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EM 2025: Rekorde auf dem Platz – Ungleichheit daneben

Die EM 2025 bricht alle Rekorde – und doch bleibt Frauenfußball vielerorts ein Randphänomen. Das liegt nicht am Spiel, sondern an struktureller Unsichtbarkeit, mangelhafter Förderung und ökonomischer Ungleichheit. Ein Blick hinter den medialen Hype. – Ein Kommentar von Helena Plath.

Der Frauenfußball hat in den letzten Jahren eine beeindruckende Entwicklung durchlaufen: Rekordzahlen bei TV-Übertragungen, ausverkaufte Stadien und wachsende mediale Präsenz. Die EM 2025 setzte neue Maßstäbe und übertraf die Zahlen von 2022 deutlich – bereits vor Beginn des Turniers wurden über 600.000 Tickets verkauft.

Diese Zahlen zeigen: Das Interesse ist da, sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Dennoch bleiben solche Höhepunkte Ausnahmen, denn in vielen National- und Ligateams ist das Zuschauer:inneninteresse oft gering oder schwankend. Nicht, weil der Sport weniger attraktiv wäre, sondern weil ihm systematisch die nötige Sichtbarkeit entzogen wird. Spiele finden häufig zu ungünstigen Sendezeiten statt, werden kaum medial begleitet und selten in großen Stadien ausgetragen. Damit fehlt die öffentliche Bühne, auf der sich Interesse überhaupt entfalten könnte.

Frauen im Fußball: Das Patriarchat spielt immer noch mit

Sichtbarkeit im Sport ist kein eigenständiger Zustand, sondern gesellschaftlich konstruiert. Fußball wurde historisch als männlich dominierter Raum etabliert, mit entsprechenden Privilegien – von Sendezeiten über Infrastruktur bis zu Fördergeldern. Dadurch konnte der Männerfußball seine kulturelle Relevanz und Massenpopularität erlangen, während dem Frauenfußball diese Bedeutung lange verwehrt blieb. Diese strukturelle Unsichtbarkeit wirkt bis heute nach. Gleichzeitig zeigt sich immer deutlicher: Wo Frauenfußball sichtbar gemacht wird, ist auch das Publikum da.

Geld regiert das Spiel – und reproduziert Ungleichheit

Trotz wachsender medialer Präsenz bestehen weiterhin deutliche Unterschiede zwischen Frauen- und Männerfußball – finanziell, institutionell und kulturell. Während männliche Profis durch lukrative Verträge abgesichert sind, müssen viele Fußballerinnen noch immer parallel zum Sport einer Lohnarbeit nachgehen. In Italien beispielsweise wurde der Frauenfußball erst 2022 offiziell professionalisiert, doch Spielerinnen berichten weiterhin von Teilzeitjobs um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Diese strukturellen Ungleichheiten beeinflussen das sportliche Leistungsvermögen direkt: Wer neben täglichem Training arbeiten muss, kann sich nicht unter den gleichen Bedingungen entfalten wie voll finanzierte Profis. Der oft vorgebrachte marktwirtschaftliche Einwand, Männerfußball sei schlicht „profitabler“, ignoriert diese Zusammenhänge. Denn Profitabilität ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Förderung männlicher Strukturen.

„Mittelfinger für den Frauenfußball“ – Brandbrief an FIFA

Die FIFA selbst betont in ihrem Women’s Football Member Associations Survey Report 2023, dass die wirtschaftliche Entwicklung des Frauenfußballs untrennbar mit gezielter Förderung, medialer Sichtbarkeit und struktureller Gleichstellung verbunden ist. Der Marktwert ist demnach vor allem das Ergebnis jahrelanger Investitionen – oder eben struktureller Vernachlässigung.

Statt sich den Zwängen der Kommerzialisierung zu unterwerfen, braucht es den politischen Willen, in tragfähige, solidarisch gedachte Strukturen zu investieren. Ein gerechterer Profifußball würde eine bewusste Umverteilung durch öffentliche Fördermittel, fortschrittliche Sponsoringmodelle und den systematischen Ausbau gleichwertiger Bezahlung sowie Infrastruktur erfordern.

Leistung als Spiegel der Geschichte, nicht des Talents

Eine der hartnäckigsten Kritiken am Frauenfußball betrifft die angeblich mangelnde Qualität. Doch sportliche Leistung entsteht nicht im Vakuum: Tempo, Technik und taktisches Niveau sind Resultate struktureller Bedingungen – und nicht biologisch determiniert. Jahrzehntelange Marginalisierung durch mangelnde Nachwuchsförderung, fehlende Infrastruktur und begrenzte Spielpraxis haben Spuren hinterlassen.

Wie leistungsfähig der Frauenfußball unter fairen Bedingungen sein kann, zeigen Länder wie die USA oder Schweden. In Schweden etwa wurde durch gezielte staatliche Förderung ab den 1990er-Jahren der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Liga forciert – mit dem Ergebnis, dass der Frauenfußball dort sowohl sportlich als auch kulturell verankert ist.

Auch die USA stehen exemplarisch für den Erfolg systematischer Förderung: Durch umfangreiche Collegeprogramme und das Title-IX-Gesetz, das seit Jahrzehnten Gleichstellung im Hochschulsport sichert, entstand ein großes, professionell gefördertes Talentnetzwerk. Diese nachhaltige Unterstützung hat die USA zu einer der führenden Nationen im Frauenfußball gemacht.

Fußball-Bundesliga: Rüstungskonzerne auf PR-Feldzug

Diese Beispiele zeigen: Gleiche Bedingungen führen zu vergleichbarer Leistung. Doch es geht um mehr als nur um Gleichheit im technischen Sinne. Der Frauenfußball muss nicht exakt wie der Männerfußball sein, um ernst genommen zu werden.

Denn die gängige Fixierung auf kommerziell verwertbare Leistungen übersieht häufig das Potenzial abseits kapitalistischer Verwertungslogik: Fußball als sozialer Raum, als kulturelle Praxis sowie als Ort kollektiver Erfahrungen und gesellschaftlicher Teilhabe.

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