Zeitung für Solidarität und Widerstand

Olympia in Deutschland – Vier Städte, viermal Bonzentraum

Die deutsche Politik wünscht sich Olympia in Deutschland. Vier Städte und Regionen bewerben sich. Welche Folgen welche Bewerbung hätte. – Eine Analyse von Benjamin Schwartz.

Niemand hat Lust auf Olympia in der eigenen Stadt. Milliarden aus den knappen Haushaltskassen werden verprasst, die Mieten steigen noch stärker, Menschenmassen pressen sich durch die Straßen, und die Tickets für Wettkämpfe sind so teuer, dass man sie sich ohnehin im Fernsehen anschauen muss.

Es ist erst einige Jahre her, dass sich die Münchener und die Hamburger Bevölkerung gegen Olympia in der eigenen Stadt ausgesprochen hat. Das hindert die beiden Städte Berlin und die Rhein-Ruhr-Region jedoch nicht, sich weiterhin für Olympia zu bewerben. Die Bundespolitik und Wirtschaft freuen sich.

Olympia in Deutschland? Nein, danke!

Nun haben die Städte bis Mitte 2026 Zeit, Referenden durchzuführen. Dann entscheidet der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Es wird sich dabei auf die Jahre 2036, 2040 oder 2044 beworben. 2036 wäre das 100-jährige Jubiläum der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, die von den Nazis als Propaganda genutzt wurden. Das Jahr 2040 stünde im Zeichen von 50 Jahren deutscher „Wiedervereinigung“. Dass ein sensibler Umgang mit diesen Jubiläen stattfinden würde, ist angesichts des Rechtsrucks in Deutschland jedoch aktuell kaum vorstellbar.

München 1972, zum Zweiten

München trug bereits 1972 Olympia aus. Erinnert wird sich dabei vor allem noch an die Geiselnahmen von israelischen Sportler:innen durch die palästinensische Terrororganisation Schwarzer September. Von den damaligen Olympischen Spielen sind noch viele Sportstätten erhalten, die wiederverwendet werden könnten. Dass dabei von einem der „nachhaltigsten Olympia“ gesprochen wird, ist vermutlich eine Reaktion auf das Referendum im Jahr 2013, wegen dem die Winterspiele vor allem aus Nachhaltigkeitsgründen abgelehnt wurden.

Die meisten Events würden in München stattfinden, vor allem in alten Olympiastätten wie der Olympiahalle oder dem -park. Auch in der näheren Umgebung wie am Starnberger See oder in Augsburg und weiter weg wie in Stuttgart, Kiel und Rostock, sollen Wettkämpfe veranstaltet werden. Dennoch wird sich das Ereignis auf die – mit 1,6 Millionen Einwohner:innen international verglichen – relativ kleine Stadt ballen. Wer in München lebt, wird betroffen sein.

„Wenn München eines nicht braucht, sind es Riesen-Events von ethisch fragwürdigen Sportverbänden, die auch noch die Lebenshaltungskosten explodieren lassen und den Wohnraum weiter verknappen“, kritisiert Tobias Ruff, der Fraktionsvorsitzende der ÖDP/München-Liste. Bereits jetzt hat München die höchsten Mieten in ganz Deutschland. Eine erneute Austragung würde die Mietpreise noch weiter in die Höhe treiben.

Dagegen argumentiert wird, wie so häufig, mit dem Bau von neuen Wohnungen und neuer Strecken für den Nahverkehr. Tatsächlich aber sind die Wohnungsneubauten unabhängig von Olympia bereits geplant. Auch der ÖPNV-Ausbau ist bereits projektiert, kann allerdings derzeit nicht realisiert werden, weil der Bund sich einer Mitfinanzierung versperrt. Das würde sich wohl bei Olympischen Spielen verändern. Wer besseren ÖPNV und Wohnungsbau möchte, sollte jedoch nicht Olympia fordern, sondern finanzielle Freiheit für Kommunen und eine sozial ausgerichtete Politik – noch besser gleich eine Gesellschaft, in der nach unseren Bedürfnissen produziert wird.

Sofern im Bürger:innen-Entscheid im Oktober für Olympia gestimmt werden sollte, gilt München als aussichtsreicher Kandidat. Nicht zuletzt, weil im Jahr 2022 schon die European Championships in der bayerischen Landeshauptstadt erfolgreich durchgeführt wurden.

An Rhein und Ruhr olympieren wir

Auch die Politiker:innen aus Nordrhein-Westfalen möchten Olympia austragen. Schon wieder, muss man sagen, denn die Bewerbung für 2032 scheiterte doch erst vor wenigen Jahren. Warum eine neue Bewerbung vielversprechender sein sollte, bleibt unklar.

Positiv hervorzuheben ist, dass sich die Olympischen Spiele auf viele Städte verteilen würden: Von Aachen, über Köln, Düsseldorf bis nach Duisburg, Essen und weitere. Darüber hinaus sollen einzelne Wettkämpfe auch in Kiel, Warnemünde und Markkleeberg in Sachsen stattfinden. So bekämen zumindest nicht die Bewohner:innen einer einzigen Stadt alles ab. Die Belastung für die Region wäre dabei jedoch umso höher, geriet sie doch schon bei der Fußballeuropameisterschaft im vergangenen Jahr für ihre desolate Verkehrsinfrastruktur bis in die internationale Presse hinein in Verruf.

Zwangsevakuierung vor Olympiade: Obdachlose sollen weg aus Paris

Obwohl in Nordrhein-Westfalen nun wirklich eine Vielzahl großer Stadien verfügbar wäre, soll ein neues Olympiastadion mit angrenzendem Olympischem Dorf in Köln oder Essen gebaut werden. Das Stadion und das „Dorf“ sollen anschließend einen Stadtteil bilden, inklusive eines Umbaus des Stadions zu Wohnungen. Das erinnert stark an die Pläne Hamburgs bei dessen abgelehnter Bewerbung 2014. Die Wohnungen auf dem Kleinen Grasbrook werden dort nun dennoch gebaut – ohne aufwendigen Umbau eines Stadions.

Punkten soll diese Bewerbung von NRW mit einem Zuschauer:innen-Rekord und 10 Millionen Tickets. Planungen über die Verbesserung des ÖPNV sind bisher nicht bekannt. Im Frühjahr 2026 wird in den betroffenen Städten vermutlich über diese wenig erfolgversprechende Bewerbung abgestimmt.

Berlin + 4

Die konservative Regierung aus Berlin wünscht sich Olympia in der Hauptstadt. Während bei Kultur, Infrastruktur und weiteren Bereichen erbarmungslos Geld gestrichen wird, weil angeblich nichts zur Verfügung stünde, traut man sich diese Schuldenfalle eines Großevents zu. Es sollen in Schleswig-Holstein, Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls viele Wettkämpfe stattfinden.

Konzentrieren wird es sich aber natürlich auf die Stadt Berlin, in der sich innerhalb von zehn Jahren die Mietpreise verdoppelt haben. Eine besondere Belastung wird dabei auf den Osten um den Prenzlauer Berg und Hohenschönhausen durch viele Sportstätten und auf den Westen um das Olympiastadion und die Messe zukommen: Auf ehemaligen Bahnanlagen soll dort das Olympische Dorf gebaut werden. Wie die Einfamilienhausgebiete der Umgebung und ihre Straßen mit einer solch massiven Mehrbelastung zurechtkommen sollen, wird nicht erklärt.

Sich für Olympia (unter anderem) 2036 mit einem Olympiastadion zu bewerben, das die Nazis für Olympia 1936 – vor 100 Jahren also – haben erbauen lassen, zeugt von so geringer historischer Sensibilität, dass man sich alles Weitere nicht vorstellen möchte. Glücklicherweise werden bereits die Schritte für ein Volksbegehren eingeleitet. Eine Ablehnung der Olympischen Spiele bei einer Abstimmung gilt als wahrscheinlich.

Nicht schon wieder, Hamburg

Vor zehn Jahren wollte sich Hamburg auf die Olympischen Spiele unter anderem mit dem Motto „Olympia der kurzen Wege“ bewerben. Ein Bürger:innen-Entscheid hinderte die Politik schließlich daran. Dass trotz dieses Ergebnisses nun schon wieder mit diesem Motto Olympia nach Hamburg geholt werden soll, ist respektlos der Bevölkerung gegenüber. Wie beim letzten Mal soll Kiel der Co-Host sein.

Bei nicht einmal zwei Millionen Einwohner:innen, davon nur etwa die Hälfte urban lebend, zeugt diese Bewerbung wie bei München von einer Hybris. Olympia ist in den letzten Jahrzehnten viel größer geworden. Die Belastung wird sich dabei auf den Hamburger Westen konzentrieren, insbesondere die Stadtteile St. Pauli, Bahrenfeld und Stellingen. Bereits geplanter Wohnungsbau in der Science City Bahrenfeld soll als Olympisches Dorf genutzt werden. In Stellingen soll eine neue Arena entstehen. Der ÖPNV mit der S4 und der U5 ist seit mehreren Jahren geplant. Die eigentliche Frage ist, wie der Hamburger Hauptbahnhof mit erhöhter Belastung zurechtkommen soll, da er doch bereits bei Pendelverkehr überlastet ist.

Um die Welt gingen die Bilder von den Olympischen Spielen 2024 in Paris mit dem Beach-Volleyball-Feld vor dem Eiffelturm. In Berlin soll daran vor dem Brandenburger Tor angeknüpft werden, in Hamburg vor dem selbst national kaum bekannten Grünen Bunker. Das ist nicht nur unkreativ, sondern ehrlich gesagt ziemlich peinlich. Das Referendum soll in Hamburg Ende Mai 2026 stattfinden.

NOlympia

Überraschend ist, dass Schleswig-Holstein bei jeder Bewerbung Austragungsort sein soll. Wenig überraschend ist, dass es bereits jetzt eine Ressourcenverschwendung ist. Unabhängig davon, ob Deutschland den Zuschlag mit einer der Bewerbung bekommt, werden mindestens drei der Bewerbungen abgelehnt werden. Das zeugt davon, wie sehr sich einzelne Politiker:innen profilieren wollen.

Olympia 2024 – Welchen Zweck haben die Spiele tatsächlich?

Es besteht Hoffnung, dass die Olympia-Bewerbung durch manch ein Referendum fallen wird. Genügend Menschen durchschauen, dass sie von Olympia in der eigenen Stadt nur Nachteile hätten. Wenn Sportler:innen von Olympia im eigenen Land schwärmen, spricht aus ihnen Nationalismus – und dass sie nicht selbst unter den Belastungen zu leiden hätten. Dass es zu wenige Wohnungen und keinen akzeptablen ÖPNV gibt, liegt nicht daran, dass zu selten Olympia in Deutschland war, sondern dass dies im Kapitalismus wohl immer ein ferner Traum bleiben wird.

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