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Weder Tel Aviv noch Teheran

Ende letzter Woche griff Israel den Iran an. Jetzt befinden sich beide Länder im Krieg. Über Hintergründe und Perspektiven in Westasien und auf welche Seite man sich stellen sollte. – Ein Kommentar von Julius Strupp.

Es herrscht Krieg in Westasien. Vergangenen Freitagmorgen griff Israel gezielt Personen der iranischen Militärführung und Physiker des iranischen Nuklearprogramms an. Seitdem traktieren beide Seiten einander mit Raketen, die auch in Wohngebieten einschlagen.

Eskalation in Westasien: Israel führt Militärschlag gegen Iran aus

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Teheran von Montagmorgen hat es seit Beginn der Angriffe 224 Tote und etwa 1.300 Verletzte auf iranischer Seite gegeben. Dazu gehören etwa der Generalstabschef Mohammed Bagheri, der Kommandeur der Revolutionsgarden Hussein Salami, sowie sieben Nuklearwissenschaftler (Stand Freitag). Auf israelischer Seite waren am Sonntagnachmittag mindestens 13 Tote zu verzeichnen.

Israel will freie Fahrt in Westasien

Seit der Militäroperation des palästinensischen Widerstands am 7. Oktober hat Israel mehrere Kriegsfronten eröffnet: in Gaza gegen die Hamas (Völkermord am palästinensischen Volk inklusive), im Libanon gegen die Hisbollah, im Jemen gegen die Huthis, und in Syrien hat die IDF die Pufferzone auf den Golanhöhen militärisch besetzt. Nun hat Israel auch den Iran direkt angegriffen.

War vor wenigen Wochen noch erklärt worden, wieso man dutzende Palästinenser:innen ermorden musste, um vorgeblich einen Hamas-Funktionär zu töten, wurden iranische Militärs nun per Drohne im eigenen Schlafzimmer gezielt getötet.

Offiziell geht es der Netanjahu-Regierung dabei darum, dass iranische Nuklearprogramm zu beenden, bevor das Land in die Lage komme, eigene Atombomben herzustellen. Das Regime in Teheran wiederum bestreitet, dass das Programm einen zivilen Rahmen sprengen würde. Israel seinerseits gibt ebenfalls nicht zu, im Besitz eigener Atomwaffen zu sein. Neben der Ausschaltung des Atomprogramms verfolgt Israel zudem das Ziel, die Militärführung des Iran weitestgehend zu liquidieren sowie dessen ballistisches Raketenprogramm zu beenden. Damit will es den größten Kontrahenten in der Region niederringen.

Angriffe wie diese sind nicht möglich, ohne grünes Licht von den USA zu bekommen. Zu groß ist deren Macht gegenüber Israel, zu wichtig ist ihnen der Kampf gegen den Iran. Den Angriffen waren deshalb Verhandlungen zwischen Washington und Teheran über das Nuklearprogramm voraus gegangen. Diese hatten Mitte April begonnen. Die Idee: Der Iran schränkt sein Atomprogramm ein, die USA und ihre Verbündeten heben im Gegenzug ihre Sanktionen teilweise auf. Das Problem: Auf die Möglichkeit, Uran anzureichern, wollte der Iran nicht verzichten.

Iran und USA: Droht der Krieg?

Zugleich sollen die USA gegenüber Israel auch auf die Bremse getreten sein: So wird aus Kreisen des Weißen Hauses kolportiert, US-Präsident Donald Trump habe Pläne gestoppt, den geistigen Führer des Iran, Ali, zu töten. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu betonte am Montag beim amerikanischen Fernsehsender ABC News hingegen weiterhin, dass Chameneis Tötung „den Konflikt beenden“ würde.

Dabei sollten bereits die erfolgreichen Tötungen ranghoher iranischer Militärs und Nuklearwissenschaftler den Iran geschwächt haben. Als Israels bedeutendster regionaler Kontrahent hat das autoritäre iranische Regime in der Vergangenheit immer wieder Staaten und Organisationen gefördert, mit denen sich Israel im Konflikt befunden hat – so etwa die Hamas und andere palästinensische Widerstandsorganisationen, die Hisbollah, die Huthis aus dem Jemen oder das im letzten Jahr gestürzte syrische Assad-Regime. „Wir verändern gerade das Gesicht des Nahen Ostens“, so der israelische Premier Netanjahu am Montag über die eigenen Pläne.

Israels militärische Expansion – Errichtung eines „Großisraels“?

Der Iran am Boden?

Hintergrund des israelischen Angriffs dürfte nicht zuletzt die Situation des Regimes in Teheran sein. Dessen Machtposition in der Region ist nämlich in den letzten Monaten mehr und mehr gebröckelt.

In einem Podcast von table.media fasst der ehemalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel es so zusammen: Alle Verbündeten Teherans würden „am Boden liegen“ – die Hamas, die Hisbollah und das syrische Assad-Regime. So erklärt der inzwischen als Lobbyist tätige Sozialdemokrat auch die iranische Verhandlungsbereitschaft mit den USA.

So wird auch verständlich, dass die iranische Seite betont, die Angriffe einstellen zu wollen, sobald die israelische Aggression ende. Doch Israel verbleibt bei seiner martialischen Rhetorik in Richtung der iranischer Führung: „Wir löschen sie aus, einen nach dem anderen“, so Netanjahu, für den es keinen anderen Weg als die Flucht nach vorne zu geben scheint.

Deutsche Politiker:innen geben sich derweil pflichtbewusst besorgt über die Entwicklungen in Westasien. Zugleich wurde hierzulande aber erwartungsgemäß auch Israels Recht auf Aggressionen gegenüber anderen Ländern unterstrichen.: Israel habe das Recht, „seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen“, so Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vor seinem Flug zum G7-Gipfel nach Kanada. Eine solche Bedrohung sei auch das iranische Nuklearprogramm. „Es wäre eine Bedrohung für Israel, den Nahen Osten und die internationale Gemeinschaft insgesamt“, so Merz über die potentielle Existenz iranischer Atomwaffen.

Kurios: Der selbe Mann sagt nicht nur kein Wort zu den israelischen Atomwaffen, sondern hatte vor wenigen Monaten im Wahlkampf noch eine nukleare Teilhabe des eigenen Lands gefordert. Sind das etwa keine Bedrohungen?

Auf wessen Seite stellen?

Die Zeichen stehen derweil auf weiterer Eskalation. Standen am Anfang gezielte israelische Angriffe auf den iranischen Militärapparat im Vordergrund, werden jetzt gegenseitig nicht nur militärische Ziele, sondern auch kritische Infrastruktur, Fernsehsender – und damit Wohnviertel, in denen sich diese befinden – unter Beschuss genommen. Mit weiterer Eskalation wird dieser Krieg vermutlich mehr und mehr zivile Opfer fordern. Es ist wie so oft die einfache Bevölkerung, welche die „Spiele” der Mächtigen zu bezahlen hat. Offen ist zudem, ob und inwiefern die USA in den Krieg einsteigen werden.

Es steht außer Frage, dass Israel als Aggressor auftritt. Im ohnehin schon kriegsgeschundenen Westasien will Netanjahus Regierung ihre regionale Machtposition durch Völkermord und Krieg noch weiter ausbauen. Daran ändert auch die euphemistische Rhetorik von einem „Präventivschlag“ oder die durch Israel verbreitete massive nukleare Bedrohung nichts.

Es ändert aber ebenfalls nichts daran, dass auch der iranische Staat nicht unsere Sympathie verdient. Die islamisch-fundamentalistische Regierung in Teheran kann ebenso wenig eine Kraft des Friedens in der Region sein wie das Netanjahu-Regime. Sie ist bekannt für ihre polizeistaatlichen Methoden, ihr brutales Vorgehen gegen die Selbstbestimmung von Frauen und die Arbeiter:innenbewegung. Und Irans Nuklearprogramm diente gleichermaßen dem Zweck, die eigene Position als regionale Macht auszubauen und zu stärken.

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Am Ende würde es sowohl dem iranischen als auch dem israelischen Volk nur helfen, ihre jeweiligen reaktionären Regime in die Knie zu zwingen. Die Perspektive eines dauerhaften Friedens liegt allein im Kampf der Völker gegen die Kriegstreiber. Der Aufstand im Iran 2022 war ein leuchtendes Beispiel dafür, welche Potentiale es dafür gibt. Als Kriegsgegner:innen in Deutschland müssen wir diesen Widerstand unterstützen.

Julius Strupp
Julius Strupp
Autor bei Perspektive seit 2019, Redakteur seit 2022. Studiert in Berlin und schreibt gegen den deutschen Militarismus. Eishockey-Fan und Hundeliebhaber. Motto: "Für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt."

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