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Prozess gegen Daniela Klette: Mordvorwurf entfällt – Verteidigung betrachtet Beweislage als unhaltbar

Im Prozess gegen Daniela Klette wurde der Mordvorwurf fallengelassen – das Landgericht Verden sieht einen strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch beim Überfall 2015 als gegeben. Verteidiger Theune nennt dies einen „Teilerfolg“, attackiert dabei aber scharf die fehlende Beweislage gegen Klette.

Im Prozess gegen die 66-jährige Daniela Klette vor dem Landgericht Verden hat das Gericht eine wegweisende Entscheidung getroffen: Der schwerwiegendste Anklagepunkt des versuchten Mords wurde fallengelassen. Dieser juristische Schritt bedeutet, dass Klette nicht wegen Mordversuchs verurteilt werden kann. Stattdessen prüfen die Richter:innen nun einen versuchten besonders schweren Raub nach § 250 StGB, da die Geldboten während des Überfalls „in die Gefahr des Todes“ gebracht worden seien.

Hintergrund dessen ist die Bewertung des Überfalls am 6. Juni 2015, bei dem drei Schüsse auf einen Geldtransporter abgegeben wurden: einer in den Reifen, einer gegen die Scheibe und einer gegen die Beifahrertür. Das Gericht folgt der Auffassung, dass die Täter:innen die Tat freiwillig abbrachen, bevor es zu Tötungen kam. Ob dies aufgrund von Polizeisirenen oder anderen Gründen geschah, muss laut dem Vorsitzendem Richter noch geklärt werden.

Klette war vorgeworfen worden, als RAF-Mitglied neben dem versuchten Mord 2015 an zwei Geldboten gemeinsam mit den weiterhin flüchtigen Burkard Garweg und Ernst-Volker Staub an 13 Raubüberfällen beteiligt gewesen zu sein, aus denen die Gruppe rund 2,7 Millionen Euro erbeutet haben soll.

„Klettes Präsenz an keinem der Tatorte bewiesen“

Rechtsanwalt Lukas Theune, Klettes Verteidigung, bezeichnet die Entscheidung des Gerichts als „Teilerfolg“, weist aber wiederholt darauf hin, dass Klettes Präsenz an keinem der 13 Tatorte zwischen 1999 und 2016 nachweisbar sei: „Kein Zeuge hat sie identifiziert, es gibt allenfalls alte und komplexe DNA-Mischspuren in Fahrzeugen, die allerdings nicht zwingend an den betreffenden Tagen des Überfalls in das Fahrzeug gelangt sein müssen.“

Besonders kritisiert er die Zeugenbefragungen, bei denen Polizeibeamt:innen durch suggestive Methoden Identifikationen erwirkt hätten. Eine Zeugin habe ausgesagt, dass Beamte ihr „fast eingeredet“ hätten, sie müsse die gesuchten „Terroristen“ gesehen haben. Theune bringt dies auch mit den prominenten Fahndungsplakaten gegen Klette, Staub und Garweg in Verbindung: diese sorgten dafür, dass Zeug:innen schnell zu der Überzeugung kämen, die Gesuchten am Tatort gesehen zu haben.

„Politisches Spektakel“ statt normaler Strafprozess

Der seit März 2025 laufende Prozess gegen das mutmaßliche RAF-Mitglied Daniela Klette wird mit enormem Ermittlungsaufwand geführt – laut ihrer Verteidigung ein unverhältnismäßiges Vorgehen: Für 3,5 Millionen Euro sei ein spezieller Hochsicherheitsgerichtssaal in einer umgebauten Reithalle errichtet worden, und die Aktenmenge belaufe sich auf zwölf Terabyte Datenmenge – was etwa zehn Millionen Aktenordnern entspräche – den die Verteidigung im Übrigen erst wenige Tage vor Prozessbeginn erhalten habe. „Dies ist kein normaler Strafprozess, sondern ein politisches Spektakel“, so Theune.

Diese Einschätzung teilen Solidaritätsgruppen wie die Rote Hilfe e.V., die bereits im Vorfeld des Prozesses auf die politische Dimension hinwies. Wie auf der Kundgebung zum Prozessauftakt am 26. März 2025 vor dem Oberlandesgericht Celle deutlich wurde – hier waren Transparente mit Parolen wie „Revolutionäre Geschichte verteidigen“ und „Freiheit für Daniela Klette“ zu lesen –, wird der Fall von vielen als Abrechnung mit dem militanten Widerstand der 90er-Jahre interpretiert.

Eine Revolutionärin können sie wegsperren, die Revolution nicht – Prozessbeginn von Daniela Klette

Parallel zur juristischen Auseinandersetzung werden anhaltende Repressionen gegen Klette und ihre Unterstützer:innen kritisiert. Klette sitzt seit ihrer Festnahme im Februar 2024 in der Justizvollzugsanstalt Vechta unter verschärften Bedingungen: anfangs in kompletter Isolationshaft bei 24-Stunden-Videoüberwachung, ohne Schreibzeug oder Zugang zu eigentlich genehmigten Büchern und Zeitschriften und mit verdunkelten Zellenfenstern.

Auch heute noch werden Besuche systematisch erschwert, wie die Rote Hilfe dokumentiert: Eine Besucherin wurde ausgeschlossen, nachdem Klette ihr gegenüber beiläufig erwähnt hatte, durch das vergitterte Fenster „Bäume, Himmel, und so weiter“ zu sehen – was die Bundesanwaltschaft als „Hinweis auf Fluchtplanung“ interpretierte. Mehrere Besuchsantragsteller:innen erhielten Vorladungen der Staatsanwaltschaft, und eine Organisatorin von Solidaritätskundgebungen verlor ihren Arbeitsplatz.

Kein Besuch für Daniela Klette: Solidarität bleibt ungebrochen

Das Verfahren in Verden ist derzeit bis Anfang August unterbrochen und soll voraussichtlich bis Ende 2025 dauern. Ein zweites Verfahren der Bundesanwaltschaft wegen mutmaßlicher Beteiligung an RAF-Anschlägen zwischen 1990 und 1993 – darunter die Sprengung der JVA Weiterstadt – steht noch aus.

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