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„Eine politische Motivation“: Zwei Anklagen im Budapest-Komplex wegen versuchten Mordes

Der deutsche Staat stellt selbst Ungarn in den Schatten, wenn es um die Härte des Strafmaßes gegen Antifaschist:innen geht. Neben dem obligatorischen Paragrafen 129a und dem Vorwurf der „schweren Körperverletzung“ wird zwei Angeklagten sogar versuchter Mord unterstellt. Die Verteidiger:innen haben sich nun an die Öffentlichkeit gewandt und werfen dem Generalbundesanwalt vor, einen politischen Prozess zu führen.

Im Rahmen des Budapest-Komplexes wurden am 17. Juni diesen Jahres sechs weitere Antifaschist:innen durch den Generalbundesanwalt am Oberlandesgericht (OLG) in Düsseldorf angeklagt. Die Angeklagten hatten sich Anfang des Jahres – trotz einer drohenden Auslieferung nach Ungarn – freiwillig den Strafverfolgungsbehörden gestellt.

Doch neben dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung – dessen bisher alle Angeklagten des Budapest-Verfahrens bezichtigt wurden – wird zwei Angeklagten gar versuchter Mord unterstellt. Zusätzlich wird ihnen im Rahmen des bekannten § 129a vorgeworfen, Teil einer linksextremen kriminellen Vereinigung zu sein.

Alle Angeklagten des Budapest-Komplexes werden verdächtigt, im Februar 2023 in der ungarischen Hauptstadt Faschist:innen angegriffen zu haben. Die organisierten Rechtsextremist:innen, die angeblich angegriffen wurden, waren Teil des jährlich stattfindenden „Tags der Ehre“ in Budapest. Offiziell ein „historischer Spaziergang” – tatsächlich aber nehmen sich an diesem Tag Faschist:innen in SS-Montur die Straße und tragen ihre faschistische Ideologie offen zur Schau. Und das Ganze, ohne dass der ungarische Staat eingreift.

Politische Hetzjagd statt Rechtsstaat: die Fälle Lina E. und Maja T.

Im Mai 2023 wurden vier mutmaßliche Mitglieder einer Gruppe in Dresden verurteilt, die ebenfalls mit dem Budapest-Komplex in Verbindung gebracht werden: Lina E. wurde im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren unterstellt, sie habe eine „hervorgehobene Stellung“ innerhalb der Gruppe eingenommen. Ihr wurden ebenfalls Angriffe auf Faschist:innen zur Last gelegt.

§ 129 – Kriminalisierung von linkem Widerstand, auch im Fall von Lina E. und der „Letzten Generation“

Nach einem Prozess von fast 100 Verhandlungstagen wurde Lina E. zu einer Strafe von fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die drei Mitangeklagten bekamen ebenfalls mehrjährige Freiheitsstrafen. Auch in diesem Prozess spielte der § 129a eine zentrale Rolle.

Die Verurteilung stand damals auf wackligen Beinen. Teils befangene Zeug:innenaussagen und Fehler in der Ermittlung führten dazu, dass selbst die Generalstaatsanwaltschaft in dem Verfahren „nicht den einen erdrückenden Beweis“ feststellen konnte. Stattdessen befand sie die „Gesamtschau“ der Geschehnisse als ausreichend für eine Verurteilung. Die rechtsstaatlichen Standards wurden in diesem Fall eindeutig unterschritten. Man kann also von einem politischen Prozess sprechen.

Auch der Prozess der nichtbinären Antifaschist:in Maja T. in Ungarn wird politisch geführt. Maja wurde der Prozess vorsätzlich erschwert: mangelnde Einsicht in die Akten und keine Übersetzung der Unterlagen ins Deutsche. Seit fast einem Jahr befindet sich Maja nun in Isolationshaft unter menschenunwürdigen Bedingungen, nachdem der deutsche Staat Maja in einer Nacht- und Nebel-Aktion rechtswidrig an Ungarn auslieferte.

Gegen die Haftbedingungen, die als Folter beschrieben werden können, ist Maja seit dem 5. Juni im Hungerstreik. Vor wenigen Tagen wurde Maja in ein Haftkrankenhaus verlegt, da der gesundheitliche Zustand immer kritischer wurde.

Trotz des Hungerstreiks wurde fortwährend unterstellt, Maja sei verhandlungsfähig – allerdings ohne den Gesundheitszustand angemessen zu überprüfen. Obwohl der nichtbinären Antifaschist:in kein versuchter Mord vorgeworfen wird, muss Maja mit einem Strafmaß von bis zu 24 Jahren rechnen.

Hungerstreik mit Erfolgen und Folgen: Antifaschist:in Maja wird in Haftkrankenhaus verlegt

Kein fairer Prozess – weder in Ungarn noch in Deutschland

Die Verteidiger:innen der Angeklagten in Deutschland wandten sich nun in einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit. Darin üben die Verteidiger:innen scharfe Kritik an der Bundesanwaltschaft. Im Zentrum der Kritik steht der Vorwurf des versuchten Mordes.

Die Verteidiger:innen schreiben, dass „selbst die drakonische, politisch agierende ungarische Justiz“ bei den Taten keinen Tötungsvorsatz gesehen habe. Zudem würde der Generalbundesanwalt bewusst die rechtliche Einschätzung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ignorieren. Dieser hatte den „Erlass von Haftbefehlen wegen eines versuchten Tötungsdelikts abgelehnt, da kein dringender Tatverdacht für einen Tötungsvorsatz bestehe“.

Aufgrund dieser Einschätzung befindet sich auch keiner der jetzt Angeklagten in Untersuchungshaft im Zusammenhang mit dem Vorwurf eines versuchten Tötungsdelikts. Da der Generalbundesanwalt dennoch weiter darauf besteht, dass in diesem Fall ein Tötungsvorsatz bestehen würde, befürchten die Verteidiger:innen, dass dem eine politische Motivation zugrunde liegen könnte.

Die Verteidiger:innen beziehen sich auf den gesellschaftlichen Rechtsruck in Deutschland, um diese Befangenheit des Generalbundesanwalts zu begründen. Denn auf lokaler Ebene erreiche die AfD Wahlergebnisse bis zu 40 Prozent, und militante Neonazis würden an Stärke gewinnen.

Die vorgeworfenen Taten der Angeklagten haben einen örtlichen Bezug zu Thüringen. Dass der Prozess am OLG Düsseldorf und nicht in Jena stattfinden soll, ist für die Verteidiger:innen kein Zufall oder Versehen, sondern beabsichtigt. Denn ein Bezug zu NRW bestehe in diesem Fall nicht. Für sie sei dies durch zwei Faktoren zu erklären:

Zum einen seien rechte Übergriffe in Jena und Umgebung Alltag. Daher „würde sich die Frage der Legitimität einer derart überzogenen Anklage vor dem OLG Jena ganz konkret stellen“.

Zum anderen sind einige der Angeklagten in Jena verwurzelt und haben dort ein breites soziales Netz, das sich mit ihnen solidarisieren könnte. Vor etwa zwei Wochen fand z.B. eine Demo in Jena mit 6.000 Menschen statt. Dabei wurde kämpferisch ein Ende der Repressionen gegen Antifaschist:innen und die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert. Diese Demo und weitere Solidaritätsbekundungen sehen die Verteidiger:innen als Grund, weshalb unter fadenscheinigen Vorwänden versucht wird, den Prozess nicht in Jena stattfinden zu lassen. Kurz: Das Gericht hat offensichtlich Angst vor dem Druck der Straße.

„Antifa bleibt notwendig“ – Tausende Antifaschist:innen in Jena

Auf Anfrage der Tagesschau äußerten sich weder der Generalbundesanwalt noch das Oberlandesgericht Düsseldorf zu der Kritik der Verteidiger:innen. Begründet wurde dies mit dem laufenden Verfahren. Das Oberlandesgericht Düsseldorf muss nun über die Zulassung der Anklage entscheiden.

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