Israel lässt wieder Hilfslieferungen in größerem Umfang in den Gazastreifen und kündigt begrenzte Feuerpausen an. Merz will derweil mit Jordanien eine Luftbrücke nach Gaza aufbauen. Diese Maßnahmen allein bleiben jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein.
Seit Sonntag lässt Israel erstmals wieder in großem Umfang Hilfslieferungen nach Gaza zu. Zeitgleich kam die Ankündigung begrenzter Feuerpausen: Von 10 bis 20 Uhr werde man keine Angriffe auf Gaza-Stadt, Mawasi und Deir-Al-Balah durchführen – dadurch solle die Hungerkrise eingedämmt werden. Auch sichere Routen für Hilfskonvois seien laut Erklärung der israelischen Armee vom Wochenende eingerichtet worden sein.
Inzwischen kommen auch erste Hilfslieferungen an. So überquerten noch am Sonntag 100 LKW den Grenzübergang Kerem Schalom. Wie wirkungsvoll die Maßnahmen sein werden, bleibt abzuwarten.
Lage der Bevölkerung ist katastrophal
Die Lage der Bevölkerung in Gaza ist nach wie vor katastrophal: Laut dem IPC-Bericht aus dem Mai ist die gesamte Bevölkerung des Küstengebiets von „akuter Ernährungsunsicherheit“ betroffen, 470.000 Menschen von „katastrophalem Hunger bedroht“. Der Bericht geht davon aus, dass 17.000 Mütter und 71.000 Kinder unter fünf Jahren künftig wegen akuter Mangelernährung behandelt werden müssten. Inzwischen dürften die Zahlen noch einmal gestiegen sein.
Im März hatte Israel eine Blockade über den Gaza-Streifen verhängt und quasi keine Hilfslieferungen mehr in den Gaza-Streifen zugelassen. Seit Ende Mai verteilt die von den USA und Israel unterstützte private Gaza Humantiarian Foundation (GHF) an wenigen Verteil-Zentren Lebensmittel, die jedoch nicht die vorherige Arbeit etwa der UN ausglichen. Gegenüber der Deutschen Welle (DW) erklärte etwa das World Food Programme (WFP), dass täglich nur etwa 20 bis 30 Laster der GHF die Grenze überqueren würden. Während der Waffenruhe im Januar seien es noch 600 bis 700 gewesen.
Zudem häufen sich Berichte von Toten an den GHF-Verteil-Zentren. Die israelische Armee weist derartige Vorwürfe für gewöhnlich von sich. Anfang Juli forderten über 130 Hilfsorganisationen die Schließung der GHF, da diese tausende hungernde Menschen in militarisierte Zonen zwinge, wo diese dann unter Beschuss gerieten. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte seien mehr als 500 Menschen in der Nähe der Einrichtungen getötet worden.
In jedem Fall ist deutlich sichtbar, dass sich die Lage der Bevölkerung in Gaza auch trotz der GHF-Lieferungen kontinuierlich verschlechtert hat: Im April musste auch die letzte Bäckerei schließen, statt 180 Gemeinschaftsküchen Ende April gab es zwei Monate später nur noch 42 bis 45. Laut WHO (Stand:30. Juni) sind nur 18 der ursprünglich 36 Krankenhäuser noch teilweise funktionsfähig. Dazu kommen zwei noch funktionsfähige und acht teilweise funktionsfähige Feldlazarette, außerdem 63 von ursprünglich 163 Anlaufstellen für medizinische Grundversorgung, die noch intakt sind. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung sind inzwischen innerhalb des Gebiets geflohen, teilweise mehrfach.
Internationaler Druck wächst
Hintergrund der nun erfolgten Öffnung für die Hilfslieferungen dürfte vor allem der steigende Druck auf die israelische Regierung sein: Erst vor einer Woche hatten über 30 Außenminister:innen (darunter die Englands, Frankreichs und Kanadas) ein Ende des Gaza-Kriegs gefordert.
Bereits zwei Wochen vorher hatte sich Israel in einem Abkommen mit der EU zu mehr Hilfslieferungen nach Gaza verpflichtet. Dazu zählten die Öffnung von Zugängen in den Gaza-Streifen über Ägypten, sowie die Versorgung einer Wasseraufbereitungsanlage mit Strom. Vorausgegangen waren Forderungen innerhalb der EU, das Assoziierungsabkommen mit Israel überprüfen, beziehungsweise auszusetzen zu wollen.
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Auch in Deutschland bestehen Forderungen, dass die Bundesregierung eine Aussetzung des Abkommens bei der EU-Kommission beantragen solle – die Bundesregierung positioniert sich jedoch dagegen. Zudem wurde vor wenigen Tagen ein Zusammenschluss von etwa 130 Diplomat:innen im Auswärtigen Amt bekannt, die einen härteren Umgang mit der israelischen Regierung fordern.
In Frankreich kündigte derweil Präsident Emmanuel Macron an, im Dezember einen „Staat Palästina” anerkennen zu wollen. Auch in Israel selbst gibt es weiterhin Proteste von Angehörigen der von der Hamas genommenen Geiseln, die einen Waffenstillstand und einen Deal zur Freilassung der Geiseln fordern.
Israelische Maßnahmen bleiben Tropfen auf heißem Stein
Auch nach der Öffnung des Gazastreifens für Hilfslieferungen steht Israel weiterhin in der Kritik. Das liegt vor allem an den stark begrenzten Hilfslieferungen, die Tel Aviv selbst in Auftrag gibt. Kürzlich wurden etwa sieben Paletten mit Lebensmitteln abgeworfen. Internationale Hilfsorganisationen sprechen laut Berichten der BBC von einer „grotesken Ablenkung“. Ciarán Donnelly vom International Rescue Comitte meint, die benötige Menge an Lebensmitteln könne so in keiner Weise gewährleistet werden.
Zudem brach Israel bereits am Sonntag, dem ersten Tag der angekündigten Feuerpausen, die Versprechungen: Bei Luftangriffen, unter anderem auch auf „sichere Zonen“, tötete Israel am Sonntag 63 Palästinenser:innen. Laut Gaza-Bewohner:innen sei sogar auf eine Bäckerei gezielt worden.
Die von israelischer Seite unzureichenden Hilfslieferungen lassen den internationalen Druck auf Israel derweil weiter steigen: So will die deutsche Regierung nun gemeinsam mit Jordanien eine Luftbrücke in den Gaza-Streifen aufbauen, um dort Hilfslieferungen abzuwerfen. Der Schritt soll mit England und Frankreich koordiniert werden und trifft bereits jetzt auf Kritik wegen der Ineffektivität von Luftabwürfen. Andere Länder kündigen ähnliche Vorhaben an. In Berlin steht dabei neben der Forderung nach einer Aussetzung des Assoziierungsabkommens auch die nach einem Ende der Waffenlieferungen an Israel im Raum, die vor allem aus der SPD geäußert wird.
Neben den offiziellen Regierungen versuchen auch Aktivist:innen weiterhin, Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu bringen. Dabei wurde am Wochenende erneut ein Schiff der Freedom Flotilla Coalition – die „Handala“ – 71 Kilometer vor dem Gazastreifen in internationalen Gewässern illegal vom israelischen Militär festgesetzt.

