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NATO-Gipfel: Die 5 % stehen

Während der Krieg in der Ukraine weitergeht und zwischen Israel und Iran ein noch fragiler Waffenstillstand herrscht, tagte in Den Haag das Gipfeltreffen der NATO. Die Sitzung der 32 Mitgliedsstaaten diente vor allem dazu, das 5-Prozent-Ziel bei der Aufrüstung zu zementieren. – Ein Kommentar von Thomas Stark.

Prunkvolles Dinner im Schloss des niederländischen Königs. Das Rahmenprogramm des diesjährigen Nato-Gipfels hatte Generalsekretär Mark Rutte offenbar vor allem zu dem Zweck gestaltet, den US-Präsidenten bei Laune zu halten. Während die Staats- und Regierungschefs am Dienstagabend ausgiebig dinierten und schöne Bilder für die Weltpresse lieferten, waren für die Arbeitssitzung des wichtigsten Militärbündnisses der Welt am Mittwoch gerade einmal zweieinhalb Stunden vorgesehen.

Wichtigstes Ziel Aufrüstung

Das Gipfeltreffen hatte im wesentlichen ein Ziel, über das im Vorfeld bereits ausgiebig verhandelt worden war. Der niederländische Generalsekretär wollte die NATO-Staaten darauf festnageln, bis 2035 fünf Prozent des eigenen Bruttoinlandsproduktes in die Aufrüstung zu investieren. Mit der Zielsetzung sollten die europäischen NATO-Staaten einer Kernforderung der US-Regierung nachkommen. Diese will sich in Zukunft militärisch schrittweise aus Europa herausziehen und ihre Kräfte in Ostasien und dem Pazifikraum konzentrieren. Dabei geht es insbesondere um die Einhegung der Volksrepublik China.

Die langfristige Fokussierung der USA auf den Pazifik, die das Land schon unter dem früheren Präsidenten Barack Obama als strategische Linie entwickelt hatte, soll davon begleitet sein, dass die europäischen Staaten mehr Mittel in die eigene Verteidigung stecken. Donald Trump hatte immer wieder damit gedroht, dass sein Land ansonsten das NATO-Bündnis verlassen und damit den militärischen Beistand der USA für Europa und insbesondere den nuklearen Schutzschild aufkündigen würde.

Das Fünf-Prozent-Ziel war innerhalb der NATO massiv umstritten. Bis vor kurzem lag die Quote für Rüstungsausgaben, auf die sich die Staaten des Bündnisses verpflichtet hatten, noch bei zwei Prozent, und zahlreiche Staaten erreichten nicht einmal diesen Wert. Dazu gehörte auch Deutschland, bis die frühere Regierung von Olaf Scholz (SPD) nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ihr erstes großes Rüstungspaket auf den Weg brachte. Der neue Kanzler Friedrich Merz (CDU) will diesen Weg nun weitergehen und die Aufrüstung auf eine neue Stufe heben.

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Diskussionen innerhalb der NATO

Die Kompromissformel, die Rutte dem Bündnis nun vorlegte, war die Aufteilung der fünf Prozent in 3,5 Prozent für militärische Ausgaben im engeren Sinne und 1,5 Prozent für Infrastruktur. Damit kann jedes Land auch logistische Investitionsprojekte auf die Erfüllung seiner NATO-Verpflichtungen anrechnen lassen. Deutschland will dieses Ziel bis 2029 erreichen und dann 150 Milliarden Euro pro Jahr in die Aufrüstung stecken. Lediglich die sozialdemokratische Regierung Spaniens hatte im Vorfeld Widerstand gegen das Fünf-Prozent-Ziel angekündigt.

Bisher gibt das Land knapp 1,3 Prozent seines BIP fürs Militär aus und ist damit Schlusslicht innerhalb der NATO-Staaten, die ein Militär besitzen. Am Ende ließ sich aber auch Ministerpräsident Pedro Sánchez auf den Vorschlag Ruttes ein — gegen das eher symbolische Zugeständnis, auch unter 5 Prozent bleiben zu dürfen, sofern Spanien ansonsten die militärischen Anforderungen der NATO erfüllt. Mit der Einigung im Voraus war die Verabschiedung des 5-Prozent-Ziels am Mittwoch dann eine reine Formsache.

Weitere Diskussionen innerhalb des Bündnisses drehen sich derzeit um die Konzentration seiner militärischen Kräfte in Osteuropa. Erst Ende Mai hatte Friedrich Merz in Litauen einem feierlichen Appell der neuen Bundeswehr-Kampfbrigade beigewohnt. Diese soll bis 2027 knapp 5.000 Soldat:innen umfassen und den litauischen Teil der „NATO-Ostflanke“ gegenüber Russland absichern.

Italien kämpft derweil darum, seine eigenen Interessengebiete in der NATO-Politik besser repräsentiert zu sehen. Diese liegen traditionell im Mittelmeerraum und reichen bis nach Nordafrika. Dort hat Russland in den letzten Jahren seine militärischen Kapazitäten deutlich ausgebaut, und zwar vor allem in Libyen. Die italienische Regierung weist deshalb in letzter Zeit vermehrt darauf hin, dass Teile Südeuropas innerhalb der Reichweite russischer Mittelstreckenraketen im libyschen Luftwaffenstützpunkt Tamanhint liegen.

Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte ihre Verbündeten in der NATO deshalb schon Anfang des Jahres ermahnt, dass die NATO ihre Aktivitäten in Afrika verstärken müsse, um die „Südflanke“ des Bündnisgebietes abzusichern. Dabei liegen die Positionen Italiens und Frankreichs eng beieinander: Denn auch der französische Imperialismus hat starke strategische Interessen in Nordafrika. Währenddessen ist Deutschland bestrebt, seinen Hegemonialbereich traditionell nach Mittel- und Osteuropa auszudehnen.

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Ukraine nur Randthema in Den Haag

Die Aufrüstung im Osten ist zwar immer noch die dominante Linie der NATO in Europa. Im Interesse Deutschlands hätte es aber gelegen, wenn das Bündnis sich in Den Haag mit dem Ukrainekrieg und der Frage eines einheitlichen Vorgehens gegenüber Russland beschäftigt hätte. Dies geschah aber nicht, da die USA kein Interesse daran hatten. US-Präsident Trump versucht seit seinem Amtsantritt im Januar, eine eigenständige Annäherung an Russland auf Kosten der europäischen Verbündeten herbeizuführen. Rutte ist dem US-Präsidenten auch in dieser Frage entgegengekommen: Die Ukraine flog von der Tagesordnung, obwohl der Krieg dort unvermindert weitergeht. Auch der noch fragile Waffenstillstand nach dem Krieg zwischen Israel und Iran kam in Den Haag allenfalls am Rande vor.

Am Ende blieb es bei einem Treffen Deutschlands, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs zum Thema Ukraine und der Forderung nach schärferen Sanktionen gegen Russland. Passend dazu war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj – sonst ein Dauergast auf westlichen Gipfeltreffen – bei der Arbeitssitzung der NATO am Mittwoch nicht dabei. Das kann angesichts der heftigen russischen Angriffe auf ukrainisches Gebiet in den letzten Tagen als Affront verstanden werden. Über ein warmes Abendessen durfte sich Selenskyi immerhin freuen. Für Dienstagabend hatte Rutte ihn zum Festdinner im Palast des Königs eingeladen.

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