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„Operation At Large“: Trumps Krieg gegen Migrant:innen und Protestierende

Am Wochenende wurden in Los Angeles hunderte Migrant:innen im Zuge von Razzien zwecks Abschiebung festgenommen. Als Reaktion formierten sich große, zum Teil militante Proteste. Bleibt es jedoch bei spontanen Protesten, werden sie die rassistische Abschiebepolitik nicht verhindern können. – Ein Kommentar von Jens Ackerhof.

Um 9:15 Uhr Ortszeit am vergangenen Freitag drangen bewaffnete Agenten der US-Regierung in ein Kleidungsgeschäft in Los Angeles’ Modedistrikt ein, in dem vornehmlich Migrant:innen arbeiten. Sofort zwangen die eingesetzten Ermittler:innen die etwa 30 Beschäftigten, sich an der Wand aufzustellen, und nahmen ihre Personalien auf. Mit der Unterstützung weiterer US-Behörden führte die Polizei- und Zollbehörde Immigration and Customs Enforcement (ICE) Razzien an zwei weiteren Orten durch, bei denen laut eigener Angabe 118 papierlose Migrant:innen verhaftet wurden.

Doch es dauerte nicht lange, bis sich Anwohner:innen versammelten, um sich gegen die brutalen Festnahmen zu stellen. Seitdem haben sich die Proteste auf weitere Viertel in Los Angeles ausgeweitet. Während diese zum Teil auch von militanten Aktionen geprägt waren, wie etwa einer Autobahnblockade oder dem Anzünden autonom fahrender Waymo-Autos, so reagierten die Bundesbehörden und lokale Polizei ebenfalls mit massiver Gewalt. Der US-Präsident Donald Trump ordnete sogar die Nationalgarde zur Auflösung der Proteste an.

Was steckt hinter Trumps Massenabschiebungen? Und welche Erfolgschancen haben die Proteste?

ICE soll „kreativ“ werden, um täglich 3.000 Migrant:innen zu verhaften

Massenhafte Abschiebungen waren ein zentrales Wahlversprechen Trumps zu seiner zweiten Amtszeit. Ähnlich wie die AfD in Deutschland bediente Trump sich des Narrativs, dass tausende „Terroristen, Kriminelle und Drogendealer“ in das Land strömten und dort Verbrechen begingen, während die damals regierende Partei – in diesem Fall die Demokraten unter Joseph Biden – nichts getan habe, um dies zu stoppen. Dies ist eine Erzählung, die ignoriert, dass auch die damalige Demokratische Regierung eine restriktive Migrationspolitik verfolgte und mit durchschnittlich 57.000 monatlichen Abschiebungen sogar schneller abschob als Trump zu Beginn seiner zweiten Amtszeit.

Doch die Trump-Regierung ist gewillt, ihren Vorgänger zu überbieten und bestimmte Ende Mai eine Quote von mindestens 3.000 Migrant:innen, die täglich von der ICE festgenommen werden sollen. Um diese Quote durchzusetzen, riefen kürzlich zwei ranghohe ICE-Beamten ihre Agent:innen dazu auf, „kreativ“ in ihren Festnahmen zu werden. Dazu gehört die Aufforderung, die Festnahmen von sogenannten „Kollateralen“ zu erhöhen: Hat ICE einen Haftbefehl für eine oder mehrere Personen und trifft bei der Festnahme weitere Migrant:innen an, für die es keinen Haftbefehl gibt, so gelten diese als „kollateral“ und sollen ebenfalls festgenommen werden.

Abschiebungen unter Trump beginnen

Festnahme und Abschiebung von US-Bürger:innen

Solche Festnahmen ohne Haftbefehl sind zwar unüblich, jedoch nicht unbedingt illegal. Davon abgesehen hat sich bereits gezeigt, dass bestehende Gesetze kein großes Hindernis für die Hetzjagd auf Migrant:innen oder nicht weiße Amerikaner:innen ist. So wurde Ende Mai auch ein US-Bürger mit mexikanischen Wurzeln verhaftet. ICE-Agent:innen hatten seinen Personalausweis als „gefälscht“ erachtet, ihn zu Boden gerungen, mit Handschellen fixiert und erst Stunden später freigelassen. Darüber hinaus wurden in drei Fällen die kleinen Kinder papierloser Migrant:innen, die in den USA geboren wurden und somit Bürgerrechte haben, zusammen mit ihren Eltern abgeschoben.

Wer auf illegale Weise abgeschoben wurde, hat es jedoch schwer, dagegen vorzugehen. Dies gilt besonders für alle diejenigen, die im Zuge des Abkommens zwischen den USA und El Salvador im salvadorianischen Mega-Gefängnis CECOT landen. Denn befinden sich die Häftlinge erst einmal in El Salvador, haben sie praktisch keine Möglichkeit mehr, ihre Abschiebung vor einem US-Gericht anzufechten.

Über Abschiebungen zum Staatsumbau

Spaltung und Stärkung der Staatsgewalt durch Abschiebungen

Trumps rassistische Migrationspolitik dient den persönlichen Interessen Trumps, aber auch der amerikanischen herrschenden Klasse im Allgemeinen. Indem Trump Migrant:innen zum Feindbild macht und erhebliche Mittel in ihre Verfolgung investiert, kann er seine Wählerbasis von den Missständen seiner Regierung ablenken – wie etwa von seinem Versagen, die Lebensmittelpreise zu senken, die im Zuge der beschlossenen Zölle wahrscheinlich sogar steigen werden. Gleichzeitig verringert die ständig drohende Gefahr einer Abschiebung noch weiter die Chancen undokumentierter Arbeiter:innen, gegen Ausbeutung und gefährliche Arbeitsbedingungen vorzugehen.

Ebenfalls nutzt die Trump-Regierung die Abschiebeoffensive dazu, die Macht über die Behörden zu zentralisieren und diese mit weitreichenden Befugnissen auszustatten. Dies ist, wie sich in der Reaktion auf die Proteste zeigt, auch ein willkommenes Mittel, noch gezielter und rigoroser gegen Klassenkampf von unten vorgehen zu können.

Denn die Operation At Large – der Name für die von ICE geführte Initiative der Massenabschiebungen – sieht vor, dass über 5.000 Beamten unterschiedlicher Behörden zusammenarbeiten und bis zu 21.000 Personen der Nationalgarde zur Verfügung gestellt werden sollen. So waren bei den Razzien in Los Angeles neben der ICE auch die Homeland Security (das Ministerium für Innere Sicherheit), sowie das FBI anwesend, das normalerweise nicht für die Festnahme papierloser Migrant:innen zuständig ist.

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Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden

Gegen die Demonstrant:innen, welche die Abschiebung verhindern wollten, wurde mit massiver Gewalt vorgegangen: So wurden bereits am Freitag Pfefferspray-Patronen in die Menge geschossen. Unter den hunderten Festgenommenen war auch David Huerta, der Präsident einer kalifornischen Gewerkschaft, der beschuldigt wurde, die Razzia durch seine Blockade eines ICE-Fahrzeuges gestört zu haben. Die Proteste hatten sich auch auf die in der Nähe von Los Angeles liegenden Städte Compton und Paramount ausgeweitet. In Paramount, wo besonders viele sich als Latinos identifizierende Menschen leben, wurden Blendgranaten und Tränengas zur Niederschlagung der Proteste eingesetzt.

Am Samstag rief Trump 2.000 Truppen der Nationalen Garde auf den Plan, um die Proteste einzudämmen. Unüblicherweise tat Trump dies gegen den Wunsch des demokratischen Gouverneurs von Kalifornien, Gavin Newsom. 300 Truppen waren am Wochenende bereits in Los Angeles. Am Sonntag wurden darüber hinaus 700 Soldat:innen der US-Marine mobilisiert. Bis Trump jedoch das sogenannte und bisher selten angewandte Aufstandsgesetz (Insurrection Act) verhängt, haben legal weder die Nationalgarde noch die Marines die Befugnis, Festnahmen zu tätigen.

Die Polizei von Los Angeles, die hingegen diese Befugnisse hat, zeigte sich allerdings auch mehr als gewillt, mit Gewalt gegen Protestierende und sogar eine Journalistin vorzugehen: So zeigt ein Video, wie am Sonntag berittene Polizist:innen ihre Pferde auf einen am Boden liegenden Mann trampeln ließen. Am gleichen Tag wurde eine australische Journalistin von einem Gummigeschoss der Polizei getroffen.

Demonstrant:innen besetzen Autobahn, zünden selbstfahrende Autos an

Doch auch die Militanz der Gegenproteste nahm am Sonntag zu. So begaben sich Demonstrierende am Mittag auf die Autobahn und blockierten diese bis zum späten Nachmittag, bis sie von der Polizei abgeführt wurden. Darüber hinaus wurden mehrere Autos der Firma Waymo – ein Tochterunternehmen von Google, das autonom fahrende Taxis in Los Angeles feinsetzt – angezündet. Waymo stellte daraufhin die Operationen in Los Angeles vorerst ein.

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Die Protestierenden in Los Angeles haben gezeigt, dass Tausende von Menschen bereit sind, gegen rassistische Abschiebepolitik zu kämpfen, einige von ihnen auch mit militanten Mitteln. Auch wurde klar, dass zumindest in Los Angeles, wo viele Migrant:innen leben, schnell und bestimmt auf die Repression von ICE geantwortet werden konnte: innerhalb kürzester Zeit nach Beginn der Razzien konnten Menschen zur Blockade der Festnahmen mobilisiert werden.

Die Nutzlosigkeit der Demokraten und das Limit spontaner Proteste

Aktionen dieser Art sind nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig. Doch ohne eine zentrale Organisation der Proteste und weitreichendere Forderungen, die über das Ende der Razzien hinausgehen, ist es leider wahrscheinlich, dass die Proteste abflauen werden, während die Regierung ihren autoritären Staatsumbau und ihre Abschiebepolitik fortsetzen wird.

Die Demokrat:innen werden diese Chance nutzen, um sich als vermeintlich menschlichere Alternative gegenüber der Trump-Regierung zu positionieren. So wendet sich die demokratische Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, gegen die Razzien und den Einsatz der Nationalen Garde, ruft aber gleichzeitig die Demonstrierenden zu Zurückhaltung auf.

Bereits während der Proteste gegen den Polizeimord an George Floyd sahen sich Demokrat:innen gezwungen, niedrigere finanzielle Mittel für die Polizei zu fordern: „Defund the Police“. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Mehrheit der Partei diese (ohnehin sehr begrenzte) Polizeikritik als Fehler ansah und wieder auf die Wichtigkeit der Polizei setzte. Dabei hatte die viel beschworene Kürzung der Mittel für die Polizei gar nicht stattgefunden – vielmehr stiegen seit den George Floyd-Protesten die Ausgaben in vielen Städten sogar.

Massenproteste gegen Trump: Wer protestiert und für was?

Der Kampf gegen eine Regierung, die Migrant:innen ohne Vorwarnung kidnappt, von ihren Familien trennt, in ausländische Gefängnisse abschiebt und mit immer härteren Mitteln gegen Demonstrierende vorgeht, lässt sich also nicht mit einer Wählerstimme für die Demokraten beenden. Die Proteste sind dagegen das richtige Mittel. Doch solange die Proteste spontan und ohne koordinierte Führung bleiben, können auch sie höchstens ein kleiner Stein auf dem Weg der Abschiebebehörden sein.

Jens Ackerhof
Jens Ackerhof
Perspektive-Autor seit 2023. Wohnort: Hamburg. Kommentare verfasst er häufig über bürgerliche Politiker:innen und deren Propaganda. Seine Lieblings- und Haustiere sind Ratten.

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