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Merz-Besuch in Washington: Freundliche Atmosphäre trotz Interessenswidersprüchen

Der Antrittsbesuch des neuen Bundeskanzlers in Washington ist freundlich verlaufen. Merz ist es seit seinem Amtsantritt gelungen, gemeinsame Interessensfelder mit der US-Regierung zu definieren. Grundlegende Widersprüche zwischen den europäischen Mächten und den USA bleiben jedoch bestehen.

Pyjama-Party bei Donald Trump: Dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wurde bei seinem Antrittsbesuch in den USA an diesem Donnerstag eine besondere Ehre zuteil, denn der US-Präsident ließ ihn im Gästehaus des Weißen Hauses übernachten: Eine Einladung, die längst nicht jeder Staatsgast erhält. Zumal Donald Trump seit seiner zweiten Amtsübernahme mitunter ein äußerst schwieriger Gastgeber ist und seine internationalen Gäste in seinem Präsidialbüro, dem „Oval Office”, vor laufenden Kameras vorführt.

Friedrich Merz blieben solche Szenen in Washington erspart. Trump bedankte sich freundlich für eine gerahmte Kopie der Geburtsurkunde seines deutschen Großvaters und klopfte Merz lachend auf die Knie, als er die deutschen Rüstungsbestrebungen lobte. Kritische Fragen von Journalist:innen zur Meinungsfreiheit in Deutschland ignorierte er einfach. Merz wiederum sagte beim Auftritt im Oval Office nur wenig und überließt Trump die Bühne, was in der deutschen Presse als kluge Zurückhaltung bewertet wird. Ohnehin bestand das Hauptziel des Besuchs laut Regierungskreisen darin, eine gute Arbeitsbeziehung zwischen beiden Regierungschefs herzustellen.

Dass es Friedrich Merz in Washington anders ergehen würde als dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Februar oder seinem südafrikanischen Counterpart Cyril Ramaphosa im Mai hatte sich schon im Vorfeld angedeutet. Einer der Gründe dafür dürfte sein, dass Friedrich Merz dem US-Präsidenten politisch — wie etwa beim Thema Migration — deutlich näher steht als seine Amtsvorgänger:innen Olaf Scholz und Angela Merkel. Trump lobte dann auch Merz’ Wahlsieg im Februar.

Ukraine-Krieg

Zudem hat es der Transatlantiker Friedrich Merz seit seiner Amtsübernahme Anfang Mai verstanden, gemeinsame Interessenfelder mit den USA zu definieren. Dies geschah vor allem, als er sich bei seiner gemeinsamen Ukraine-Reise mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Keir Starmer demonstrativ hinter die Bemühungen Donald Trumps zur Herstellung eines Waffenstillstands mit Russland stellte.

Der Ukraine-Krieg und der Fortgang der Verhandlungen mit Russland bildeten auch den wichtigsten inhaltlichen Tagesordnungspunkt bei Friedrich Merz’ USA-Reise. Ziel des Bundeskanzlers war es, Donald Trump von einem härteren Vorgehen gegen Russland zu überzeugen, etwa durch neue Wirtschaftssanktionen. Ein konkretes Ergebnis hierzu gibt es nicht, Trump hielt sich aber die Möglichkeit offen, eine Initiative aus dem US-Senat für 500-prozentige Zölle gegen die Käufer:innen russischen Öls und Gases zu unterstützen.

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Handelskrieg

Ein weiteres Top-Thema bei den Gesprächen zwischen Merz und Trump war der Handelskrieg, den der US-Präsident in diesem Frühjahr vom Zaun gebrochen hat. Trump hatte bereits im März Zölle auf Stahl und Aluminium verhängt, Anfang April folgten Zölle von 25 Prozent auf Autos sowie weitere auf nahezu alle anderen Einfuhren aus der EU. Die EU-Kommission reagierte mit einer 217 Seiten langen Liste von Produkten für mögliche Gegenzölle. Nach Telefongesprächen zwischen Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat der US-Präsident die pauschalen Zölle jedoch bereits vorübergehend ausgesetzt. Friedrich Merz äußerte sich nach den Gesprächen in Washington zuversichtlich, dass Trump zu einer Einigung bereit sei. Konkreter wurde es jedoch nicht.

Ein großer Pluspunkt für den Kanzler dürfte bei dem Treffen gewesen sein, dass er und Trump in der Frage einer deutschen Aufrüstung gemeinsame Interessen vertreten: Merz will die Bundeswehr zur größten konventionellen Armee in Europa aufbauen und ist bereit, jährlich 5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) in die Rüstung zu stecken. Trump wiederum will schon lange die NATO-Verbündeten der USA zur Erhöhung ihrer Rüstungsausgaben bewegen, um die US-Militärpräsenz in Europa reduzieren und sich strategisch auf Ostasien konzentrieren zu können.

Der Zollkrieg, den Trump vom Zaun gebrochen hat, dient ebenfalls einem strategischen Ziel, nämlich einer Abwertung des Dollar zum Zweck der Stärkung der amerikanischen Industrie. Dabei geht es auch um die Fähigkeit, alle für die Kriegsproduktion notwendigen Industriesektoren wieder in die USA zu holen, um militärisch nicht von China abgehängt zu werden.

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Interessenwidersprüche

Bereits im Vorfeld des Merz-Besuchs in Washington wurde vermeldet, dass der Bundeskanzler und der US-Präsident bereits ihre Handynummern ausgetauscht haben, sich SMS schreiben und mit „Friedrich“ und „Donald“ anreden. Die inszenierte „Bromance” zwischen dem New Yorker Immobilienunternehmer und dem Sauerländer sollte trotzdem nicht zu hoch gehängt werden. Denn neben den gemeinsamen Interessenfeldern arbeitet die neue Bundesregierung bereits sehr zielstrebig daran, Deutschland und seine europäischen Verbündeten strategisch unabhängiger von den USA zu machen.

Dazu dienen insbesondere einige deutsch-französische Initiativen der jüngsten Zeit, wie etwa die Schaffung einer gemeinsamen Agentur für militärische Innovationen oder die Wiederaufnahme von Plänen zum Aufbau eigener Cloud-Plattformen. Während es bei den militärische Projekten Deutschlands und Frankreichs darum geht, beide Länder unabhängiger von US-Waffensystemen zu machen, sollen die Cloud-Plattformen die Dominanz der US-Tech-Konzerne wie Amazon (AWS), Microsoft und Google in Europa zurückdrängen. Daneben wollen Deutschland und Frankreich durch Mega-Fusionen im Mobilfunk, der Luftfahrt, der Künstlichen Intelligenz und der Verteidigung europäische multinationale Konzerne schaffen, die mit den US-Firmen konkurrieren können. Das Handelsblatt, das über die von Merz und Emmanuel Macron vereinbarten Pläne berichtete, bewertete diese bereits als „Anti-Trump-Agenda“.

Der US-Regierung und ihren Unterstützer:innen in der amerikanischen Tech-Industrie ist wiederum daran gelegen, die EU als Wirtschaftsblock zu untergraben und damit europäische Konzerne zu schwächen, die zu den wichtigsten Konkurrenten des US-Kapitals gehören. Tech-Milliardär und Trump-Berater Elon Musk unterstützte zu diesem Zweck seit Anfang des Jahres massiv ultrarechte Parteien in Europa, die zahlreiche Kompetenzen der EU-Kommission wieder in die Nationalstaaten zurückholen wollen.

Musk hat die US-Regierung in seiner offiziellen Funktion zwar inzwischen verlassen und gerade erst gestern eine öffentliche Fehde mit dem Präsidenten vom Zaun gebrochen. Das grundsätzliche Interesse der USA, Risse im europäischen Wirtschaftsblock hervorzurufen, dürfte sich damit aber nicht geändert haben. Während Trump bereits Giorgia Meloni, Emmanuel Macron, Keir Starmer — und jetzt Friedrich Merz — im Weißen Haus empfangen hat, ist ein Besuch der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Oval Office noch nicht geplant — was wohl kein Zufall sein dürfte.

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