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Sechs Jahre Mord an Adel B. – keine Gerechtigkeit in Sicht

Am 18. Juni 2019 tötet die Essener Polizei Adel B. in seinem Zuhause in Essen-Altendorf. Es folgen Vertuschung, Proteste und Bedrohungen durch die Polizei. Die steigende Anzahl an Erschießungen durch die Polizei zeigt, dass sich das Problem in den vergangenen sechs Jahren noch verschärft hat. – Ein Kommentar von Leon Hamacher.

Adel B. war ein Arbeiter aus Essen-Altendorf. Er war als Garten- und Landschaftsbauer tätig und war in der Nachbarschaft gut vernetzt. Seine Familie kam ursprünglich teils aus Algerien. Von seiner Familie, Arbeitskolleg:innen und Nachbar:innen wurde er als herzlicher Mensch beschrieben.

Aber auch in Adels Leben lief nicht alles glatt. Wie nach aktuellen Statistiken – die Dunkelziffer außen vor – fast jede:r Dritte hierzulande hatte auch Adel B. mit psychischen Problemen zu kämpfen. An seinem Todestag hatte er eine schwere Krise. Weil er drohte, sich selbst mit einem Messer etwas anzutun, wurde die Polizei gerufen. Die erhoffte Hilfe bekam er nicht: Die Polizei verfolgte ihn durch mehrere Straßenzüge. Obwohl er nur sich selbst bedrohte, war das Auftreten der Polizei aggressiv, und sie schrien ihn mehrfach an.

Kurz darauf eröffnet ein Polizist das Feuer. In den ersten Mitteilungen der Polizei heißt es, Adel wäre plötzlich mit dem Messer auf die Polizei zugelaufen und sie hätte aus Notwehr gehandelt. Nur durch Zufall kann diese Lüge widerlegt werden: Ein Nachbar hat die Situation aus dem gegenüberliegenden Haus heraus gefilmt. Die Polizei zwingt ihn zunächst, das Video zu löschen, allerdings wird es in einer Cloud gesichert und später auf YouTube veröffentlicht. In dem Video sieht man, wie Adel durch die Haustür seines eigenen Hauses tritt. Die Tür fällt zu, erst dann fällt der Schuss. Statt der benötigten Hilfe bekommt er von der Polizei Kugeln von hinten durch eine Glastür.

Während Adel B. noch am Leben ist, bietet – laut Schilderungen des Bündnisses gegen rassistische Polizeigewalt – ein Nachbar, der als Sanitäter tätig ist, seine Hilfe an, wird von der Polizei aber weggeschickt. Kurz darauf erliegt Adel seinen Verletzungen.

Als die erste Lüge der Polizei durch das veröffentlichte Video entlarvt wird, ändert sie ihre Darstellung: Adel wäre eine Gefahr für seine Familie gewesen, deswegen hätten sie ihn aufhalten müssen. Sowohl seine Lebensgefährtin, als auch seine Mutter und Schwester widersprechen dieser Behauptung entschieden: demnach konnte er gar keine Bedrohung für sie sein – die Kinder waren bei einer Freundin, und die Lebensgefährtin telefonierte mit ihm, um ihn zu beruhigen.

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Rassistische Polizeigewalt ist Alltag

Der Essener Stadtteil Altendorf ist wohl einer der bekanntesten der Stadt. Das liegt vor allem an den Schlagzeilen der Boulevard-Medien und Lokalpresse. Hier wird der Stadtteil zu einem „sozialen Brennpunkt“ ernannt, er sei Schwerpunkt der sogenannten „Clan-Kriminalität“.

Tatsächlich hat man eher den Eindruck, der migrantisch geprägte Stadtteil ist ein Versuchslabor für diese Art der rassistischen Sippenhaft und für Polizeischikanen. Rassistische Kontrollen sind hier an der Tagesordnung, die Polizei tritt hier als Fremdkörper, fast wie eine Besatzungsmacht auf. Willkürliche Razzien in migrantischen Läden und Restaurants, Personenkontrollen ohne jeden Anlass und Checkpoint-artige Fahrzeugkontrollen sind hier keine Ausnahmen. Hört man sich auf der Straße um, so hat fast jeder von negativen Erfahrungen mit der Polizei zu erzählen.

Nach den Schüssen: Justizskandal und Proteste

Die Polizei verbreitete wiederholt falsche Darstellungen. Wenig überraschend, da die Essener Polizei immer wieder durch rechte Skandale hervorsticht und der damalige Polizeipräsident Frank Richter ein Hardliner der rassistischen „Clan“-Politik war.

Lauter rassistische Einzelfälle bei der Essener Polizei?

Doch auch aus dem Rathaus und der Staatsanwaltschaft erhielt der Todesschütze volle Rückendeckung. Nach gerade einmal drei Monaten wurde das Verfahren gegen den Polizisten ganz ohne Prozess eingestellt.

Erledigt hat sich die Problematik damit aber nicht: Immer wieder gibt es im Viertel Proteste und Demonstrationen. Organisiert wurden sie neben der Familie unter anderem von der Initiative Gerechtigkeit für Adel, Rebellion Ruhr und der Internationalen Jugend. Doch auch die Demonstrationen selbst waren und sind immer wieder Zielscheibe für die Polizei, die scheinbar einiges daran setzt, Ruhe in die Angelegenheit zu bringen.

Schon 2020 kam es bei einer Demonstration um den Todestag herum zu Angriffen der Polizei. Ein Jahr später ging das Ganze weiter: Trotz schikanöser Auflagen und einem massiven Polizeiaufgebot formierte sich eine Kundgebung, um Adels zu gedenken und Gerechtigkeit zu fordern. Als die Demonstration am Tatort eine Gedenkminute einlegte, nahmen einige Polizist:innen dies zum Anlass für Witze oder lauthals zu lachen.

Schon hier wurde provoziert, da die Polizei sich eng um die Demonstrierenden herumstellte – sich aber zeitgleich über fehlende Abstände wegen der Corona-Pandemie beschwerte. Als sich die Demonstration, um weiteren Schikanen zu entgehen, auf der Hauptstraße auflöste, begann die Polizei, wild in die Menge zu schlagen. Es wurden neben den Demonstrierenden auch Passant:innen zu Boden gebracht und mit Polizeihunden angegriffen.

Auch im Nachhinein wurde im Viertel eine Hetzjagd auf vermeintliche Demonstrationsteilnehmer:innen veranstaltet. Grundlage für diesen Gewalt-Exzess waren vorgebliche „Beleidigungen” gegen Polizist:innen allein dadurch, dass die Tötung als Mord bezeichnet wurde. Schon vorher wurden Kioskbesitzer, die Plakate für die Demo ausgehängt hatten, von der Polizei gezwungen, sie wieder abzuhängen, da in einer Zeichnung auf dem Plakat winzig klein „ACAB“ („All Cops Are Bastards“) zu lesen war.

Dennoch organisierte die Initiative Gerechtigkeit für Adel in den letzten Jahren weiterhin ein Gedenk-Fußballturnier auf dem Ehrenzeller Platz in Altendorf.

Kein Einzelfall

Der Polizeimord an Adel B. ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es in Deutschland zu tödlicher Polizeigewalt. Besonders betroffen sind migrantische Menschen. Bekannte Fälle sind der Mord an Oury Jalloh in Dessau, die Erschießung des 16-jährigen Mouhamed Dramé in Dortmund oder zuletzt die Schüsse in den Rücken auf den schwarzen Jugendlichen Lorenz in Oldenburg. Daneben sind vor allem psychisch kranke Menschen betroffen. Oft gibt es hier auch Überschneidungen, wie bei Adel B. und Mouhamed Dramé.

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Im Jahr 2024 gab es mit 22 Tötungen durch Polizeischüsse sogar deutlich mehr als in den Vorjahren seit 2000. Dieses Jahr sind es bislang auch schon 11 Fälle. Fast die Hälfte der Erschossenen der letzten Jahre befanden sich in einer psychischen Krise, wie das Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V. an der FU Berlin im Jahr 2024 ausgewertet hat.

Oft läuft dabei ein ähnliches Schema ab wie im Fall Adel B.: Die Polizei wird gerufen, um den späteren Opfern zu helfen, eskaliert die Lage aber durch aggressives Vorgehen und teilweise auch durch den Einsatz von Waffen wie Pfefferspray oder Tasern. Auf die darauffolgende Reaktion der Betroffenen folgt dann der Schusswaffeneinsatz.

Bei Gesundheit sparen, Polizei hochrüsten

Dass sich an diesem Trend bald etwas ändert, ist nicht zu erwarten. Sehr gut ausgebaut waren Hilfsangebote für psychisch Kranke noch nie: einen Therapieplatz zu bekommen dauert oft Monate und ist mit hohem Aufwand und bürokratischen Hürden verbunden. Dazu kommen die Sparmaßnahmen beim Bundeshaushalt, die anderweitige Hilfsangebote deutlich einschränken.

Entscheidende negative Faktoren für die psychische Gesundheit vieler Menschen verschärfen sich derweil: der Leistungsdruck in Bildungseinrichtungen wird immer weiter erhöht, soziale Unsicherheit und Armut steigen an, und die aktuelle Bundesregierung plant, die Wochenarbeitszeit deutlich zu erhöhen. All das lässt einen Anstieg an psychischen Ausnahmesituationen erwarten.

Das große Geld landet derweil vor allem bei den Repressionsbehörden und dem Militär. Der angebliche Mangel an Geld, Personal und Ausbildung bei der Polizei, der angesichts der genannten Fälle dreist vorgeschoben wird, stellt sich bei näherer Betrachtung als Nebelkerze heraus: Denn weder mehr Ausbildung, noch mehr Geld ändern grundsätzlich etwas daran, dass die Polizei nicht uns, sondern das Kapital schützt. Polizeimorde sind keine Betriebsunfälle, sondern Kalkül.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 99 vom Juni 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

Leon Hamacher
Leon Hamacher
Landschaftsgärtner aus Essen.

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