Die Maskenaffäre um Jens Spahn hat das Thema Korruption in der Politik erneut in den öffentlichen Fokus gerückt. Sie ist keineswegs nur ein Thema anderer Länder, sondern gehört zum kapitalistischen Alltag – auch in Deutschland. – Ein Kommentar von Thomas Stark.
Schlechte Nachrichten für den Unions-Fraktionschef. Anfang Juni berichteten WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung über einen internen Bericht im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums. Darin geht es um die umstrittenen Corona-Maskengeschäfte des Ministeriums unter seinem früheren Chef Jens Spahn. Dieser steht in Verdacht, während der Pandemie das Logistikunternehmen Fiege aus seinem Nachbarwahlkreis in Münster bei der Auftragsvergabe für die Beschaffung und Verteilung von Masken bevorzugt zu haben.
Schmutzige Deals mit Corona-Masken?
Dem Bericht zufolge habe das Gesundheitsministerium Druck auf das Beschaffungsamt des Innenministeriums ausgeübt, das fragliche Unternehmen mit den Lieferungen zu beauftragen, obwohl es bereits ein fertiges Logistikkonzept gab. Zusätzlich versprach Spahn jedem Händler, der FFP2-Masken an den Bund liefern wollte, einen Preis von 4,50 Euro pro Stück. Die Entscheidung führte dazu, dass das Ministerium mit Lieferzusagen überschwemmt wurde und der Staat Lieferungen im Wert von 5 Milliarden Euro akzeptieren musste.
Am Ende brach die Logistik von Fiege zusammen. Es dauerte lange, bis die Bevölkerung im Frühjahr 2020 mit ausreichend medizinischen Masken versorgt werden konnte. Zudem wird der Bund bis heute von Händler:innen verklagt, die auf die Bezahlung ihrer Lieferungen pochen.
Jens Spahn und das Unternehmen Fiege weisen alle Vorwürfe im Zusammenhang mit den Maskengeschäften zurück. Das Thema Corona dürfte die Gerichte in Deutschland aber noch lange beschäftigen. Während der Pandemie haben nämlich noch andere Politiker:innen und Unternehmer:innen versucht, aus der Pandemie ein gutes Geschäft zu machen:
Der bekannteste Fall ist der von PR-Unternehmerin Andrea Tandler, Tochter eines früheren CSU-Generalsekretärs. Diese vermittelte Anfang 2020 Schutzmasken an Ministerien in ganz Deutschland und kassierte dafür Provisionen in Höhe von 48 Millionen Euro. Dabei hatte sie ihre Kontakte in die Politik, namentlich zur CSU-Europaabgeordneten Monika Hohlmeier genutzt. Zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt wurde Tandler im Dezember 2023 nur deshalb, weil sie ihre Millioneneinnahmen nicht korrekt versteuert hatte.
Lobbyismus und Korruption
Die genannten Corona-Deals werfen ein Licht auf die alltäglichen Beziehungen zwischen Politik und Unternehmen im Kapitalismus, die bei Parteispenden und gegenseitigen Gefälligkeiten beginnen und mit dem klassischen Lobbyismus (der gezielten politischen Einflussnahme über Unternehmensverbände) organisierte Form annehmen. Dem Lobbyregister des Deutschen Bundestags zufolge gibt der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit 15,09 Millionen Euro jährlich das meiste Geld für Lobbyarbeit auf Ebene der Bundespolitik aus und ist damit Spitzenreiter, gefolgt unter anderem vom Verband der Chemischen Industrie VCI (9,23 Mio.) und dem Bundesverband der Deutschen Industrie BDI (8,83 Mio.).
Nicht selten wollen einzelne Unternehmen aber noch einen Extravorteil für sich erwirken und nutzen dafür gezielt persönliche Kontakte zu Politiker:innen aus. Genau dies werfen Teile der Bundestagsopposition Jens Spahn gerade vor. Die Haushaltspolitikerin Paula Piechotta der Grünen formuliert es so: „Jens Spahn hat mit hoher Wahrscheinlichkeit CDU-nahe Unternehmen aus seiner Region bei Einkauf, Verteilung und Lagerung von FFP-Masken bevorzugt… Schlimmer noch: Er hat geeignetere, größere und leistungsfähigere Unternehmen wie Schenker und DHL gegen jeden Rat wahrscheinlich persönlich aus dem Rennen geworfen“.
Die Übergänge zwischen Spenden, Gefälligkeiten, Lobbyarbeit und Korruption, zwischen legalen und illegalen Geschäften sind oft fließend. Das ist auch nicht verwunderlich in einem Gesellschaftssystem, in dem es um das Erzielen maximaler Profite für Unternehmen geht.
Insgesamt hat die Korruption laut der Berliner Nichtregierungsorganisation Transparency International auch in Deutschland zugenommen, das im aktuellen weltweiten Länderranking um drei Punkte nach unten auf Platz 15 abgerutscht ist. Die NGO weist auf „bestehende Probleme bei der Korruptionsbekämpfung“ hin. Besonders der Einfluss der fossilen Lobby bleibe „problematisch“. Neben den lukrativen Posten für frühere Spitzenpolitiker:innen rund um die Pipeline-Projekte Nord Stream nennt Transparency International den Widerstand gegen das geplante Aus für Verbrennermotoren als Beispiel.
Dieser verdeutliche „die Macht der Automobilindustrie, die ihr weitgehend fossiles Geschäftsmodell erhalten“ wolle. Hinzu komme der Skandal um gefälschte Klimaschutzprojekte in China, „bei dem deutsche Mineralölkonzerne sich Klimaschutzbeiträge für nicht existierende Projekte anrechnen ließen.“ Der verursachte Schaden habe hierbei über eine Million Euro betragen.
Jagd nach Maximalprofit
Es ließe sich noch der Dauerbrenner des Cum-Ex-Skandals um die Warburg-Bank ergänzen, bei denen die Hamburger Finanzbehörde auf die Rückforderung von Millionen Euro Steuern verzichtet hat. Der frühere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der damals Erster Bürgermeister von Hamburg war und sich persönlich mit dem Chef der Bank traf, sitzt die Affäre mit seinen legendären „Gedächtnislücken“ bis heute aus. Bei Cum-Ex ging es um illegale Aktiengeschäfte auf Kosten des Staatshaushaltes, bei denen sich Finanzunternehmen mit komplizierten Transaktionen eine einmal gezahlte Steuer mehrfach zurückerstatten ließen. Hier hat der kapitalistische Wettbewerb um die lukrativste Geschäftsidee also direkt in die organisierte Kriminalität geführt.
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Das zugrundeliegende Problem bei den genannten Affären ist der Widerspruch, dass die gesellschaftliche Produktion von Waren des Alltags bis hin zu Corona-Masken im Kapitalismus von profitorientierten Privatunternehmen durchgeführt wird. Politiker:innen werden in diesem Staat zwar gewählt, benötigen für ihre Wahl aber teure PR-Kampagnen und die Gunst der Medien. Hier zeigen sich die Unternehmen spendabel, um im Gegenzug die Hilfe der Politik bei der Verfolgung ihrer Geschäftsinteressen einzufordern.
Nach ihrer Zeit im Ministerium oder Bundestag winken für die Politiker:innen dann häufig lukrative Aufsichtsratsposten und andere Funktionen. Diesem Verschmelzen von kapitalistischer Politik und kapitalistischer Wirtschaft kann nur die Basis entzogen werden, wenn die Produktion gesellschaftlich organisiert und die gesamte arbeitende Bevölkerung direkt in die Leitung des Staates einbezogen ist. Bis dahin werden Affären um schmutzige Deals weiterhin Schlagzeilen machen.
Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 100 vom Juni 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

