Nach Massakern in Syrien eskaliert auch in Deutschland die Lage: In Düsseldorf kam es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen syrischen Exil-Gruppen. Der Hintergrund: Ein wieder aufflammender Bürgerkrieg in Syrien, bei dem religiöse Minderheiten wie die Drus:innen erneut zwischen die Fronten geraten.
Berichten der Polizei zufolge kam es am Sonntagabend in Düsseldorf vor dem Hauptbahnhof zu einer großen Schlägerei, an der mehrere hundert Menschen beteiligt waren. Zuvor hatte in Düsseldorf offenbar nacheinander sowohl eine Demonstration von Anhängern der islamistischen HTS-Regierung stattgefunden, als auch eine von kurdischen und drusischen Demonstrant:innen. Der Zentrale Menschenrechtsrat der Kurd:innen spricht von „Angriffen einer Personengruppe, die der islamistischen Szene zugehörig ist“, auf die gemeinsame Demonstration der Kurd:innen und Drus:innen.
Hintergrund sind offenbar die bewaffneten Kämpfe in einer südlichen Region Syriens, die in der letzten Woche aufgeflammt waren. Dort waren laut Medienberichten mindestens 500 Menschen bei Kämpfen zwischen der dort lebenden drusischen Minderheit und Beduinen sowie der staatlichen syrischen Armee getötet worden.
Am Samstagabend kam es in Berlin Presseberichten zufolge zu einer vergleichbaren, wenn auch kleineren Auseinandersetzung nach einer kurdischen Demonstration. Und auch in Wien, wo schon am vergangenen Donnerstag eine Gedenkaktion für die getöteten Drus:innen organisiert worden war, sei es zu Bedrohungen gekommen, wie das rechte Medienportal exxpress berichtete.
Von rassistischen und faschistischen politischen Kräfte werden diese Ereignisse nun schnell genutzt, um unterschiedslos Abschiebungen für alle Syrer:innen zu fordern, die sich erdreisten, den „syrischen Bürgerkrieg“ auf deutschen Straßen auszutragen. Es lohnt sich aber genauer hinzuschauen.
Flammt der syrische Bürgerkrieg wieder auf?
Die islamistische HTS-Fraktion hatte im syrischen Bürgerkrieg das Land innerhalb weniger Wochen erobert und mit der Eroberung der Hauptstadt Damaskus schließlich das zuvor herrschende Assad-Regime vernichtend geschlagen. Auch wenn die Armee der alten Regierung nur in wenigen Fällen überhaupt zu Kämpfen für ihren Machthaber bereit war, ist dieser Erfolg nicht auf Dauer mit einer gesicherten Herrschaft gleichzusetzen.
In Syrien leben zahlreiche ethnische und religiöse Minderheiten. Die Spaltungslinien zwischen diesen hatten schon im gesamten Bürgerkrieg immer wieder eine zentrale Rolle gespielt und waren unter anderem vom IS als Rechtfertigung für besonders brutale Massaker herangezogen worden. Vor den nun im drusischen Siedlungsgebiet ausgebrochenen Kämpfen und Massakern war es im März bereits zu ähnlichen Dynamiken gekommen, vor allem in der von Alawit:innen besiedelten Region um Latakia.
Massaker an Alawit:innen: Wie konfessionelle Spaltung Syrien weiter zerreißt
Aus Sicht der kurdischen Bewegung ist es nur logisch, dass sie als Vertreterin der Minderheit in der momentan wohl besten Position innerhalb Syriens nicht abwarten will, bis der religiös oder rassistisch motivierte Hass auch wieder instrumentalisiert wird, um ihre Stellung in der syrischen Gesellschaft anzugreifen. Stattdessen sucht sie schon jetzt den Schulterschluss zu anderen, von Massakern bedrohten Minderheiten wie den Drusen. So hatten die Frauenselbstverteidigungseinheiten YPJ beispielsweise in einer Erklärung zugesichert, sich an der Selbstverteidigung der Drus:innen zu beteiligen.
Die Drus:innen als Spielball reaktionärer Politik
Jedoch erhalten die Drus:innen nicht nur von dieser Seite Unterstützung: Auch Israel hatte sich mit Luftangriffen in den Konflikt eingemischt und ihn als Vorwand für weitgehende Angriffe auf Stellungen der syrischen Armee im Süden des Landes genommen.
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hatte diese Angriffe damit gerechtfertigt, dass Israel zwei klare rote Linien gegenüber der neuen syrischen Regierung gezogen hätte: Das gesamte Gebiet südlich von Damaskus solle „demilitarisiert“ werden und Angriffe auf die Drus:innen in dieser Region würden nicht toleriert werden.
So schlagkräftig Israel militärisch zweifelsohne ist – für eine dauerhafte Bekämpfung derartiger reaktionärer Gewalt und Massaker ist sein Eingreifen keine Hilfe. Ganz im Gegenteil: Israel ist in der ganzen Region verhasst, durch den andauernden Völkermord in Gaza nur umso mehr.
So werden die Drus:innen hier zum Spielball zweier reaktionärer Kräfte: nämlich einerseits des Staats Israel, der sie mittels „humanitärer“ Rechtfertigung für seine permanenten Angriffe auf syrisches Territorium missbraucht, und andererseits der neuen syrischen Regierung sowie anderer rückschrittlicher politischer Kräfte, welche die Drus:innen nun schlicht als „zionistische Agent:innen“ diffamieren können.
Und die deutsche Regierung? Sie sucht die Nähe zu beiden dieser rückschrittlichen Seiten, die um die Gestaltung des neuen Syriens konkurrieren. Dass Israel von Deutschland militärisch und politisch auf jede erdenkliche Weise unterstützt wird, verkündet die Bundesregierung ja selbst immer wieder voller Stolz. Doch auch die Annäherung zur neuen syrischen HTS-Regierung suchte schon die letzte Bundesregierung – insbesondere, weil diese, anders als das vorherige Assad-Regime, keine besondere Freundschaft zu den aus deutscher Sicht großen Schurkenstaaten Russland und Iran hat.

