Bei den Ford-Werken in Köln sollen bis Ende des Jahres 2027 2.900 Stellen abgebaut werden, also fast jeder vierte Arbeitsplatz. Perspektivisch könnte sogar der gesamte Standort schließen, denn die Verkaufszahlen sind schlecht. Die Beschäftigten bei Ford reagierten darauf am 14. Mai geschlossen mit einem ganztägigen Streik. Perspektive war an diesem Tag vor Ort und hat mit den streikenden Arbeiter:innen gesprochen.
In den Ford-Werken im Kölner Norden sind die Produktionshallen am 14. Mai leer. Das Werk, in dem die Europazentrale des Konzerns ihren Sitz hat, wird ab 5 Uhr morgens für 24 Stunden bestreikt. Dabei setzte die IG Metall auf drei größere Kundgebungsorte. Vor dem Haupttor wurde um 9 Uhr Live-Musik gespielt und Reden gehalten, um 12 Uhr gab es eine Kundgebung am Entwicklungscenter und um 15 Uhr ebenfalls eine Kundgebung am Ersatzteillager der Ford Customer Service Division (FCSD).
Gerade die Bestreikung des Bereichs für Motoren und Getriebe und des FCSD Ersatzteillagers haben eine größere Wirkung, denn steht die Produktion in diesen beiden Bereichen still, führt dies dazu, dass europaweite und globale Lieferketten blockiert werden, wie ein Arbeiter gegenüber Perspektive erklärte.
Einige Medien betiteln diesen Streik in ihrer Überschrift als den ersten in dem fast hundertjährigen Bestehen des Werks. Das ist nicht korrekt, es gab zwar vor diesem Streik noch keinen regulären Streik der IG Metall. Trotzdem können gerade die Arbeiter:innen von Ford Köln auf eine sehr kämpferische Tradition zurückblicken: Vor über 50 Jahren hatten vornehmlich türkische Gastarbeiter:innen in einem wilden Streik ohne Unterstützung der IG Metall die Arbeit niedergelegt.
Mehrere hundert Arbeiter:innen stellten sich damals kämpferisch gegen die Entlassung von 300 Kollegen. Obwohl ihr Protest durch eine Kooperation zwischen dem Betriebsrat, der Polizei und sogar Nazischlägertrupps brutal niedergeschlagen wurde, zeigt dieses Beispiel doch, dass der Widerstand der Arbeiter:innen ein wirklich kämpferisches Ausmaß annehmen kann, das tatsächlich Druck auf die Chefetage ausübt. Und das sogar, wenn nicht 2.900 Stellen gestrichen werden, sondern nur ein Bruchteil davon.
Geschlossene Solidarität von 11.500 Arbeiter:innen
Die Belegschaft bei Ford stand bei der Urabstimmung geschlossen hinter dem aktuellen Streik. Im gesamten Werk sind über 80 Prozent der Arbeiter:innen in der IG Metall organisiert. 93 Prozent dieser Gewerkschaftsmitglieder in Köln stimmten Anfang Mai für den Streik.
Und auch am Streiktag war der Rückhalt groß: Am Abend berichtete ein IG-Metall-Mitglied Perspektive, dass es über den Tag lediglich vier bis fünf Streikbrecher:innen gab. Trotz der Mail aus der Chefetage, zu welchem Tor man kommen könne, wenn man den Streik brechen wolle. Die IG-Metall-Mitglieder standen an diesem Tor bereit und wiesen die Streikbrecher:innen verbal auf ihr unsolidarisches Verhalten hin.
Ein kleiner Teil der Belegschaft arbeitete dennoch. Sicherheitsleute sowie der Notdienst waren in Absprache mit der Gewerkschaft im Dienst und konnten sich an den Toren vom Gewerkschaftspersonal ein kleines Präsent dafür dafür, dass sie trotz Streik arbeiten mussten. Perspektive wurde mitgeteilt, dass auch Werksleiter im Dienst waren. Dies sorgte bei einem Arbeiter für Unverständnis, denn diese hätten schließlich „keine sicherheitsrelevanten Aufgaben.“
Auch die Hochöfen müssen konstant eine gewisse Temperatur halten, um keinen Schaden zu nehmen. Die Öfen waren daher weiter in Betrieb und wurden von Ofenwächtern überwacht. Dass man dies auch als Druckmittel nutzen könnte, wurde von den Gewerkschaftsmitgliedern noch nicht in Erwägung gezogen.
„Wenn es bergab geht, dann kommt der Manager bei denen durch“
Generell zeichnet die hohe Zustimmung für den Streik und die geringe Zahl der Streikbrecher:innen das Bild einer Belegschaft, die geschlossen hinter dem Streik steht. Das kommt auch im Gespräch mit den Kolleg:innen zum Vorschein: „Solidarität ist natürlich da, alle streiken ja mit.“
In anderen Gesprächen wurde aber auch deutlich, dass manche Arbeiter:innen den erhöhten Druck von Unternehmensseite zu spüren bekommen, teils würde auch sonntags gearbeitet. Eine Person berichtete, dass das Führungspersonal den erhöhten Druck ausnutzen würde, um die Belegschaft zu einem höherem Arbeitspensum zu mobilisieren. Allerdings war bei Kolleg:innen, die in anderen Bereichen arbeiteten, davon keine Rede. Ein anderer Kollege sprach von schlechter Stimmung im Betrieb. Die Restrukturierungsphasen hätten zu einem „Brain Drain“ (Abwerbung von Fachkräften) geführt.
Junge Leute würden davon abgehalten, aufzusteigen und seien frustriert. Es mache den Eindruck, als würde der Standort langsam sterben und niemand kümmere sich ernsthaft um die Zukunft. Ein anderer junger Arbeiter bemängelte auch, dass das Arbeitsklima strenger würde, die Betriebskultur sich verändere und alle guten Bereiche, in denen man gern arbeite, verkauft oder geschlossen würden. In den Gesprächen wurde auch herausgestellt, dass man vor Jahrzehnten stolz auf seine Arbeit und die produzierten Autos war. Heute könne man sehen, dass die produzierten PKWs auf Parkplätzen stehen und keine Käufer:innen finden. Das sei ein weiterer Faktor, der die Arbeitsmoral im Werk herunterziehen würde.
Trotzdem oder gerade wegen dieser kollektiven Perspektivlosigkeit ist die Stimmung in der Belegschaft solidarisch. Ein Arbeiter, der nicht unmittelbar von den Kürzungen betroffen ist, sagte, dass es für ihn selbstverständlich sei, den Streik zu unterstützen, denn langfristig sei auch sein eigener Job in Gefahr. Er sprach sich außerdem gegen die spalterische Hetze der AfD aus, von der einige seiner Kolleg:innen beeinflusst seien.
Viele Teile der Belegschaft würden allerdings auch sehr pessimistisch in die Zukunft blicken. Ein Arbeiter sagte Perspektive: „Als ich hier angefangen habe zu arbeiten, da waren noch 40.000 Menschen hier im Werk angestellt. Früher war Ford eine sichere Bank, meine Eltern haben mir mitgegeben, dass ich eine sichere Zukunft haben werde, wenn ich zu Ford gehe. Das kann ich meinen Kindern nicht mehr sagen.“ Ein anderer Kollege schätzte das Klima im Betrieb ebenfalls sehr negativ ein: „Viele warten auf eine anständige Abfindung, und darauf, dass sie dann auch gehen können, weil alles in Richtung Abgrund geht“.
Ein weiterer Arbeiter stellte im Gespräch mit Perspektive heraus, dass seine Kolleg:innen und er nicht nur streikten, um ihre Wut raus zu lassen, sondern um eine Entscheidung zu erwirken. Weiter sagte er, dass der Vorstand unehrlich sei, denn dieser würde sich in seinen Worten immer auf die Seite der Belegschaft stellen, aber „wenn es bergab geht, dann kommt der Manager bei denen durch“. Eines der Ziele, die der Streik aus seiner Sichtweise erreichen sollte, war, dass, wenn der Standort Köln schließen sollte, dann nicht mit Insolvenz. Denn das würde für die Arbeiter:innen einer Kündigung ohne Abfindung gleichkommen.
Über die Rolle der Gewerkschaft sagte ein Ford-Mitarbeiter, dass für ihn die IG Metall natürlich das Organ des Arbeitskampfes sei. Er sagte: „Am Ende sind wir im Gegensatz zu einem Tarifstreik hier zwar mehr auf uns gestellt, aber ohne die IGM könnten wir keine Streiks aufrechterhalten. Am Ende bezahlen sie uns, helfen uns, uns zu strukturieren und zu organisieren und sind ja auch am Verhandlungstisch dabei. Daher glaube ich schon, dass sie essenziell für unseren Zweck sind.“
Im Gespräch hob er außerdem die breite Berichterstattung der lokalen Presse und die Solidarität in Köln hervor. Er sagte weiter: „Nach den letzten Restrukturierungen von regionalen Strukturen zu produktorientierten Strukturen (Verbrenner, E-Autos, Commercial Vehicles) münden die Befehlsstrukturen alle in Amerika. Ford Europa hat da einfach an Autarkie eingebüßt. In Amerika hat Ford sicherlich eine Perspektive, in Europa sehe ich für meinen Teil aktuell kaum belastbare Ideen.“ Man müsse aber weiter streiken für eine ausdrucksstarke Signalwirkung: „Das Sterben auf Raten sollte einen Preis haben.“
Was hat die IG Metall versäumt? – “Ich wünschte mir schon, dass das kämpferischer wär“
Viele der Beschäftigten bringen zum Ausdruck, dass sie froh sind, dass gestreikt wird. Allerdings käme der Streik zu spät, da man jetzt kaum mehr um die Zukunft des Werkes kämpfen könne und stattdessen versuche, möglichst hohe Abfindungen herauszuholen.
Das Management hat den Stellenabbau Ende 2024 beschlossen. Einige Kolleg:innen vermuten, dass die Entscheidung, in Köln zu kürzen, schon vor dem Vorliegen der schlechten Verkaufszahlen der neu produzierten E-Autos gefällt wurde Trotzdem wartete man – bis jetzt in Übersee die sogenannte Patronatserklärung aufgekündigt wurde, mit der Ford USA bis dahin für Kredite in Deutschland gebürgt hat. Ein schmutziger Trick des Managements, das ebenfalls in den USA sitzt, um die Werkslaufzeit bis 2032 zu umgehen, die erst 2018 teuer mit dem Abbau von Stellen seitens der Belegschaft erkauft wurde. Doch diese Unaufrichtigkeit kennt man schon von Ford: 2012 wurde die Schließung des Werks im belgischen Genk beschlossen, obwohl eine Werkslaufzeit bis 2030 vereinbart war.
Die IG-Metall hat allerdings schon bei VW und nun auch bei Ford gezeigt, dass sie sich mit den grundlegenden Plänen der Konzernleitung nicht anlegen will. Die Gewerkschaft streikt erst jetzt, wenn der Jobabbau schon in Stein gemeißelt scheint, versucht lediglich eine gute Abfindung herauszuschlagen. Doch mit einem kämpferischen Streik zu einem früheren Zeitpunkt, der den Damen und Herren in der Chefetage wirklich Dampf gemacht hätte, hätte man noch deutlich mehr Druck aufbauen können.
Die Ausblicke auf die Zukunft unterscheiden sich stark. Klar ist, dass die Strategie der SUVs und teuren E-Autos nicht aufgeht. Ein Gerücht um eine mögliche Antwort darauf ist ein neues Modell: Der E-Fiesta. Ein E-Auto, das im früheren Kernmarkt von Ford, dem Kleinwagensegment, spielt. Doch ob dieser tatsächlich in Deutschland produziert werden würde, ist fraglich. Gleichzeitig sehen viele Arbeiter:innen eher dem Ende ihres Berufslebens entgegen und es liegen hohe Abfindungsforderungen auf den Tischen der Bosse.
Die Krise hat System – nicht nur bei Ford
Ford ist nicht der einzige deutsche Konzern in der Krise. Die gesamte deutsche Wirtschaft stagniert. Im immer härteren kapitalistischen Konkurrenzkampf greifen die Konzernchefs zu drastischen Maßnahmen und die Arbeiter:innen müssen den Kopf hinhalten. Gleichzeitig werden in die deutsche Rüstung mehrere hundert Milliarden Euro gepumpt. Der Staat will also lieber einen Krieg führen, in dem Jugendliche sterben sollen, als uns einen sicheren Arbeitsplatz zu verschaffen und uns ein würdiges Leben zu ermöglichen. Wir sehen immer wieder, der deutsche Staat steht fest an der Seite der Konzernchefs und der Reichen, nicht aber an der Seite von uns Arbeiter:innen!
Im Gespräch wurde von den Arbeiter:innen immer wieder betont, dass das Hauptproblem sei, dass Ford die Produktion des Erfolgsmodells Ford Focus bis Ende diesen Jahres komplett einstellen wird. Doch das allein erklärt die Krise von Ford nicht. Denn das Ford-Werk in Köln ist auch ein Zulieferer für große Automobilfirmen wie BMW und VW.
Die Wirtschaftskrise hat die Autobranche hart getroffen und auch deshalb leiden die Absatzmärkte von Ford. Zudem drückt China derzeit die E-Auto-Preise, um langfristig diesen Wirtschaftszweig besetzen zu können. Es wird also klar, mit einem einfachen „Die Chefetage hat auf das falsche Pferd gesetzt“ ist die derzeitige Lage von Ford nicht zu verstehen. Zumal die Firmenzentrale in den USA der eigentliche Strippenzieher sind und abwägt, wie die Zukunft von Ford in Köln aussieht und ob es überhaupt eine gibt. Außerdem fahren die USA aktuell unter Trump einen noch radikaleren nationalen Kurs als noch vor einigen Jahren.
Ob der Standort unter diesen Umständen in Köln also langfristig noch zu retten ist und auch alle Beschäftigten dafür zu kämpfen bereit sind, bleibt fraglich. Auf eine Tatsache kann man sich allerdings verlassen; Wenn Ford in der Krise steckt, dann muss die Belegschaft immer als erstes den Kopf hinhalten. Von Dankbarkeit und Respekt für die Aufopferungsbereitschaft der Arbeiter:innen kann keine Rede sein. Aus der Chefetage kommt die Wertschätzung für die Arbeit nicht.
Der Streik bei Ford war ein Erfolg und setzte ein positives Zeichen, an dem sich alle Branchen in Deutschland ein Beispiel nehmen können. Denn auch wenn die IG-Metall zu lange gezögert hat und es kämpferischere Methoden gäbe, die ein deutlicheres Zeichen hätten setzen können, ist der Streik und die geschlossene Solidarität unter den Arbeiter:innen ein großer und ermutigender Schritt.
Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 99 vom Juni 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.