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Vereinigtes Königreich: Parlament für Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

Das Parlament des Vereinigten Königreichs hat für die Anpassung eines Gesetzesentwurfs gestimmt, mit dem auch Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert würden. Frauen, die auf illegalem Wege ihre Schwangerschaft abbrechen, könnten dann nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Die Gesetzesänderung ist Teil eines umfangreichen Gesetzentwurfs im Bereich Kriminalität und Strafverfolgung, das auch Verschärfungen gegen Demonstrationen beinhaltet.

Es ist ein potenziell wichtiger Fortschritt für Frauenrechte im Vereinigten Königreich: Am Dienstagabend stimmte eine große Mehrheit einem Änderungsantrag an einem Gesetzesvorhaben zu, das die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bedeuten würde.

Die mögliche Gesetzesänderung würde vor allem England und Wales betreffen. Dort, wie auch in Schottland, sind Abtreibungen derzeit bis zur 24. Schwangerschaftswoche dann legal, wenn die körperliche oder mentale Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist. Es besteht demnach bisher kein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch allein auf Wunsch der schwangeren Person. Für den Zugang zu einem legalen Abbruch sind außerdem noch zwei ärztliche Gutachten notwendig. In den meisten Fällen übernimmt das öffentliche Gesundheitssystem die Kosten für den Eingriff.

Seit der Covid-19-Pandemie ist es auch möglich, bis zur 10. Schwangerschaftswoche bei einer Videosprechstunde ein Rezept für ein Medikament zu erhalten. Mit diesem kann die Abtreibung von der Schwangeren selbst und bei sich zu Hause durchgeführt werden. Abbrüche nach der 24. Woche sind zudem bei Gefahr für das Leben der Schwangeren, schwerer anhaltender Gefährdung ihrer Gesundheit oder einer absehbaren Behinderung des Kindes legal.

Nach dem neuen Gesetzesentwurf könnten Frauen nicht länger strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie auch außerhalb des legalen Rahmens einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Das betrifft sowohl Frauen, die wissentlich oder unwissentlich nach der 24. Schwangerschaftswoche abtreiben, als auch diejenigen, die eine Fehlgeburt erleiden.

In Schottland gelten zwar dieselben Regelungen wie in England und Wales. Allerdings gibt es dort praktisch kein je angewandtes Gesetz, das Abtreibungen außerhalb dieses legalen Rahmens kriminalisiert. In Nordirland hingegen sind Schwangerschaftsabbrüche nur bis zur zwölften Woche legal.

Bisher: Strafverfolgung bei Fehlgeburten und Schwangerschaftsabbrüchen

In den letzten Jahren häuften sich Schlagzeilen im Vereinigten Königreich über Frauen, die nach dem Verlust einer Schwangerschaft strafrechtlich verfolgt wurden. In einem bekannten Fall wandte sich die betroffene Frau, Nicola Packer, an die Öffentlichkeit: Packer glaubte, weniger als 10 Wochen schwanger zu sein. Sie bekam deshalb auf legalem Weg ein Medikament zum Schwangerschaftsabbruch nach Hause geliefert. Da sie jedoch bereits in der 26. Woche war, kam es durch die Behandlung zu Komplikationen. Sie kam ins Krankenhaus und benötigte eine Operation.

Krankenhausmitarbeitende alarmierten die Polizei, die Packer einen Tag nach der Operation – noch geschwächt und unter Schmerzen – verhaftete und mit auf die Polizeistation nahm. Ihr wurde vorgeworfen, wissentlich nach der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt eingeleitet zu haben. Nachdem sie viereinhalb Jahre auf ihre Verhandlung warten musste, wurde sie im Mai diesen Jahres freigesprochen.

In einem weiteren Fall wurde Carla Foster, eine dreifache Mutter, zu über zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie im achten Monat medikamentös abgetrieben haben soll. Sie wurde nach einem Monat wieder freigelassen und ihre Strafe herabgesetzt. Im Jahr 2024 wurde die Anklage gegen eine 22-Jährige, die einen Schwangerschaftsabbruch medikamentös herbeigeführt haben soll, erst nach drei Jahren fallen gelassen. Es konnten keine Beweise für eine Straftat vorgelegt werden.

Gesetzentwurf entkriminalisiert betroffene Frauen

Die Gesetzesänderung wurde in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren von der Labour Party-Abgeordneten Tonia Antoniazzi auf den Weg gebracht. Sie berief sich in ihrer Argumentation auf die über 100 Fälle von strafrechtlich verfolgten Frauen in den letzten fünf Jahren, denen eine illegale Abtreibung vorgeworfen wurde. Ihr Änderungsantrag wurde am Dienstag mit 379 zu 137 Stimmen angenommen – allerdings erst als Anpassung im Rahmen eines größeren, noch ausstehenden Gesetzesentwurfs. Eine weitere vorgeschlagene Änderung, nach der auch medizinisches Personal und andere Unterstützende einer Abtreibung nicht länger kriminalisiert werden können, schaffte es nicht in die Abstimmung.

Somit würde das neue Gesetz zwar Frauen vor Kriminalisierung schützen, die eine Abtreibung selbst einleiten oder eine Fehlgeburt erleiden. Eine verbesserte medizinische Versorgungslage für ungewollt Schwangere wird damit jedoch nicht erreicht.

Der gesamte Gesetzesentwurf muss noch im Parlament angenommen werden, damit auch die rechtliche Änderung zu Schwangerschaftsabbrüchen in Kraft treten kann. Eine Annahme des gesamten Gesetzesentwurfs wird als sehr wahrscheinlich eingestuft. Dabei handelt es sich um ein Gesetzespaket, dessen Fokus allerdings nicht Frauenrechte oder Dekriminalisierung sind.

Frauenrechte eingebettet in rückschrittliches Gesetz

Die neue Regelung zu Abtreibungen ist eine Ergänzung zu einem der umfangreichsten Gesetzesentwürfe im Vereinigten Königreich bezüglich Kriminalität und Strafverfolgung seit Jahrzehnten. Ziel dieses Gesetzespakets sei laut der britischen Innenministerin Yvette Cooper die Stärkung lokaler Gemeinden und der Polizei. Dabei soll es vor allem um ausgeweitete Befugnisse für die Polizei und die Verfolgung kleinerer oder politischer Straftaten gehen. Damit würde gleichzeitig ein früheres Gesetz aufgehoben, nach dem Ladendiebstähle bei niedrigem Sachwert als „weniger schwerwiegendes Verbrechen“ eingestuft wurden.

Die Änderungen würden auch das Demonstrationsrecht betreffen: Vermummung, Pyrotechnik und das Klettern auf Kriegsdenkmäler werden dabei ins Visier genommen. Diese Änderungen gehen noch auf ein geplantes Gesetz der Conservative Party zurück, das vor der Wahl im Parlament gescheitert war.

Die Änderung zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen stellt einen wichtigen Fortschritt für Frauenrechte im Vereinigten Königreich dar. Gleichzeitig ist dieser Fortschritt jedoch leider eingebettet in staatliche Angriffe auf die arbeitende Klasse und progressive politische Kräfte.

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