Ein städtisches Verbot gegen Sellners erneute Lesung in Augsburg am 1. Juli konnte die rechte Identitäre Bewegung (IB) kurzerhand umgehen. Antifaschistische Aktionen trotzten derweil sowohl Hitze als auch Repression.
Der rechte österreichische Buchautor Martin Sellner hatte in Augsburg für den 1. Juli eine Lesung aus seinem Buch „Remigration – ein Vorschlag“ angekündigt. Die Stadt hatte ihm daraufhin für diesen Tag ein Betretungsverbot erteilt. Martin Sellner hatte wiederum angekündigt, trotz des Verbotes Augsburg besuchen zu wollen. Das war der Ausgangspunkt für ein Katz- und Mausspiel, das die Stadt gestern verloren hat, so die Augsburger Allgemeine Zeitung.
Im Rahmen seiner Vortragsreihe war der rechte Vordenker und Kopf der Identitären Bewegung bereits im Dezember in der Stadt gewesen. Damals entschied er sich, die Lesung aufgrund eines von der Stadt ausgesprochenen Betretungsverbots in einem fahrenden Reisebus abzuhalten. Dagegen hatten sich in der Innenstadt trotz Minusgraden ca. 1.000 protestierende Antifaschist:innen versammelt.
Nur ein halbes Jahr später sollte am Dienstag wieder eine Lesung in Augsburg stattfinden. Statt eisiger Kälte wartete nun der bisher heißeste Tag des Jahres auf Sellner sowie seine Gegner:innen. Das generelle Einreiseverbot gegen Sellner war nicht lange von Bestand.
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Die Stadt Augsburg hatte erneut ein Betretungsverbot ausgesprochen, und die CSU-Oberbürgermeisterin Eva Weber schwang antifaschistische Phrasen, als hätte sie vergessen, dass ihre eigenen Parteimitglieder bei dem „Geheimtreffen“ mit Sellner Ende 2023 in Potsdam dabei gewesen waren. Mit dem Wissen, dass dieser heuchlerische Antifaschismus nicht ausreicht, hatten verschiedene linke Gruppen für eine Großdemonstration um 18 Uhr in der Innenstadt aufgerufen.
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Bereits zur Mittagszeit postete der rechte Ideologe Videos, die ihn an verschiedenen Orten in Augsburg zeigten, auch gemeinsam mit dem aus Augsburg stammenden Bundessprecher der Identitären Bewegung in Deutschland, Maximilian Märkl. Ob diese Videos an dem Tag selbst aufgenommen wurden und Sellner sich somit über das Betretungsverbot hinweggesetzt hat, bleibt unklar.
Sicher ist, dass sich gegen 16 Uhr auf dem P+R Parkplatz in Augsburg Oberhausen rund 40 Personen, darunter Neonazis der Identitären Bewegung und Vortragsinteressierte AfD-Anhänger:innen, versammelt hatten und auf einen Shuttle-Service zur Lesung warteten. Dabei wurden sie von einem spontanen Gegenprotest von ungefähr 30 Antifaschist:innen gestört, die deutlich machten, dass die Versammlung der Rechten nicht unbeantwortet bleibt und die Abfahrt der Teilnehmenden somit verzögern konnten.
Die Augsburger Polizei ließ jedoch nicht lange auf sich warten und ging gewalttätig gegen die Antifaschist:innen vor. Während die Neonazis somit ungehindert ihre Vortragsanreise fortsetzen konnten, wurden die Antifaschist:innen ab 16:30 Uhr für knapp 4 Stunden bei Temperaturen über 30 Grad in einem Kessel festgehalten. Die Augsburger Polizei, die für ihre besonders scharfe und absurde Repression bekannt ist, schikanierte die Demonstrant:innen unter dem Vorwand der Strafverfolgung und verhinderte bewusst, dass sich die Antifaschist:innen der angekündigten Großdemonstration anschließen konnten.
Auch als nach 2 Stunden die erste Person kollabierte und ein Krankenwagen gerufen werden musste, behauptete die Polizei weiterhin, dass sie mit der Strafverfolgung beschäftigt sei, setzte den Kessel unbeeindruckt fort und kündigte an, dass man gerade prüfe, wie viele Personen zur erkennungsdienstlichen Behandlung mitgenommen werden sollen. Nach 20 Uhr wurde die Maßnahme dann abrupt für beendet erklärt.
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Bewaffnete Neonazis in der Innenstadt und kämpferische Großdemonstration
Inzwischen veröffentlichte Sellner auf seinem X-Account Videos, die ihn mit Bierbänken im Roten Tor Park zeigten und in welchen er behauptete, dass hier gleich die Lesung stattfinden sollte. Als weitere Antifaschist:innen im Park eintrafen, stießen sie dort zwar nicht auf Sellner, jedoch auf mehrere bewaffnete Neonazis der Identitären Bewegung mitten in der Innenstadt von Augsburg. Ein spontaner Gegenprotest von ca. 20 Personen wurde auch hier von der Polizei gekesselt.
Gegen 18 Uhr versammelten sich dann trotz kurzfristiger Mobilisierung, Rekordhitze und etlicher Antifaschist:innen in Polizeimaßnahmen dennoch 250 Leute auf dem Königsplatz und demonstrierten erneut lautstark in der Augsburger Innenstadt. Auf der Demonstration wurde zum einen deutlich gemacht, dass im Kampf gegen den Faschismus auf den Staat kein Verlass ist. Die harte Polizeirepression an diesem Tag wurde durch die Moderation besonders scharf verurteilt.
Zum anderen wurde sich ebenfalls mit der in Ungarn inhaftierten Maja T. solidarisiert. Maja befindet sich seit vier Wochen im Hungerstreik gegen die menschenfeindlichen Haftbedingungen in Isolationshaft und wurde Anfang der Woche ins Krankenhaus eingeliefert.
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Breiter und konsequenter antifaschistischer Auftritt mit Kampfansage an Faschist:innen und Staatsgewalt
Auch wenn die Lesung von Martin Sellner vermutlich irgendwo in Augsburg stattgefunden hat, konnte am Dienstag ein deutliches Zeichen gesetzt werden, dass die antifaschistische Bewegung in der bayrischen Stadt bereit ist, entschlossen und konsequent gegen Faschist:innen aufzutreten. Weder das Betretungsverbot der Lokalpolitik noch die Polizei konnten oder wollten den Auftritt des Faschisten verhindern.
Dass es möglich ist, den Faschist:innen direkt gegenüberzutreten und gleichzeitig große Menschenmengen dagegen auf die Straße zu bringen, wurde hingegen an mehreren Orten gezeigt. Die Repression der Polizei gegenüber den Demonstrant:innen hat deutlich gemacht, dass der Staat trotz antifaschistischer Phrasendrescherei die Neonazis schützt, wenn es hart auf hart kommt. Er versucht sogar, antifaschistische Praxis aktiv zu verhindern. Und dennoch: Man ist standhaft geblieben und hat unter Hitze und Mühen ein wichtiges Zeichen gesetzt. Ob Sellner unter diesen Voraussetzungen in nächster Zeit erneut nach Augsburg kommt, bleibt abzuwarten.
Insgesamt konnte somit am 1. Juli ein erfolgreicher Tag des antifaschistischen Kampfes in Augsburg beendet werden. Der Kampf geht jedoch weiter, sowohl gegen die Repressionen des Staates als auch gegen die Faschist:innen um Martin Sellner und die Identitäre Bewegung. Heute soll eine Lesung in Dresden stattfinden, Störaktionen sind geplant.
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