Zeitung für Solidarität und Widerstand

26 Jahre nach Mord an Erol Ispir: „Wir wollen, dass unsere Nachbarschaften von diesen Faschist:innen befreit werden“

Am 1. Juli 1999 wurde Erol Ispir in Köln-Kalk von türkischen Faschisten erstochen. 26 Jahre nach seinem Tod spricht die Initiative „Gerechtigkeit für Erol Ispir“ mit uns über die Frage, warum der Kampf gegen die faschistischen Grauen Wölfe ein aktueller Kampf bleibt.

Wer waren Erols Mörder? Wie hat der Staat auf den Mord reagiert?

Die beiden Mörder standen eindeutig in Verbindung mit den faschistischen „Grauen Wölfen“, wie später sogar das deutsche Gericht feststellte. Sie waren also der verlängerte Arm des türkischen Faschismus in Europa, dessen Ziel es ist, Revolutionäre und Kurden zu verfolgen.

„Die faschistischen Täter wurden nie bestraft. Wir fordern Gerechtigkeit für den Mord an Erol Ispir!“

Der deutsche Staat verfolgte im Allgemeinen eine Politik der Straflosigkeit. Die Mörder flohen unmittelbar nach der Tat in die Türkei. Gegen einen von ihnen wurde ein Verfahren eingeleitet, das jedoch 2003 mit einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten eingestellt wurde. Der Fall wurde nicht einmal als „organisierte politische Handlung” eingestuft, also schützte die deutsche Justiz die Mörder faktisch.

Wie war die politische Lage zur Zeit des Mordes an Erol Ispir?

Vor allem in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, entwickelte sich die kurdische Befreiungsbewegung und die Revolution in Kurdistan selbst mit dem Gerillakrieg, aber auch mit den so genannten „Serhildans“ (Aufständen). In eben diesen „Serhildans” begannen Arbeiter:innen, Jugendliche und Frauen damit, sich in Bewegung zu setzten, wie beim Gazi-Aufstand in Istanbul. Es war eine Zeit, in der Kommunist:innen und Revolutionär:innen den Kampf auf neuen Ebenen vorantrieben.

Es war auch die Zeit des „schmutzigen Krieges“, in der Massaker und geplante politische Morde an Kurd:innen und Revolutionär:innen häufig waren. Die politischen Kämpfe und Entwicklungen in der Türkei und Kurdistan haben sich immer auch in Europa unter den Menschen aus der Region widergespiegelt. Und die Zeit, in der Erol Ispir ermordet wurde, war keine Ausnahme. Besonders nach der Gefangennahme von Abdullah Öcalan, erreichten die Kämpfe und Auseinandersetzungen zwischen türkischen Faschist:innen und Revolutionär:innen und Kurd:innen ein hohes Niveau.

Wie schätzt ihr die türkische faschistische Bewegung heute ein? Wie hat sie sich seit Erols Mord entwickelt?

Heute werden die so genannten „Grauen Wölfe“ als eine der größten faschistischen Gruppen in Deutschland angesehen. Wir wissen, dass die Einzigen, die im Laufe der Jahre etwas gegen diese Faschist:innen unternommen haben, Revolutionär:innen waren. Der deutsche Staat verfolgt hier eine Politik der Straflosigkeit und der Tatenlosigkeit. Einige Erklärungen darüber, „wie besorgniserregend die Grauen Wölfe sind“, oder ein paar Verfassungsschutzberichte, ändern nichts an der Tatsache, dass die Faschist:innen sich immer noch in unseren Städten und Stadtteilen organisieren – vor den Augen der staatlichen Institutionen.

Wer sind die „Grauen Wölfe”?

Heute ist die türkische faschistische Bewegung in Vereinen, in Moscheen, in Cafés usw. organisiert. In den letzten Jahren haben sie neue Mittel ausprobiert. Am bekanntesten ist vielleicht die DAVA-Partei, mit der sie versucht haben, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und den Kommunalwahlen, Ergebnisse zu erzielen.

Wir sehen auch, dass sie bereit sind, gewaltsame Angriffe zu verüben, wie letztes Jahr in Belgien, wo türkische Faschist:innen Kurd:innen nach dem Newroz-Fest angegriffen haben. Aber dieses Beispiel hat uns auch gezeigt, wie man sich gegen sie wehren kann – genau wie in Belgien, wo Hunderte von Kurd:innen nach Belgien gingen, ein Beispiel der Selbstverteidigung praktizierten und diese Faschist:innen legitim und militant zurückdrängten.

Verbindet ihr die Trauer um Erol auch mit dem Kampf gegen die Repression der politischen Gefangenen in der Türkei?

Natürlich sehen wir den Kampf der politischen Gefangenen nicht isoliert von allen anderen politischen gesellschaftlichen Kämpfen. Heute sitzen Revolutionär:innen in der Türkei und in Nordkurdistan im Gefängnis, weil sie Faschist:innen bekämpft haben, wie diejenigen, die Erol Ispir ermordet haben. Sie sind in Isolation, weil sie an eine gerechte Welt und ein besseres Leben geglaubt und dafür gekämpft haben – genau wie Erol Ipsir.

Deshalb ist die Solidarität mit politischen Gefangenen und der Kampf gegen die Isolationspolitik die Aufgabe von allen Revolutionär:innen, von allen Sozialist:innen, von allen fortschrittlichen Menschen. Wir glauben, dass diese Pflicht auf viele Arten erfüllt werden kann: durch Solidaritäts-Hungerstreiks, die Teilnahme an Demonstrationen oder auch das Schreiben von Briefen an Gefangene.

Welche Forderungen verknüpft ihr mit eurem Protest? Wie kann man aktiv werden?

26 Jahre nach dem Mord an unserem Genossen Erol Ispir, fordern wir immer noch Gerechtigkeit. Wir wissen, dass die deutsche Justiz keinen gerechten Prozess geführt hat. Wir wissen, dass lediglich die politisch organisierte Seite des Mordes abgedeckt wurde. Wir wissen, dass die Mörder nicht verurteilt wurden. Wir wollen, dass unsere Nachbarschaften von diesen Faschist:innen befreit werden. Wir wollen, dass die Namen derer, die von Faschist:innen ermordet wurden, nicht vergessen werden.

Deshalb rufen wir erneut alle auf, sich unserer Demonstration am 5. Juli in der Kalk Kapelle und nach dem Straßenfest auf dem Kalker Markt anzuschließen!

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