Zeitung für Solidarität und Widerstand

Stonewall Demonstrationen von Berlin bis Istanbul: „Schützen können wir uns nur selbst“

Rund um den Jahrestag des Stonewall-Aufstands gingen deutschlandweit tausende Menschen auf die Straße. Im Mittelpunkt standen Widerstand gegen Repression, Kapitalismus und Faschismus – sowie die Solidarität mit der in Ungarn inhaftierten Antifaschist:in Maja. Auch in Ungarn und der Türkei war der Ruf nach Selbstbestimmung und Befreiung unüberhörbar.

Fast 1.000 Menschen kamen am Samstag zur Critical Pride in Stuttgart, um für eine revolutionäre Antwort auf die Unterdrückung von LGBTI+ zu demonstrieren. Bereits im vergangenen Jahr war diese Aktion ins Leben gerufen worden und sollte eine Antwort auf die Kommerzialisierung des CSD darstellen. Aufgerufen hatten in diesem Jahr unter anderem die Organisation Queer & Revolutionär, der SDS und das Solidaritätsnetzwerk.

Auf der Demonstration waren Parolen wie „LGBTI+ für den Kommunismus“ zu hören. Mit mehreren Hochbannern wurde zudem Bezug auf die in Ungarn inhaftierte antifaschistische Person Maja genommen. Im Anschluss der Demonstration hatte das Prisma im Stadtteil Cannstatt zu einem Hoffest mit vielfältigem Programm eingeladen. In den Wochen zuvor war das Kulturzentrum mehrmals Opfer queerfeindlicher Angriffe geworden. Neben einer Dragshow wurden beim Hoffest auch Briefe an politische Gefangene geschrieben.

Eigenes Bild

In Berlin kamen etwa 200 Menschen zur revolutionären Stonewall-Demonstration. Auch hier wurde sich mit Sprechchören und Bannern mit Majas Kampf für Freiheit solidarisiert. In einem Redebeitrag der Föderation Klassenkämpferischer Organisationen (FKO) wurde zudem die Vereinnahmung durch Institutionen wie die Bundeswehr kritisiert:

„Weder wollen wir uns aus Angst vor Faschos verstecken müssen, noch wollen wir in einer angeblich kunterbunten Armee Schüsse auf Jugendliche und Arbeiter:innen wie uns absetzen! Ja und wenn uns dieses System das nicht bieten kann, dann müssen wir die Sache eben selbst in die Hand nehmen und uns ein anderes erkämpfen!“

Antifaschistische Aktionen und CSD Beteiligung

Zum vierten Mal zog das revolutionäre Stonewall-Bündnis am 28. Juni durch Leipzigs Südvorstadt. Etwa 200 Menschen beteiligten sich kämpferisch an der Demo unter dem Motto „Schützen können wir uns nur selbst – Kampf dem Faschismus und Patriarchat“. In Reden wurde scharfe Kritik am „Regenbogenkapitalismus“ geäußert, etwa an der Beteiligung von FDP und Großkonzernen beim CSD.

Am Tag zuvor hatte sich das Bündnis bereits an der CSD-Parade durch die Leipziger Innenstadt beteiligt. Auf Schildern waren Sprüche wie „Fuck rainbow capitalism“ (dt. „Scheiß auf Regenbogenkapitalismus“) oder – in Bezug auf den Völkermord durch Israel – „You can’t pinkwash genocide“ (dt. „Mit Pinkwashing lässt sich kein Völkermord reinwaschen“) zu lesen. Der Demonstrationszug wurde auch von kämpferischen Parolen begleitet. „Bullen, Konzerne und Armee – weg von unserem CSD!“, stimmte dort ein Aktivist mit Megaphon an.

In Frankfurt eskortierte am 28. Juni, dem Jahrestag der Stonewall-Aufstände, ein Großaufgebot der Polizei eine kleine Gruppe Faschist:innen durch die Innenstadt. Sie setzte dabei massive Gewalt gegen den antifaschistischen Gegenprotest ein. Mit Bannern, die Bezug auf den Kampf von LGBTI+ nahmen, wurde die Blockadeaktion mit dem Stonewall-Tag verbunden. Aufgerufen hatte das Antifaschistische Aktionsbündnis Frankfurt, das bereits in den Monaten zuvor Gegenproteste gegen die regelmäßig stattfinden Nazi-Aufmärsche organisiert hatte.

Weitere Aktionen fanden unter anderem in Wuppertal, Freiburg, Augsburg und Mainz statt. In Lübeck steht eine revolutionäre Demonstration noch am Freitag, den 6. Juli bevor.

Von Hildesheim über Budapest bis Istanbul

In Hildesheim hatte ein Bündnis unter dem Motto „Von Hildesheim nach Budapest: Selbstbestimmung ist unser Recht!“ zu einer Demo am Abend des 27. Juni aufgerufen. Dem Aufruf folgten etwa 70 Menschen. In Redebeiträgen wurde auf die Geschichte des Stonewall-Aufstands, die aktuelle Lage von trans Personen weltweit und auf den immer stärker werdenden Faschismus aufmerksam gemacht.

Eigenes Bild

In Budapest fand am Samstag trotz eines staatlichen Verbots und Einschüchterungsversuchen durch faschistische Gruppen die 23. Pride-Demonstration mit rund 200.000 Teilnehmer:innen statt. Die Demonstration war ein klares Zeichen gegen die queerfeindliche Politik der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán. Internationale Beteiligung gab es unter anderem von EU-Abgeordneten, Greta Thunberg sowie Gruppen wie der antikapitalistischen LGBTI+-Organisation Pride Rebellion aus Deutschland. Diese stellten den Fall von Maja, deren Freilassung lautstark gefordert wurde, in den Vordergrund.

Trotz aller Repressionen wurde auch in Izmir die 13. Pride-Parade durchgeführt. Die Menschenmenge, die sich in der Kıbrıs Şehitleri-Straße in Alsancak versammelte, marschierte mit Parolen wie „Wir werden den transfeindlichen Staat stürzen“, „Du wirst niemals allein gehen“, „Gegen den Hass – für das Leben“ und „Transmorde sind politisch“. Während des Marsches hissten das Organisationskomitee der Parade und die Sozialistische Partei der Unterdrückten (ESP) eine riesige Regenbogenfahne vom ESP-Provinzverband Izmir.

SGDF

In einer Grußbotschaft aus dem Gefängnis von der Co-Vorsitzenden der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP), Hatice Deniz Aktaş, hieß es: „In dieser Zeit, in der wir jede Straße, die wir im Pride-Monat betreten, in ein Kampfgebiet verwandeln werden, werde ich – auch wenn ich nicht auf der Straße sein kann – aus dem Frauengefängnis in Gebze weiterhin eure Stimme sein, eure Parolen laut werden lassen und eure Kampfgefährtin bleiben. Für das Leben – gegen den Faschismus!“

In Istanbul griff die Polizei am Sonntag dann die 23. Pride-Parade in Ortaköy an. Die Demonstration wurde bereits im Vorfeld massiv behindert. Viele Personen wurden von der Polizei daran gehindert, überhaupt den Versammlungsort zu erreichen. Noch vor Beginn der Parade hatte die Polizei den Bereich rund um den Taksim-Platz abgeriegelt und griff in Ortaköy die versammelten LGBTI+-Personen an.

Insgesamt wurden mindestens 40 Personen in Gewahrsam genommen, darunter auch Journalist:innen. Die Polizei versuchte zudem, Pressevertreterinnen daran zu hindern, Bildmaterial aufzunehmen. Kezban Konukçu, Abgeordnete der DEM-Partei in Istanbul, kritisierte das Vorgehen der Polizei scharf: „Das Regime des Palasts wird seine Macht nicht aufrechterhalten können, indem es LGBTI+-Menschen ignoriert und dämonisiert.“

Perspektive Online
Perspektive Onlinehttp://www.perspektive-online.net
Hier berichtet die Perspektive-Redaktion aktuell und unabhängig

Mehr lesen

Perspektive Online
direkt auf dein Handy!