Der Prozess zum VW-Abgasskandal gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn wurde eingestellt. Der hundertfache Millionär soll aufgrund einer Verletzung prozessunfähig sein. Besonders milde oder keine Urteile sind zu häufig das Ergebnis bei Wirtschaftskriminalität. – Ein Kommentar von Aziza Mounir.
Der Prozess gegen den Ex-Konzernchef von VW, Martin Winterkorn, hätte eigentlich schon im September 2021 stattfinden sollen. Aus gesundheitlichen Gründen wurde sein Verfahren damals schon von den restlichen Verfahren abgetrennt und verschoben. Zum 1. Juli 2025 ist das Verfahren am Braunschweiger Landgericht nun eingestellt worden. Grund dafür ist nach wie vor sein gesundheitlicher Zustand. Er sei verhandlungsunfähig.
Verhandlungsunfähiger Millionär
Anfang September 2024 startete damals der Prozess gegen Winterkorn. Die Vorwürfe: gewerbsmäßiger Betrug, Marktmanipulation und uneidliche Falschaussage. Dem widersprach Winterkorn, er sah seine erfolgreiche Karriere durch die Dieselaffäre beschädigt. Nach nur wenigen Tagen wurde die Hauptverhandlung unterbrochen: Grund dafür war ein Unfall – Winterkorn hatte sich laut Medienberichten bei einem Sturz in der Dusche den rechten Oberschenkel gebrochen.
Das Gericht und Sachverständige prüften fortlaufend den Gesundheitszustand des Angeklagten. Es wäre jedoch unklar, wann das Verfahren fortgesetzt werden könne. Dabei war höchst fraglich, ob es überhaupt fortgesetzt wird. Der Grund weiterhin: der gebrochene Oberschenkel. Mehr Informationen und konkrete Einzelheiten zu seinem Gesundheitszustand werden der Öffentlichkeit jedoch nicht mitgeteilt.
Im Mai 2025 waren bereits Urteile gegen vier weitere Angeklagte gefällt worden: Der frühere Leiter der Antriebselektronik soll für zwei Jahre und sieben Monate in Haft. Sein Verteidiger kündigte bereits an, Einspruch gegen das Urteil einzulegen. Ein ehemaliger Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung muss für viereinhalb Jahre ins Gefängnis. Zwei weiteren Angeklagten wurden Haftstrafen auf Bewährung ausgesprochen.
Winterkorn war hauptverantwortlicher Manager bei VW und gilt als Schlüsselfigur im Dieselskandal. Sein Konzern hatte 2015 gegenüber der US-Umweltbehörde EPA zugegeben, Dieselabgaswerte durch eine Software manipuliert zu haben. Die Stickoxid-Grenzwerte, die auf der Straße ausgestoßen wurden, waren um ein Vielfaches höher als die Werte auf dem Prüfstand – daher die Vorwürfe des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs, uneidlicher Falschaussage und Marktmanipulation.
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Die Einstellung von Winterkorns Prozess erinnert an den eingestellten Cum-Ex-Prozess von Christian Olearius. Dieser wurde ebenfalls im Jahr 2024 aus gesundheitlichen Gründen – konkret Bluthochdruck – eingestellt. Im Cum-Ex-Skandal sind dem deutschen Staat Schäden in dreistelliger Millionenhöhe entstanden, weil die Angeklagten sich die Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten ließen.
Die ehemalige Oberstaatsanwältin und Ermittlerin im Cum-Ex-Prozess, Anne Brorhilker, beschreibt gegenüber der Zeit, dass es bei Wirtschaftskriminalität „starke strukturelle Defizite [gibt], die es erschweren, die Täter zu überführen“. Brorhilker führt weiter aus: „Es wird zwar immer gesagt, vor dem Gesetz sind alle gleich, aber ich habe festgestellt: In Fällen, in denen es schwieriger, komplizierter und langwieriger wird, da kapituliert der Staat häufig.“
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Wenn der Staat will, verfolgt er Straftaten
Es ist hingegen auffällig, dass der deutsche Staat durchaus auch schwierige und komplizierte Verfahren und Ermittlungen mit Biss verfolgt. So wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um Antifaschist:innen im Budapest-Komplex zu verfolgen und die antifaschistische Person Maja in größter Eile nach Ungarn auszuliefern – ohne überhaupt das Urteil des Bundesgerichtshofs abzuwarten.
Die Ungleichheit verschiedener Menschen vor dem Gesetz wird noch einmal deutlich bei der Betrachtung von sozialen Gefangenen: Rund zehn Prozent aller Häftlinge in Deutschland sitzen ein, weil sie eine verhängte Geldstrafe nicht bezahlt haben. Die Kosten der Inhaftierung sind dabei oft höher als der verursachte Schaden. Das kann man sowohl beim VW-Abgasskandal als auch bei den Cum-Ex-Prozessen nicht behaupten.