Zeitung für Solidarität und Widerstand

Neues Berliner Polizeigesetz bringt mehr Überwachung und Kontrolle

Die schwarz-rote Koalition in Berlin plant eine weitere Verschärfung des Polizeigesetzes. Zentrale Punkte sind die Live-Videoüberwachung mithilfe von KI, die Möglichkeit zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Einführung von Fußfesseln. Bewerten wir die Maßnahmen nicht nur anhand ihrer öffentlichen Begründungen, zeigt sich ein deutliches Bild.– Ein Kommentar von Matthias Goeter.

Die schwarz-rote Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus unter CDU-Bürgermeister Kai Wegner setzt ihre Law & Order-Politik fort und plant eine Verschärfung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) – hier des Berliner Polizeigesetzes. Nach Plan der Koalition soll das Gesetz bereits im Juli zur Abstimmung und noch in diesem Jahr zur Anwendung kommen.

Mit der Verschärfung des Polizeigesetzes steht Berlin nicht allein da. Seit 2017 gab es in allen Bundesländern Verschärfungen der Polizeigesetze, in mehreren davon sogar mehrfach. Oft werden die neuen Verschärfungen dabei hinter blumigen Begründungen verschleiert, um mehr gesellschaftliche Zustimmung zu erlangen. Es lohnt sich also, die einzelnen Maßnahmen genauer anzuschauen.

Live-Videoüberwachung mit Verhaltensanalyse

Sogenannte „kriminalitätsbelastete Orte“ gibt es im Wortgebrauch der Berliner Politik schon länger, um Plätze und Parks in den Kiezen als gefährlich zu brandmarken und die Vertreibung und Gentrifizierung solcher Orte zu rechtfertigen. Erst jüngst wurde mit dem Bau eines Zauns um den Görlitzer Park begonnen.

„Tag Z“ – 1.200 Menschen verzögern Zaunbau am Görlitzer Park

An diesen Orten soll mit dem neuen Polizeigesetz eine Live-Videoüberwachung installiert werden können. Nach Wunsch der Regierung soll diese mit einer künstlichen Intelligenz (KI) kombiniert werden, die auffälliges Verhalten erkennen und im Anschluss Polizeikräfte alarmieren kann. Hierfür sollen bis zu zwei Millionen Euro in die Hand genommen werden – während im Haushalt beim Sozialen weiter gespart wird.

Laut Begründung sollen damit Schlägereien und ähnliche Auseinandersetzungen erkannt und ihnen vorgebeugt werden. Betrachten wir jedoch andere Anwendungen, wird schnell klar, dass der Einsatz einer solchen KI noch viel weiter geht und vor allem der Analyse großer Menschenmengen dient. Zur Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland wurde z.B. bereits eine KI verwendet, um die Bewegung und Dynamik großer Menschenmassen zu simulieren und daraus entsprechende polizeiliche Einsatzstrategien abzuleiten.

Durch ihr eigenständiges „Lernen“ vertieft die KI im weiteren Verlauf ihre Betrachtung eines solchen Verhaltens und reproduziert dabei häufig auch rassistische oder chauvinistische Stereotype. 

Die Kontrolle des öffentlichen Raums, die durch solche Maßnahmen weiter verstärkt werden soll, ist dabei auch eine Klassenfrage: Wer in beengten Wohnverhältnissen lebt oder sich immer teurer werdende kulturelle und soziale Angebote nicht mehr leisten kann, nutzt in der Regel öffentliche Parks und Plätze als Alternative. Damit werden von solchen Maßnahmen insbesondere arme Menschen, Obdachlose oder Migrant:innen getroffen.

Gleichzeitig ist der öffentliche Raum – oder alltäglicher ausgedrückt „die Straße” – immer auch der Ort gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse, von Protesten oder auch Kämpfen für eine bessere Gesellschaft. Die Installation von KI-Live-Überwachung ist damit insgesamt als ein Mittel der präventiven Aufstandsbekämpfung anzusehen.

Quellen-TKÜ, Online-Durchsuchung oder beides?

Bislang waren die Polizeibehörden der Bundesländer nur zur Durchführung einer einfachen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) befugt. Dabei wird die Kommunikation einer Person in den öffentlichen Netzen überwacht, es können also Telefonate oder SMS abgefangen und mitgelesen werden. Die Überwachung verschlüsselter Messenger-Nachrichten (was mittlerweile beispielsweise auch bei WhatsApp der Fall ist) oder Online-Telefonaten ist damit nicht möglich.

Hierfür wird eine sogenannte „Quellen-Telekommunikationsüberwachung („Quellen-TKÜ”) benötigt, wozu bislang einzig das Bundeskriminalamt (BKA) als polizeiliche Bundesbehörde und die Geheimdienste berechtigt sind.

Die Quellen-TKÜ – geläufig auch als „Staatstrojaner” benannt – nutzt Sicherheitslücken für einen Software-Zugriff, um nicht die Kommunikation an sich, sondern das Endgerät und damit Nachrichten bereits beim Erstellen, also noch VOR dem Versenden und einer möglichen Verschlüsselung abzugreifen.

Für die polizeiliche Nutzung gibt es bislang noch relativ hohe rechtliche Hürden, und das BKA setzte im Jahr 2021 lediglich 55 Staatstrojaner ein. Über die genaueren Umstände der Nutzung, insbesondere durch die Geheimdienste und deren Kontrolle, gibt es keine weiteren Informationen. Im BKA wird hierzu unter anderem auch die Spionage-Software Pegasus aus Israel genutzt, die wegen mangelnder Kontrolle und missbräuchlichem Einsatz gegen Journalist:innen und Oppositionelle in anderen Länder stark umstritten ist.

Israel automatisiert den Völkermord: KI-Einsatz und menschliche Schuld

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Unmöglichkeit, tatsächlich zwischen einer Quellen-TKÜ und einer Online-Durchsuchung zu unterscheiden. Umfasst die Quellen-TKÜ „nur“ die Kommunikation, ist das bei einer Online-Durchsuchung anders: Bei dieser wird das gesamte Endgerät, zu dem sich mithilfe eines Staatstrojaners Zugang verschafft wurde, durchsucht.

Dafür benötigt es daher auf dem Papier deutlich höhere rechtliche Hürden, da die Online-Durchsuchung auch tiefer in Persönlichkeitsrechte eingreift. Weil aber Software und Methode bei beiden Formen eigentlich identisch ist, kann diese Unterscheidung praktisch kaum gemacht werden. So wird die Überwachung nochmals undurchsichtiger und unkontrollierbarer.

Mit der in Berlin geplanten Erweiterung der Nutzung von Quellen-TKÜ wird deren Nutzung erwartbar stark steigen: es werden weitere Schritte hin zum gläsernen Menschen ohne jegliche Privatsphäre und einer immer stärkeren Überwachung gegangen.

Fußfesseln und Videoüberwachung gegen patriarchale Gewalt?

Die letzten beiden kritischen Punkte sind die Einführung von Fußfesseln für Straftäter:innen und eine Verlängerung der Speicherung von Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr von zwei auf vier Tage.

Als hauptsächliche Begründung hierfür wird der Schutz von Frauen vor ihren gewalttätigen Ehemännern genannt, durch die sie über eine elektronische Fußfessel über deren Annäherung gewarnt werden können, und ein besserer Schutz von Betroffenen durch ein Mehr an Videoüberwachung genannt.

Der Schutz vor patriarchaler Gewalt ist hier ein häufig genutztes Argument, um Zustimmung für Verschärfungen im Sicherheitsapparat zu erlangen oder reaktionäre Politik durchzusetzen. Wir müssen in diesem Kontext aufpassen, weil dies eine beliebte Methode darstellt, für strittige Verschärfungen breitere gesellschaftliche Zustimmung zu erlangen, dabei aber die eigentliche Tragweite neuer Befugnisse zu verschleiern.

So wird in Zeitungsberichten zur geplanten Verschärfung des Polizeigesetzes die Fußfessel immer nur im gerade beschriebenen Kontext betont – ihre tatsächliche Einführung ist jedoch nicht auf patriarchale Täter beschränkt, sondern soll viel umfassender eingesetzt werden.

Dabei ist Gewalt gegen Frauen und LGBTI+ Personen eine bittere Realität unserer Gesellschaft: Sie steigt konstant an, und wir dürfen nicht dahin kommen, diese Bedrohung zu schmälern, nur weil sich jetzt auch die Herrschenden auf sie beziehen, um ihre Politik durchzusetzen und  dabei den Schutz vor patriarchaler Gewalt als Vorwand benutzen.

Frauen kämpfen gegen Kapitalismus und Patriarchat

Vielmehr gilt es im Gegenteil aufzuzeigen: Oft sind es gerade die staatlichen Behörden, die selbst Gewalt gegen Frauen ausüben und reproduzieren. So kam es z.B. am 8. März in Berlin zu sexualisierter Gewalt und Übergriffen durch Polizeibeamte, und erst Ende April durchsuchte  – ebenfalls die Berliner Polizei – ein Frauenhaus, griff dabei illegal auf die geschützte Adresse zu und leakte sie sogar noch an den Täter, vor dem sich die betroffene Frau ins Frauenhaus gerettet hatte.

Während mit dem neuen Polizeigesetz zwei Millionen Euro in neue Überwachungstechnik gesteckt werden sollen, fehlt es derweil landauf, landab an Frauenhausplätzen und einer verlässlichen Finanzierung. Dabei kämpfen Frauen überall auf der Welt selbst für ihre Befreiung und sind eine zentrale Kraft im Klassenkampf von unten – ohne sich auf den Staat – der selbst Gewalt gegen sie ausübt – verlassen zu können.

Das Berliner Polizeigesetz verspricht also mehr „Sicherheit“ – auf diesen Staat können wir uns aber nicht mehr verlassen. Das Gesetz bedeutet insgesamt vor allem einen Abbau demokratischer Rechte und geht die wahren Ursachen der sozialen Probleme nicht an. In vielen Bundesländern hat es vor der Einführung neuer Polizeigesetze Widerstand gegeben. Auch in Berlin ist dieser jetzt mehr als gerechtfertigt.

Mehr lesen

Perspektive Online
direkt auf dein Handy!