Nach gescheiterten Verhandlungen mit Bundeskanzler Friedrich Merz hat die polnische Regierung beschlossen, ihrerseits ebenfalls Grenzkontrollen nach Deutschland aufzustellen. Damit geht Polen auf Konfrontation zu Deutschland und die EU.
In den letzten Jahren wurden schrittweise wieder Grenzkontrollen an allen deutschen Außengrenzen eingeführt. Die Innenministerin der damals regierenden Ampel-Koalition Nancy Faeser (SPD) führte diese 2024 an den Grenzen zu allen deutschen Nachbarstaaten ein. Sie begründete diesen Schritt mit einer „drohenden Überforderung des solidarischen Gemeinwesens“ durch einreisende Asylsuchende und „Gefahren durch islamistischen Terror“. Die Grenzkontrollen wurden mit Antritt der neuen Bundesregierung unter Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) im Mai 2025 nochmals verschärft.
Jetzt reagiert auch die polnische Regierung und führt ebenfalls Grenzkontrollen an 50 Übergängen nach Deutschland ein. Ab Montag kommender Woche soll an den Grenzen zu Deutschland und Litauen kontrolliert werden. Regierungschef Donald Tusk begründet die Maßnahme ähnlich wie die deutsche Politik mit dem „unkontrollierten Strom von Migranten“.
Zudem erklärte Tusk auch, dass Polen damit direkt auf die deutschen Kontrollen antworte. Der polnische Regierungschef spricht zudem über gescheiterte Verhandlungen mit Deutschland: „Ich habe das bereits mehrfach mit Bundeskanzler Merz besprochen und ihm mitgeteilt, dass Polens geduldige Haltung langsam bröckelt.“
Gleichzeitig beteuert Bundeskanzler Friedrich Merz, die europäische Zusammenarbeit in der sogenannten „Migrationsfrage“ sei „ein gemeinsames Problem, das wir gemeinsam lösen wollen“. Der Koalitionspartner SPD dagegen rechnete bereits mit der polnischen Antwort. SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwalde betrauert diesbezüglich vor allem den Rückschlag für den freien Personen- und Warenverkehr.
EU-Kommission ignoriert Rechtsbrüche
Doch wie ist die rechtliche Situation bei Grenzkontrollen zwischen EU-Staaten des Schengenraums? Laut Europäischem Gerichtshof dürfen diese Maßnahmen nur für sechs Monate und mit Verlängerung für insgesamt zwei Jahre bestehen bleiben. Das Schengen-Abkommen erlaubt diese temporären Kontrollen aber nur, wenn „die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht“ ist. Das sehen die deutsche oder auch polnische Regierungen mit Verweis auf „Migration“ als gegeben.
Bisher wurde diese Begründung durch die EU nicht infrage gestellt. Zudem existieren die Grenzkontrollen bereits seit 2015 an der deutsch-österreichischen Grenze. Die maximalen zwei Jahren sind also überschritten. Ohne Konsequenzen von EU-Seite. Eine rechtliche Möglichkeit der EU-Kommission wäre beispielsweise ein Vertragsverletzungsverfahren.
Ein möglicher Ausweg von EU-Staaten könnte hierbei die flächendeckende Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) sein. GEAS sorgt dafür, dass noch mehr Zurückweisungen, Pushbacks und Inhaftierungen an den EU-Außengrenzen passieren werden. Damit werden sich dann auch weniger Geflüchtete innerhalb der EU aufhalten, was der Auslöser für die Streits über Grenzkontrollen ist. In seiner Begründung für die deutschen Grenzkontrollen betonte Kanzler Merz auch immer wieder „fehlende Abschottung“ an den EU-Außengrenzen.
Rechte „Bürgerwehren“ üben Druck auf die Regierung aus
Dass Polen gerade jetzt die Grenzkontrollen startet, ist kein Zufall. Bei der Stichwahl zur Präsidentschaftswahl im Juni siegte denkbar knapp der rechtsnationale Kandidat Karol Nawrocki (PiS) vor dem liberalen Kandidaten Rafał Trzaskowski (PO). Auch die missliebigen Grenzkontrollen Deutschlands waren ein Thema im Wahlkampf. Mit der deutschen Zurückweisung von Migrant:innen an der Grenze und der Behauptung von der daraus folgenden „Überschwemmung von Migrant:innen“ in Westpolen konnte das rechte Lager punkten.
Aktuell gibt es auch Demonstrationen gegen die deutsche Politik in polnischen Grenzstädten. Es bildeten sich zudem „Bürgerwehren“, die Menschen kontrollieren, die für Migrant:innen gehalten werden. Unter dem Titel „Bewegung zur Verteidigung unser Grenzen“ formierte sich ein Netzwerk bekannter polnischer Faschist:innen, die im Grenzgebiet patrouillieren. Der neoliberale Regierungschef Tusk sah sich also Handlungsdruck von Rechts ausgesetzt.
Unter dem neuen polnischen Präsidenten Nawrocki droht nun erneut eine Blockade vieler Gesetzesvorhaben der liberalen Regierung. Tusk ist also auf Zusammenarbeit mit der PiS angewiesen. Doch das war etwa schon beim Aussetzen des Grundrechts auf Asyl kein Problem.
Polen will Regionalmacht werden
Kommt es durch die Streitigkeiten über Grenzkontrollen also zum politischen und wirtschaftlichen Bruch zwischen Polen und Deutschland? Die deutsche und polnische Wirtschaft sind nicht erst durch den polnischen EU-Beitritt eng miteinander verbunden. Davon profitiert jedoch in erster Linie Deutschland. Für viele deutsche Firmen ist Osteuropa und damit auch Polen die „verlängerte Werkbank“ des deutschen Kapitals. Die deutsche Wirtschaft profitiert etwa von geringeren Löhnen bei der Fertigung von Produkten in Polen. Im Pflege- und Gesundheitssektor profitiert Deutschland von polnischen Arbeitskräften.
Die aktuelle Regierung unter Donald Tusk ist noch EU-freundlich aufgestellt, was eine gute Zusammenarbeit mit Deutschland erfordert. Doch mit der diesjährigen Wahl des EU-kritischen PiS-Präsidenten steht die Regierung unter neuem Druck. In den aktuellen Wahlumfragen verliert das liberale Bündnis PO deutlich an Zustimmung.
Die Konfrontation mit Deutschland von polnischer Seite, etwa bei den Grenzkontrollen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich Polen selbst unabhängiger positionieren will und dafür ähnlich wie Ungarn auch die Beziehung zu Deutschland und zur EU aufs Spiel setzt. Polen ist engster Verbündeter der USA in Europa, was auch in der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gegen Russland sichtbar wird. Das Thema der Grenzkontrollen unter dem Vorwand der Migration könnte diese Entwicklung verstärken.