischen Nachbarn vor Russlands imperialistischer Politik“ reagieren.
Russland selbst reagierte sichtlich empört. Die Regierung nannte die Angriffe unverantwortlich und völkerrechtswidrig. Dmitry Medwedew, ein enger Gefolgsmann Putins und und seit 2020 stellvertretender Leiter des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, ließ sogar mitteilen, dass einige Länder bereit seien, Iran mit Nuklearraketen auszustatten. Er ist allerdings bekannt dafür, große Töne zu spucken.
Im Großen und Ganzen scheinen weder Russland, noch europäische Großmächte derweil daran interessiert, aktiv in den Konflikt einzugreifen. Alle Seiten zeigen sich deutlich auf den Ukraine-Krieg fokussiert.